: Zurück zur Stadt der Besitzer
STÄDTEBAU Die Architekturrebellen von der Aktion 507 kritisierten 1968 die brutalen städtebaulichen Projekte der Moderne. Ihre Idee von der lebendigen Stadt setzte sich durch und trug ironischerweise zur Gentrifizierung bei
AKTION 507
VON STEPHAN BECKER
Im September 1968 organisieren junge Berliner Architekten eine Ausstellung. Fundiert kritisieren sie das Baugeschehen der Stadt und dessen ökonomische Grundlagen. Dabei sind es für die Architekten der Stadt goldene Zeiten. Nach den biederen fünfziger Jahren kommt Anfang der Sechziger der Aufbruch nach Berlin. Eine junge Generation um den knapp vierzig Jahre alten Senatsbaudirektor Werner Düttmann übernimmt die Macht. Statt dem Ideal der Gartenstadt ist nun die Metropole der Zwanziger das Vorbild, zu verwirklichen allerdings mit zeitgenössischen Mitteln. Zwischen den Trassen der brandneuen Autobahn sollen schon bald massive Hochhausquartiere für Urbanität durch Dichte sorgen. Als Flächensanierung wird diese Transformation euphemistisch bezeichnet. Gemeint ist der vollständige Abriss und Neubau von intakten Altbauquartieren. Sehr praktisch für die Architekten.
Entscheidend ist jedoch der politische Wille hinter dieser Strategie. Im beginnenden Kalten Krieg soll um jeden Preis die Berliner Bauwirtschaft gestützt werden. Organisiert von den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften entsteht so ein lukrativer Kreislauf. Um die BewohnerInnen der Abrissquartiere unterzubringen, werden Trabantenstädte wie Gropiusstadt und das Märkische Viertel geplant. Und um die dortige Überproduktion vollzubekommen, müssen dann weitere Gebiete in der Innenstadt abgerissen werden. Eine Profitmaschine mit Konsequenzen bis heute: Aufgrund der damaligen Finanzierungsstruktur liegen jetzt gerade im ehemaligen sozialen Wohnungsbau die Mieten oft jenseits aller sozialen Verträglichkeit. Und das nach jahrzehntelangen Subventionen.
Es gab schon damals KritikerInnen, die diese Zusammenhänge anprangerten. Zu den Berliner Bauwochen 1968 organisierte eine Gruppe junger Studenten, Architekten und Assistenten namens „Aktion 507“ die Gegenausstellung „Diagnose zum Bauen in West-Berlin“. Inspiriert von den studentischen Protesten, war diese Gruppe zwar eher links, aber erstaunlich heterogen. Vom arrivierten Architekten bis hin zur marxistischen Theoretikerin waren alle dabei. Entsprechend vielfältig waren auch die Positionen, die detailliert im Manifest der Gruppe nachzulesen sind. Fundiert kritisiert wurden Finanzierungsmodelle und die kapitalistische Bodenpolitik, aber auch die Verfilzung der Verantwortlichen oder die Theoriearmut der Ausbildung.
Wo ist das lebendige Leben in der Trabantenstadt?
Am folgenreichsten aber war, dass mit dem Märkischen Viertel auch die städtebaulichen Lösungen der Vorgängergeneration hart angegriffen wurde. Und zwar nicht aufgrund abstrakter Überlegungen, sondern unmittelbar aus Perspektive der BewohnerInnen. In Gesprächen dokumentiert, fehlte denen vor allem das lebendige Leben der alten Quartiere. Der Aufbruch der sechziger Jahre war schon nach wenigen Jahren gescheitert, auch wenn die städtebauliche Produktion noch fast ein Jahrzehnt länger in diesen Bahnen verlief.
Bemerkenswert an der Diagnose-Ausstellung war aber auch, dass – zumindest im deutschsprachigen Diskurs – zum ersten und einzigen Mal seit der Moderne der Zwanziger die soziale und räumlich-ästhetische Dimension von Stadt als einander bedingend betrachtet wurde.
Mit ihrer Kritik trifft die Gruppe einen langsam einsetzenden Paradigmenwechsel. Längst berichten auch Spiegel oder Zeit über die Missstände in den neuen Vierteln, und die Gruppe bekommt viel Aufmerksamkeit. Trotzdem trennen sich schon bald die Wege der Protagonisten, zu unterschiedlich sind ihre Perspektiven und Motivationen. Damit endet auch die integrierte Betrachtung von sozialen und ästhetischen Dimensionen, bevor jenseits der Kritik eigene Ansätze hätten entstehen können.
Sie retten die Altbauquartiere
Auf ganz unterschiedliche Art sind die einstigen Mitglieder der Gruppe jedoch trotzdem erfolgreich. Während einige hoffen, über die abstraktere Stadtplanung Politik und Broterwerb zu verbinden, zieht es die sozial Orientierten in die Sanierungsgebiete, um den weiteren Abriss von Altbauquartieren zu verhindern. Und einer räumlich-ästhetisch orientierten Gruppe um Josef Paul Kleihues gelingt es, selbst ins Zentrum der Macht vorzudringen. Schon 1979 wird er Planungsdirektor der Internationalen Bauausstellung (IBA) und damit zu einem der prägendsten Akteure der Berliner Stadtpolitik der nächsten Jahrzehnte.
Dem sozialen und politischen Nachdenken entledigt, konzentriert sich die IBA vor allem auf stadträumliche Fragen. Von der Generation Düttmann wird zwar das Ideal der metropolitanen Dichte übernommen, der kritisierte Mangel an räumlicher Urbanität führt Kleihues jedoch zurück zur Stadt des 19. Jahrhunderts. Das neue Konzept heißt nun „Kritische Rekonstruktion“. Anstatt abzureißen, soll der bestehende Stadtgrundriss mit seiner charakteristischen Struktur aus räumlich gefassten Straßen und kleinteiligen Blöcken mittels passender Neubauten vervollständigt werden.
Gegen Kapital und Sozialbau
Was als IBA-Programm noch unter der SPD initiiert wurde, entwickelte sich allerdings nach der Wende unter dem neuen Senatsbaudirektor Hans Stimmann zum fast schon politisch-philosophischen Dogma des von der CDU geführten Senats. Angesichts des vermeintlichen gesellschaftlichen Vakuums, das der sozialistische Städtebau in der Mitte der Stadt hinterlassen habe, wurde nun eine schnelle Heilung mittels der Parzelle, also der ökonomischen Grundeinheit der Stadt der Gründerzeit, versprochen. Gegen gesichtsloses Kapital und Verwahrlosung produzierende soziale Wohnungsbauten wurde die Besitzerstadt positioniert mit der seltsamen Idee, dass nur wer besitzt, auch Verantwortung übernimmt. Und wiederum mit Konsequenzen bis heute, angesichts einer zunehmend homogenen und gentrifizierten Innenstadt und fehlender politischen Steuerungsmittel aufgrund der Privatisierung der letzten zentralen Freiflächen.
Das Projekt „heile Stadt“ ist zu Ende
Die heutigen Probleme Berlins sind das Ergebnis gegenläufiger Tendenzen, die in den Stadtmodellen der sechziger Jahre ebenso gespeist sind wie im kritischen Backlash gegen sie. Trotzdem lässt sich eine wichtige Lehre ziehen. Kleihues hatte mit seinem Stadtmodell auch Erfolg, weil es einem neuen Bedürfnis nach Stadtreparatur und „heiler Stadt“ entsprach. Spätestens mit der letzten geschlossenen Baulücke ist dieses Modell jedoch selbst am Ende.
Was könnte nun folgen? Eine Einsicht hat uns die Aktion 507 hinterlassen, die auch heute noch gilt: „Die herrschenden Parteien haben die Stadt herabsinken lassen zu einem gigantischen Rendite-Objekt. Eine weitere Bewährungsprobe werden wir auf diese Weise nicht überstehen.“ Eine Diskussion ist also notwendig darüber, was Berlin in Zukunft sein soll. Und vielleicht gelingt es dann auch ein weiteres Mal, wie bei der Diagnose-Ausstellung von 1968 die sozialen und ästhetischen Aspekte der Stadt als eng verknüpft zu denken.