: Angenehm sinnfrei
Adib Fricke ist Erfinder, Worteerfinder. Ein Wort, das sein Sprachlaboratorium verlässt, ist niegelnagelneu und unverbraucht. Und man kann es kaufen. Oder für einige Zeit mieten
von KARL HÜBNER
Der Berliner Adib Fricke produziert Wörter, die nur auf den ersten Blick ohne Sinn sind. Mittlerweile gibt es seine Wortmanufaktur „Word Company“ seit zehn Jahren.
Mein Wort für den Tag heißt Explom. Bekommen habe ich es auf www.thewordcompany.de, der Homepage von The Word Company. „Hier finden Sie Ihr Wort für den Tag“, ist eines der Features, mit denen Adib Fricke die Besucher seiner Website begrüßt. Mal schauen, wie viel Freude mir das Wort an diesem Tag beschert.
Explom? Keine Angst, das Wort muss man nicht kennen – und kann es auch gar nicht. Wenn es den Begriff irgendwo auf der Welt gäbe, hätte Adib Fricke ihn nicht hergestellt. So aber ist Explom ein Produkt seiner Word Company geworden.
Noch weiß ich nicht so genau, ob ich das Wort wirklich gut finden soll. Es ist geradlinig, schnörkellos und etwas erhaben, zweifellos. Aber erinnert es nicht an Diplom? Und explodieren ist auch nicht weit entfernt. Zwei Assoziationen, die ich eigentlich gar nicht haben dürfte. Denn die Wörter von The Word Company sind gemäß dem Selbstverständnis von Fricke Protonyme: Begriffe ohne jeglichen Inhalt. „Meine Wörter sind mit absolut keiner Funktion oder Bedeutung aufgeladen“, so der Schöpfer. Nur schön müssen sie sein. Ritob, Smorp, Mipsel – allesamt schöne Wörter. In Frickes Augen.
Das Schöne: Man kann diese Wörter auch kaufen. Genauer gesagt: Man kann Nutzungsrechte an ihnen erwerben. Und das in vierfach abgestufter Form, je nachdem, wie lange und exklusiv man über die Begriffe verfügen können möchte. Dennoch sind viele Produkte von The Word Company Ladenhüter. Ein Preisproblem? Möglich. Zumindest in der Anfangszeit. Da wollte Fricke satte 5.500 Mark für Ritob haben. Inklusive Mehrwertsteuer. Gezahlt hat das zunächst keiner. Inzwischen gibt es auch billigere Lizenzen. Die Nutzungsrechte für ein Wort kann man bereits für hundert Euro je Monat erwerben.
Immerhin: Auch wenn Privatpersonen sich bisher kaum zum Erwerb von Yemmels, Flogo oder Onomono hinreißen ließen, es gibt trotzdem Geschäftserfolge von Frickes Wortfabrik. Die Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig etwa hatte vor einigen Jahren für sechs Monate die Lizenz an dem Wort Ontom erworben, um es für einen Ausstellungstitel zu nutzen. Und unter dem Titel Quobo befindet sich seit nunmehr fünf Jahren eine Wanderausstellung über Berliner Kunst der Neunzigerjahre auf der Reise um den Globus (www.quobo.de). „Nirgendwo hat Quobo bei dieser Reise eine Bedeutung generiert“, freut sich dessen Erfinder Fricke.
Und sein Wort Quivid hat es sogar in den Briefkopf offizieller Schreiben des Baureferats der Stadt München geschafft. Eine Auftragsarbeit aus dem Jahr 2002. Das Referat hatte das ambitionierte Ziel, „Kunst am Bau“ durch eine Wortneuschöpfung zu ersetzen. Adib Fricke präsentierte den Münchenern eine Reihe von Vorschlägen. Quivid war dabei nicht mal sein Favorit. Dass es „eine gewisse Restbedeutung“ enthält, empfand der Berliner als kleines Manko. Gleichwohl griffen die Bayern zu.
Als die Firma Bayer vor kurzem nach einem Namen für ihr auszugliederndes Chemiegeschäft suchte, hätte sie also durchaus auch The Word Company beauftragen können. Doch freilich ist das Unternehmen keine Namensagentur. Fricke ist auch kein Worthändler. Zwar hat er nichts gegen kommerzielle Erfolge seiner Arbeit, aber in erster Linie agiert er als Künstler. Er will irritieren. Und so sieht der 42-Jährige das Erschaffen zunächst sinnloser Wörter und deren weiteren Werdegang als Hauptzweck seiner Arbeiten an, ausgehend von ihrem interaktiven Potenzial. Mit Sinnlosigkeit handeln, um Transparenz und Sinn in die kommunikativen Strukturen der Welt zu bringen.
Mit der vermeintlichen Inhaltslosigkeit seiner Wörter verbindet der Wortschöpfer eine weitere Botschaft: hinnehmen, dass etwas da ist, ohne sofort nach dem Sinn zu fragen. Eine Weisheit, die Fricke durchaus auf andere Lebensbereiche übertragen wissen will. Er hat es aber nicht bei der Herstellung neuer Wörter belassen. Ein weiteres Produktsegment sind seine „aus Wörtern bestehenden Einheiten“. Dazu zählt er etwa „Jedes Wort hat seinen Tag“, „In words we trust“ oder auch „Wort alleine kommt nicht vor“. Im Gegensatz zu den Protonymen immerhin ein „Spiel mit bekannten Welten“, so Fricke.
1996 wartete der Spracherweiterer anlässlich einer Kasseler Ausstellung mit einer Hochglanzzeitschrift namens „Das neue Wort“ an den Kiosken der osthessischen Stadt auf. So günstig der Kaufpreis von einer Mark, so groß war auch die Überraschung der Käufer. Die auf dem Titelblatt angekündigten Beiträge („Ein Keller voller Wörter – Sensationeller Fund: Unbenutzte Wörter aus alter Zeit“; „Kampf ums Wort – Einfuhrbeschränkung für Suffixe aus Fernost“ oder „Vorsicht Billigwörter – Experten warnen vor Haustürgeschäften“) fanden sich nirgendwo. Die „Hefte“ bestanden lediglich aus dem Titelblatt. Entspannend und benutzerschonend.
In Kunstkreisen besitzt Fricke durchaus eine Fangemeinde. Der Künstler Jan Winkelmann etwa ist in seiner Eigenschaft als Kurator zum großen Freund der Arbeiten Frickes geworden. „Echte Protonyme sind die aufregendsten Wörter, mit denen ich bisher gearbeitet habe.“ Lob kam auch von Peter Nisbet, als dieser als Kurator des Busch-Reisinger-Museums in Harvard fungierte: „Mit The Word Company gibt es keine komplizierte Bedeutung zu lernen, da kann ich mich leicht entspannen und das reine Wort genießen.“ In Anwenderkreisen gelten Frickes Wörter als „benutzerfreundlich“, „wundervoll“ und sogar als „Ideengenerator“.
Mit der bisherigen Nichtexistenz seiner Produkte nimmt es Adib Fricke sehr genau. Hat er ein neues Wort kreiert, geht er zunächst die europäischen Wörterbücher durch, sucht Bibliotheken auf und schließlich das Markenregister des Deutschen Patentamtes. Erst wenn alle Nachforschungen negativ beschieden werden, nimmt er das neue Wort in seine Verkaufsauslagen auf. Inzwischen hilft ihm auch das Internet bei seinen Recherchen. So sei es ein sehr hilfreicher Check, die mögliche Existenz eines Wortes zu prüfen, indem man es bei Yahoo als E-Mail-Adresse anmelde. Dabei hat Fricke festgestellt: „Es wird immer schwieriger, ein neues Wort zu finden.“ Traurig war er auch, als er für Lommet fand, dass es das im Norwegischen bereits gab. „Lommet war ein tolles Wort.“
Und so etwas stellt man nicht jeden Tag her. Wie genau der Entwurfsprozess aussieht, in dem Fricke Wörter wie Avanz oder Methos herstellt, lässt er offen. Beim Abwasch, beim Spaziergang im Park oder eher nach stundenlanger Buchstabenkneterei? Keine Antwort. Was er nicht mache, sei, den Computer anzuwerfen und sich nach dem Zufallsprinzip Buchstabenkolonnen ausgeben zu lassen. Die „Schwierigkeit, für Sinnloses Regelmäßigkeiten zu erfinden“, verbiete die Sache mit dem systematischen Zufallsgenerator.
So viel immerhin räumt er ein: „Ein Wort oder eine aus Wörtern bestehende Einheit kommt irgendwann zu mir. Das ist dann sehr stark.“ Und wenn ein Wort erst da ist, dann bleibt es auch. Wie bei Dürrenmatts Physikern: „Was einmal gedacht worden ist, kann nicht mehr zurückgenommen werden.“
Eines weiß Adib Fricke ganz genau: Wann ein Wort gut ist. „Ein gutes Wort lächelt mich an.“ Ritob war ein solches Wort – ein Wort, an dem Fricke zudem der große Freiraum gefällt. Ein Freiraum, den er – bei aller Schönheit des Wortes – bei Methos, einem anderen Frühwerk von The Word Company, leider eingeschränkt sah. „Das war zu nah an Ethos und Mythos.“ Gut gefällt Fricke dagegen immer noch Yemmels, eine Produktion aus dem Jahr 1998. Und auch das einst für die Leipziger Ausstellung genutzte Ontom hält er noch immer für „kraftvoll, einmalig, abweichend und nicht einschränkend“.
Adib Frickes Weg zum Wort nahm einen Umweg. Zunächst beschäftigte er sich mit Fotografie, merkte aber bald, dass ihn immer auch die Frage beschäftigte, was beim Weglassen der Bilder geschieht. Und dann sah er, dass nur Sprache es vermag, „innere Bilder zu erzeugen“. Das war, wie er schließlich fand, spannender, als fotografische Abbilder der Realität zu servieren.
Zu seinen ersten Wortarbeiten zählen dann auch so genannte Textbilder, etwa „Das Gesicht im Kühlhaus“. Wortsequenzen wie „Haarbüschel – Sessel – Bierflasche – Beil – offene Wohnungstür“ sollten beim „Betrachter“ individuell auslösen, was ein Foto bereits zu direktiv und endgültig getan hätte. Und irgendwann fand Fricke heraus, dass es bereits „nicht nur zu viele Bilder, sondern auch zu viele Texte gab“. Unzureichend fand er dagegen den Bestand an Wörtern. Es war die Geburtsstunde von The Word Company. Das war im Herbst 1994. Wenige Wochen später stellte Fricke die ersten vier Protonyme in der Berliner Galerie Anselm Dreher aus.
Fricke legt Wert auf die Freiheit des Betrachters. Vielleicht der Grund, warum er auch beim Vertrieb seiner Wörter nur sehr zurückhaltende Formen der Vermarktung wählt. Selbst auf der Homepage finden sich weder Preise noch Bestellformulare für die Word-Company-Produkte. Fricke: „Heute geht es im Marketing oft um Aufmerksamkeit, und das nimmt nicht selten aggressive Züge an. Ich möchte, dass sich beim Betrachter etwas von selbst entfaltet.“
In den vergangenen Jahren hat Fricke neben seiner Wortproduktion vielfach auch das Internet in seine Projekte einbezogen. Entstanden ist dabei zum Beispiel die Arbeit „Marmelade aus Mexiko“, für die er Anfragen bei Internet-Suchmaschinen ausgewertet und aneinandergereiht hat, darunter etwa „Akne bei Erwachsenen“, „Speaking in the 1st person“, „everest wasser kochen“ und viele mehr. In seiner Arbeit „You can dump me“ wiederum hat Fricke Textauszüge von Webseiten verarbeitet, auf denen „imaginary girlfriends“ ihre Dienste anboten, etwa das Zuschicken von echten Liebesbriefen oder Valentinsgrüßen – Sätze wie „Tell me what you want me to say“ oder „Let me know what you want to hear“. Solcherlei Handel mit unauthentischen Liebesbekundungen schien durchaus einen Markt zu bedienen; bei eBay wurden immerhin Gebote dafür registriert.
Ein anderes, älteres Projekt hatte ebenfalls das Internet-Auktionshaus miteinbezogen. So konnte man vier Wochen lang das Recht ersteigern, eine konkrete Ausstellungssituation mit dem Protonym Swoks in einer Berliner Galerie aktiv zu verändern. Tisch und Stühle wurden dabei umgeordnet, eine Pflanze hinzugestellt, das Licht verändert, aber: „An das Wort selbst hat sich keiner rangetraut“, wie Fricke überrascht feststellte.
Nach der Liberalisierung des Strommarktes hieß das Stromprodukt eines namhaften Konzerns vorübergehend Avanza. Schon zuvor hatte Adib Fricke das Wort Avanz kreiert. Einen offiziellen Zusammenhang gab es gleichwohl nicht. So oder so: Auch wenn es sich bei Avanza um eine eigenständige Parallelkomposition Dritter handelte, freute ihn die Ähnlichkeit. Es war – sozusagen – eine indirekte Bestätigung der Qualität seiner Arbeit.
Und mein Wort für den Tag? Nun, inzwischen gefällt mir Explom ganz gut. Ich habe sogar festgestellt, dass ich bei dem Wort an gar nichts anderes denke – der Kopf ist seltsam frei. Ein durchaus angenehmes Gefühl.
KARL HÜBNER, 40, lebt in Köln und verdient sein Geld mit dem Aneinanderreihen von Wörtern. Er bedauert manchmal, dass er dabei keine Protonyme verwenden kann