: Suche nach Wahrheit
Angehörige gedenken der Toten des Massakers von Srebrenica. Die Identität vieler Opfer ist noch unklar
SARAJEVO taz ■ Rund 20.000 Menschen gedachten gestern in Potocari des Massakers von Srebrenica vor 9 Jahren. Die Särge von 338 identifizierten Opfern wurden zu ihrer letzten Ruhestätte geleitet. Internationale Institutionen gehen jetzt von mehr als 8.000 anstatt 7.000 Opfern des Massakers aus, das serbisch-bosnische Truppen nach der Erstürmung der Stadt Srebrenica am 11. Juli 1995 begangen hatten. Die Organisation der Mütter von Srebrenica sprechen von mehr als 10.000 Toten.
Auf dem Gelände der 2003 eingeweihten Gedenkstädte befinden sich schon 989 Opfer des Verbrechens. Die Identifizierung ist schwierig, da die DNA-Analysen der in Massengräbern aufgefundenen Leichenteile mit überlebenden Blutsverwandten verglichen werden müssen.
Viele der überlebenden Frauen und Kinder haben noch keine Informationen über den Verbleib ihrer Angehörigen. Neun Jahre nach den Ereignissen spielen sich erschütternde Szenen ab. So als eine Frau die Nachricht bekommt, ein Cousin sei identifiziert. Sie hofft noch auf die Identifizierung von 33 Familienmitgliedern, darunter sind ihr Mann und ihre zwei Söhne.
„Wir wollen keine Rache, sondern die Wahrheit“, sagte der höchste religiöse Würdenträger der bosnischen Muslime, Mustafa Efendi Ceric. Das muslimische Mitglied im bosnischen Staatspräsidium, Sulejman Tihić, erklärte, das Land könne eine gemeinsame Zukunft haben. Immerhin hätte die Führung der bosnischen Serben unlängst das Verbrechen in Srebrenica eingestanden, doch das sei nicht genug. „Die Täter müssen verhaftet und verurteilt werden.“
Nach wie vor verhält sich die örtliche serbische Bevölkerung feindlich den muslimischen Rückkehrern gegenüber. Zwar kommt es nicht mehr zu Übergriffen wie noch vor wenigen Jahren, als die Trauergemeinde zu den Jahrestagen des Massakers nur unter dem Schutz von Sfor-Truppen und Polizisten an diesen Ort gelangen konnte.
Doch trotz des Srebrenica-Berichts der Regierung der serbischen Teilrepublik gibt es in der lokalen serbischen Bevölkerung kein ernstes Zeichen des Bedauerns. Keiner der serbisch-bosnischen Spitzenpolitiker ließ sich bei der Trauerfeier sehen.
Trotz des feindlichen Umfelds sind mehr als 2.000 Vertriebene nach Srebrenica und die zerstörten umliegenden Dörfer zurückgekehrt. Von der versprochenen internationalen Hilfe für Srebrenica ist jedoch nur wenig zu sehen. Erst 200 Häuser wurden für die Rückkehrer wieder aufgebaut. Viele Frauen, die das Massaker überlebt haben, leben mit ihren Kindern in bitterer Armut.
ERICH RATHFELDER