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Archiv-Artikel

Abschied von einem Scheinlinken

BERTELSMANN Nach dem Tod des Patriarchen Reinhard Mohn gilt es für die Familie, trotz Unternehmenskrise ihren Einfluss zu sichern

Reinhard Mohn

Anfang: Reinhard Mohn wird am 29. Juni 1921 in Gütersloh geboren. Verlagsgründer Heinrich Bertelsmann war sein Urgroßonkel.

Das Genie: Mohn und sein Mitarbeiter Fritz Wixforth gründen 1950 den Bertelsmann-Lesering, den Vorläufer der Buchclubs. Er wird zum Motor des künftigen Medienimperiums. In den 1950er-Jahren kauft Mohn Verlage zu und gründet das Plattenlabel Ariola. 1964 übernimmt er die Ufa-Filmproduktion, 1969 steigt Bertelsmann über eine Beteiligung am Verlagsriesen Gruner + Jahr (Stern, Brigitte) ins Zeitschriftengeschäft ein.

AG und Stiftung: Im April 1971 wird Bertelsmann eine Aktiengesellschaft, die allerdings nie an die Börse geht. Mohn entwickelt seine eigene Unternehmenskultur, die vom Dialog der Geschäftsführung mit den Mitarbeitern ausgeht. 1977 wird die Bertelsmann-Stiftung gegründet, die heute die Mehrheit der Konzern-Anteile hält. Den Rest hält die Familie Mohn.

Der Privatmann: 1948 heiratet Reinhard Mohn Magdalene Raßfeld, die noch heute in der Nähe von Gütersloh lebt. Seit Mitte der 1960er-Jahre ist Elisabeth „Liz“ Beckmann Mohns Geliebte und Mutter der drei gemeinsamen Kinder Brigitte, Christoph und Andreas. Um im beschaulichen Ostwestfalen den guten Ruf von Bertelsmann nicht zu ruinieren, führt Liz bis 1982 Liz eine Scheinehe mit dem Bertelsmann-Mitarbeiter Joachim Scholz. Erst im Winter 1981, nach dem Tod von Reinhards Mutter, werden Magdalene und er geschieden.

Weiterlesen: Thomas Schulers „Die Mohns“ (Bastei-Lübbe, 8,95 Euro) ist das beste Buch über die Könige von Gütersloh.

VON STEFFEN GRIMBERG

Der „rote Mohn“ ist tot. So haben sie ihn genannt, spätestens seit den 1970er-Jahren, als bei Bertelsmann die Gewinn- und Unternehmensbeteiligung für MitarbeiterInnen eingeführt wurde. Und noch eines der letzten Bücher von Reinhard Mohn trägt stolz den Titel „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“. Bertelsmann und der Konzernpatriarch Reinhard Mohn, das waren, das sind die Guten, die nicht nur in die eigene Tasche, sondern auch für die Gesellschaft verdienen.

Dieses Image wird im Konzern auch weiter eifersüchtig gehegt und gepflegt. Auch und gerade von Reinhard Mohns zweiter Ehefrau Liz. Und dieses Image hat Deutschlands größtem Medienkonzern mehr geholfen als alle technischen Neuerungen und Zukäufe durch die Jahrzehnte. Wirklich gestimmt hat es allerdings immer nur sehr bedingt. Denn auch die 1977 von Reinhard Mohn gegründete Bertelsmann-Stiftung hatte und hat neben allem gesellschaftlichen Mehrwert zuvörderst zwei etwas profanere Aufgaben: Die Stiftung, der mit 76,9 Prozent der Anteile mehr als zwei Drittel der Bertelsmann AG gehören, hilft erst einmal, Steuern zu sparen. Zudem erschließt sie dem Konzern durch ihre Studien und Projekte neue Geschäftsfelder. Und sie sorgt für ein politisches Klima, das zumindest nicht gegen die höchst weltlichen Interessen des Konzerns gerichtet ist.

So ist das von der Bertelsmann-Stiftung ins Leben gerufene Centrum für Hochschul-Entwicklung (CHE) eben nicht nur ein Thinktank pro Studiengebühren. Sondern auch ein wesentlicher erster Baustein auf dem Weg von Bertelsmann zum Bildungsunternehmen, den Konzernvorstandschef Hartmut Ostrowski seit seinem Amtsantritt Anfang 2008 propagiert: „Bildung ist in unserer modernen Gesellschaft ein Megatrend“, sagt Ostrowski im Spiegel-Interview, im „angloamerikanischen Raum“ beschäftige sich Bertelsmann bereits „mit Anbietern, die Berufsausbildung etwa für Krankenschwestern oder Buchhalter anbieten“. Und im nordenglischen West Riding managt die Bertelsmann-Tochter Arvato schon heute eine Kommune mit 320.000 Einwohnern. Das Rathaus ist teilprivatisiert, Bertelsmann-MitarbeiterInnen betreuen Bürgerbüros, verwalten Steuern und zahlen Sozialleistungen aus. „Public-Private Partnership“ nennt sich das.

Und hierauf verstehen sich die Bertelsmann AG und ihre Stiftung bestens: „Die Bertelsmann Stiftung will frühzeitig gesellschaftliche Herausforderungen identifizieren sowie exemplarische Lösungsmodelle entwickeln und verwirklichen“, heißt es zum Stiftungszweck. Anders als die meisten anderen Unternehmensstiftungen werden daher bei der Bertelsmann Stiftung nicht unabhängige Projekte Dritter gefördert – man arbeitet „ausschließlich operativ“, wie es in der Satzung heißt.

Das operative Geschäft der Stiftung mit den Wünschen des Konzerns in Einklang zu bringen, gelang Reinhard Mohn wohl nirgendwo so überzeugend wie im Kerngeschäft – den elektronischen Medien. Als sich Bertelsmann in den 1990er-Jahren die Mehrheit an der RTL-Gruppe sicherte und das TV-Geschäft weiter ausbauen wollte, drohte der Konflikt mit den damals gültigen Konzentrationsvorschriften im Medienbereich. Wie gut, dass sich die Stiftung parallel um die „Medienordnung 2000“ sorgte und hier mit der Politik äußerst erfolgreich Lösungsmodelle durchspielte. Seitdem galt die alte Faustregel, Bertelsmann sei irgendwie SPD-nah, was eigentlich nie wirklich stimmte – während der große mediale Widersacher Leo Kirch zu Recht im konservativen Lager verortet wurde.

Offiziell hatte sich Reinhard Mohn da längst vom aktiven Vorstandsgeschäft verabschiedet: Der Patriarch hielt sich eisern an die konzerninterne Spielregel, nach der bei Bertelsmann für Führungskräfte schon mit 60 Jahren Schluss ist. Mohn wechselte zunächst an die Spitze des Aufsichtsrats, 1981 dann zur Bertelsmann-Stiftung. Derweil baute er seine zweite Frau Liz langfristig zur Konzern-Mitlenkerin auf – und seine Kinder Brigitte und Christoph in die Unternehmensleitung ein.

Daraus entspann sich ein Machtkampf mit den angestellten Topmanagern des Konzerns, der 2002 im Rauswurf des damaligen Bertelsmann-Vorstandschefs Thomas Middelhoff gipfelte: Middelhoff, der Bertelsmann zu den höchsten Gewinnen der Unternehmensgeschichte verholfen hatte, wollte aus dem nicht börsennotierten Familienunternehmen endlich einen global konkurrenzfähigen Weltkonzern machen, ihn für Anleger öffnen. In einem der seltenen Artikel Mohns war damals zu lesen, es sei „gefährlich, Manager zu haben, welche insgeheim ihre persönlichen Ziele im Unternehmen als vorrangig bewerten“. Er, Mohn, sei „überzeugt, dass die weltweite Welle von wirtschaftlichen Zusammenbrüchen damit in Zusammenhang steht“, schrieb der Bertelsmann-Patriarch in der Welt am Sonntag, sechs Jahre vor Middelhoffs Arcandor-Pleite. Künftig werde keine führende Position bei Bertelsmann mehr gegen den Willen der Familie besetzt, verfügte Mohn. Und leistete sich zusammen mit Liz 2006 den letzten großen Coup zum Machterhalt: Für astronomische 4,5 Milliarden Euro kaufte Bertelsmann ein Aktienpaket des belgischen Financiers Albert Frère zurück. Die Schulden des Deals wiegen heute noch schwer.

Bertelsmann sieht optimistisch in die Zukunft, auch wenn der heutige Vorstandschef Ostrowski in diesem Jahr zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte von Stellenabbau sprechen musste

Auch bei den Public-Private Partnerships lahmt der Konzern: Im fränkischen Würzburg, das als erste deutsche Stadt Dienstleistungen an Bertelsmann outsourcen wollte, ziert man sich seit einem Machtwechsel im Rathaus erfolgreich. Das 2007 begonnene Projekt „Würzburg integriert“ liegt seit 2008 auf Eis, „Würzburg frustriert“, hatte die Main-Post schon vorher getitelt und berichtet, dass nirgendwo Fortschritte für die BürgerInnen zu verzeichnen waren.

Doch Bertelsmann sieht optimistisch in die Zukunft, auch wenn der heutige Vorstandschef Ostrowski in diesem Jahr erstmals von Stellenabbau sprechen musste. Sich die Situation schöner zu reden, als sie ist, auch das gehört zur Tradition von Bertelsmann. Das weiß niemand besser als Reinhard Mohn, der zum wohl peinlichsten Kapitel der Unternehmensgeschichte den Konzern lange schweigen ließ. Es geht um die Legende von Bertelsmann als Widerstandsverlag unter dem Nationalsozialismus. Sie war schon gleich nach Kriegsende bemüht worden, um von den Allierten die so begehrten Lizenzen für neue Druckerzeugnisse zu erhalten. Wobei man sich als ein der Bekennenden Kirche nahestehender Verlag präsentierte, der 1944 sogar noch von den Nazis geschlossen worden war. Dass Bertelsmann neben durchaus christlicher Literatur in deutlichen größeren Mengen Wehrmachtssonderausgaben von kriegsverherrlichenden Büchern mit gutem Gewinn absetzte, geriet dagegen lange Zeit aus dem Blick. Genauso wie die Tatsache, dass das Unternehmen nicht etwa wegen Unterstützung des Widerstands, sondern wegen ganz banaler Schiebereien mit dem gegen Kriegsende immer knapper werdenden Rohstoff Papier mit den staatlichen Behörden aneinandergeriet. Aufgeflogen war das alles erst Ende der 1990er-Jahre, doch Mohn reagierte klug: Eine renommiert besetzte Historikerkommission stellte 2002 zwei Wälzer vor, die die Bertelsmann-Geschichte ohne Beschönigung aufarbeiteten.

Ein ursprünglich 2006 zum 85. Geburtstag von Reinhard Mohn geplanter Film in eigener Sache, der allerdings erst mit Verspätung fertig wurde, fällt dagegen wieder in die Geschichtsklitterung zurück: Im von Bertelsmann-Tochter Teamworx mit großem Staraufgebot produzierten Hochglanzstück spielt Sebastian Koch einen Reinhard Mohn, der stets das Gute will und gern mit den Angestellten einen draufmacht. Um der Gerechtigkeit Genüge zu tun: Im Film sagt der echte Mohn auch, dass es hier und da weniger um das Wohl der Menschheit ging als schlicht darum, Steuern zu sparen. Doch das Werk ist ohnehin nie öffentlich gezeigt worden, sondern wurde nur zur Bertelsmann-internen Erbauung gezeigt.

Nun, nach dem Tod des Patriarchen am Samstag, muss sich Liz Mohn beweisen. Im Sinne von Reinhard Mohn gilt es Bertelsmann durch die Krise zu führen, ohne den Einfluss der Familie auf den Konzern aufzugeben. Wenn sie das schafft, hat sie ihren eigenen Film verdient.