: „Im akademischen Diskurs gibt es kein Tabu“
Gestern hielt der umstrittene australische Philosoph Peter Singer eine Vorlesung an der Düsseldorfer Uni. KollegInnen werfen ihm vor, behinderten Menschen das Lebensrecht abzusprechen. Dekan Dieter Birnbacher hat Singer eingeladen
taz: Herr Birnbacher, wieso haben sie Singer an die Düsseldorfer Uni eingeladen?Dieter Birnbacher: Wir wollten für unsere Ringvorlesung zum Thema Tierethik möglichst viel Prominenz einladen. Es bot sich an, Singer einzuladen, weil er ohnehin in Deutschland ist.
Singer ist aber nicht einfach nur prominent, er ist einer der umstrittensten Philosophen.
Ja, natürlich, es gab immer Unmengen von Protesten. Er war für die Tierrechtsbewegung einer der bedeutendsten Vordenker. Er hat zum Beispiel angeregt, Menschenaffen die Menschenrechte zuzubilligen. Bisher ist dies nur in Neuseeland geschehen.
Wenn Singer über Tierrechte spricht, spricht er gleichzeitig über Menschen, die kein Lebensrecht haben, zum Beispiel schwer Kranke.
Ja, das war vor einigen Jahren besonders brisant, vor allem durch sein Buch über Früheuthanasie. Ich selber bedauere, dass Singer seine Position in Bezug auf die Selbsttötung nur sehr wenig abgemildert hat. Diese Positionen haben zu Recht viel Empörung hervorgerufen.
Warum gab es dann gestern Abend keine Gegenrede, keine Diskussionsveranstaltung?
Nun ja, die Euthanasie war ja nicht unser Thema. Wenn es um Fragen der Menschenwürde in Bezug auf schwer beschädigte Menschen ginge, dann müsste man das diskutieren. Aber „animals and ethics“ ist ein sehr allgemeines Thema.
Singer hat seine Thesen über Tierrechte immer mit Thesen zur Menschenwürde verknüpft.
Ja, das stimmt, sein entscheidendes Prinzip ist das der Interessengleichheit, also Rechte leiten sich bei ihm aus Interessen ab. Wir interessieren uns aber nur für die Tierrechte, nicht für die interessensunfähigen Menschen, die von ihm einen geringeren Status als Tiere zugesprochen bekommen. Das kann man trennen.
Bei seinem letzten Auftritt 1989 in Dortmund gab es noch einen Sturm der Entrüstung.
Ja, weltweit gab es eine Front gegen ihn, die sagt, er habe seine philosophischen Überlegungen zu schnell auf die Praxis bezogen. Niemand hat sich seinen Vorschlägen angeschlossen. Das ist richtig so – Singer denkt kurzschlüssig, lässt moralische Dimensionen unter den Tisch fallen. Es gab früher größere Ängste, dass die Politik nun einige Vorschläge aufnimmt, zum Beispiel zum aktiven Töten.
Waren die Änsgte wirklich unbegründet? Haben sich heute nicht viel mehr die Grenzen verschoben und es gibt keinen öffentlichen Aufschrei mehr, wenn die Spätabtreibung von Menschen mit Down-Syndrom diskutiert wird.
Die Ängste waren zum Teil unbegründet, Singer hat überhaupt nichts gegen Behinderte. Aber es stimmt, dass Singer durch seine Thesen zur Spätabtreibung eine kollektive Kränkung von Behinderten erzeugt, die die Selbstachtung von erwachsenen und zum Teil auch lebensfrohen Behinderten sehr stark beeinträchtigen muss. Singer hat übersehen, dass er mit seinen Überlegungen im stillen Kämmerlein Emotionen schürt.
Trotzdem hat die Uni ihn eingeladen. Ist im wissenschaftlichen Diskurs alles diskutierbar?
Wir müssen unterscheiden zwischen einem wissenschaftlichen und einem öffentlichen Diskurs. Es wäre etwas anderes gewesen, wenn wir Singer in die Stadt oder Volkshochschule eingeladen hätten. Im akademischen Bereich sollte kein Tabu bestehen.
INTERVIEW: ANNIKA JOERES