: Abgründe bekennender Lehrersöhne
Bitte nicht als Nachzügler des Achtziger-Revivals missverstehen: In dem Kinofilm „Sie haben Knut“ zeichnen Regisseur Stefan Krohmer und Autor Daniel Nocke ein Generationsporträt als Studie eines Übergangs – die Ideale der Siebziger hallen nach, der Hedonismus der Neunziger kündigt sich an
von CHRISTIAN BUSS
Haben Sie schon gehört? Die 35-Jährigen stecken in der Krise. Mehrere Ratgeber versuchen zur Zeit, diese früh zermürbten jungen Erwachsenen von ihren Selbstzweifeln zu befreien. Da wirken all die Nostalgieshows, die jüngst in hiesige Kinos gespült wurden, wie Balsam auf die zerknautschten Seelen der späten Sechziger-Jahrgänge. Ob man Kai Wessels „Das Jahr der ersten Küsse“ nimmt, Benjamin Quabecks „Verschwende deine Jugend“ oder Hendrik Handloegtens „Liegen lernen“ – sie alle vermitteln den Mittdreißigern mit ihrem kränkelnden Selbstbewusstsein, wenigstens früher einmal Teil von einem Ganzen gewesen zu sein: Du sahst nicht gut aus, aber irgendwie war deine Welt damals doch in Ordnung.
Höchste Zeit also für einen Film, der mit dem Missverständnis aufräumt, früher wäre alles besser (und überschaubarer) gewesen. Die Tragikomödie „Sie haben Knut“, die vielerorts als Nachzügler des Achtziger-Revivals fehlgedeutet wird und deshalb nun einen relativ schweren Start hat, wirft ein anderes Licht auf das Jahrzehnt; sie versorgt das Publikum nicht mit ewigen Werten oder schönen Erinnerungen. Es geht um den Widerstreit zwischen Politaktivisten und Vertretern der erwachenden Spaßfraktion. Regisseur Stefan Krohmer und Drehbuchautor Daniel Nocke haben in ihrer Ensemblearbeit zur Aufschlüsselung der psychosozialen Gemengelage ein Dutzend junger Erwachsener samt Nachwuchs auf einer Skihütte zusammengesperrt. Die Stimmung schwankt zwischen Kuschelhölle und Debattiergulag. Mittendrin im entfesselten Wertekampf versucht Ingo (Hans-Jochen Wagner) Würde zu wahren und seine brüchige Beziehung zu kitten. Denn ursprünglich wollte er die Ferien allein mit seiner Freundin Nadja (Valerie Koch) verbringen – wären da nicht unerwartet die Freunde ihres Bruders Knut aufgetaucht. Und die wollen den Sportmuffel nun nicht nur in ihre gruppendynamische Urlaubsgestaltung einbinden, sondern auch in Soliaktivitäten für den abwesenden Bruder. Der, so suggerieren sporadische Telefonate vom Wintersportparadies ins urbane politische Krisengebiet, sei von der Polizei festgenommen worden.
In „Sie haben Knut“ wird viel geredet. Nur Kleingeister mögen darin einen Hinweis auf die Fernsehherkunft von Regisseur und Drehbuchautor sehen. Filme wie ihre sieht man sonst kaum im TV. Mit dem Grimme-Preis-gekrönten Mutter-Tochter-Drama „Ende der Saison“ und dem Grimme-Preis-verdächtigen Vater-Sohn-Drama „Familienkreise“ sind die beiden auteurs zur besten Sendezeit in die Seelenkeller des Bildungsbürgertums hinabgestiegen. Alltagsdialoge öffnen bei Krohmer und Nocke, bekennende Lehrersöhne alle beide, Abgründe. Ihre Technik lässt sich einfach auf den Punkt bringen: Sie schauen Menschen beim Sprechen zu. In „Sie haben Knut“ rekonstruieren sie nun das Idiom der frühen Achtziger – das damals ja gerade an Einheitlichkeit verlor. Die starren Imperative politbewegter Kreise verfehlen bei den Anhängern des damals aufkommenden hedonistischen Lebensstils ihre Wirkung. Die Urlauber debattieren bald darüber, ob sich Gutfühl-Ski-Gymnastik und Solidaritätskampagnen miteinander vereinen lassen.
Das Generationsportät ist auch die Studie eines Übergangs: Die Ideale der Siebziger hallen noch nach, die Glücksversprechen der Neunziger kündigen sich bereits an. Um das transitorische Lebensgefühl zu rekonstruieren, kommen Krohmer und Nocke ohne zeitgenössischen Schnickschnack aus. Sie weiden sich nicht an modischen Katastrophen. Und die wenigen Songs, die angespielt werden, dienen nicht der Kolorierung, sondern der Kommentierung: Einer der pubertierenden Teenager, der von der Mutter auf die Skihütte mitgebracht wurde, hört Heaven 17. Deren schlecht gelaunte elektronische Musik bildet einen Widerspruch zum verordneten Sensibilismus der Erwachsenen. Wer nun allerdings reifer ist, der gewaltfreudige Jugendliche oder die friedensbewegten Thirtysomethings, erscheint bald immer weniger klar. In ihrer Unausgegorenheit spiegeln sich die Generationen wechselseitig wider. Deshalb ist „Sie haben Knut“ auch nichts für verzagte 35-Jährige. Doch so böse der Film daherkommt, lässt er doch keinen Zweifel daran, worum es sich noch immer zu kämpfen lohnt: für einen radikalen Individualismus.
„Sie haben Knut“. Regie: Stefan Krohmer. Mit Valerie Koch, Hans-Joachim Wagner u. a., Deutschland 2002