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Archiv-Artikel

DVDESKDer Täter im Spiegelkabinett

Alles beginnt mit schwer einzuordnenden Bildern einer Observation. Zwei ältere Männer in einem Straßencafé. Dann sieht man ein Auto, es kommt durch einen Tunnel auf die Kamera zu. Ein Mann wird in einen Raum, eine Art Gefängniszelle, verbracht. Schemen im Lichtkegel, unruhige Handkamera, ein Hund schnüffelt herum. Links oben im Bild die Einblendung von Namen und Daten, Täternamen und Täterdaten. Ein Paul Werner, heute stellvertretender Innenminister von Baden-Württemberg, Erbauer des Todestrakts von Stammheim, einst als hochrangiger Nazi millionenfacher Mörder. Und ein Dr. Alfred Selbert alias Paulssen alias Grodno, einst SS-Geheimdienstchef, heute BND-Chef in Bolivien.

So könnte ein Thriller beginnen. Aber Thomas Harlan konzentriert sich in „Wundkanal“ auf Dr. Alfred Selbert, der in Wahrheit Alfred Filbert heißt. Filbert, so die Fiktion dieses Films, wurde von der RAF nahestehenden Terroristen entführt und für Befragungen und Verhöre in diese Zelle gesteckt. Es ist ein seltsamer Raum, fast eine Bühne. Ein riesiger Spiegel verdoppelt, was man sieht, und zwingt Filbert zur ständigen Konfrontation mit dem eigenen Bild. Außerdem sind Monitore im Raum, auf denen meist Filbert zu sehen ist. Schwer verortbar sind Stimmen, männlich, weiblich, englisch und deutsch, die Filbert Befehle geben, ihn streng befragen, auf Widersprüche in seinen Aussagen hinweisen. Die Kamera bewegt sich suchend durch den Raum, scheint Einzelnes betonen, unterstreichen zu wollen, fokussiert Bücherstapel, herumliegende Dinge und immer wieder Filbert, auf Monitoren, im Raum und sich im Raum auf den Monitoren beobachtend.

Ein Spiegelkabinett als Filminstallation, die den Täter als zerfallende Figur in den Blick nimmt. Das ganz und gar Wahnsinnige daran ist: Alfred Filbert, der Mörder, spielt sich, nicht einmal unfreiwillig, selbst. Der Filmemacher Thomas Harlan, Sohn des Nazi-Regisseurs Veit Harlan („Jud Süß“), hat Filbert zu dieser Selbstvorführung verführt. Er hat ihm nicht zuletzt die Nähe zum Dritten Reich geboten: Veit Harlans Film „Immensee“ läuft auf einem der Monitore, Filbert kennt die Geschichte, die Namen der Darsteller noch genau. Harlan und sein Team haben Filbert mit Geld geködert (50.000 Mark), haben ihn umsorgt, ihm eine Geburtstagstorte gebacken; ein israelisches Teammitglied wollte ihn sogar nach Israel einladen. So wurde Filbert in die Falle der Selbstdekuvrierung gelockt. Infam, könnte man sagen. „Man hat mich gewarnt“, erklärt Thomas Harlan, „Filbert könnte sterben. Umso besser, habe ich gedacht“, sagt er. (In einem Interview, das aus Christoph Hübners faszinierender Harlan-Doku „Wandersplitter“ stammt).

Filbert seinerseits meinte im Gespräch mit einer französischen Zeitung hinterher, er habe Thomas Harlan (man muss ergänzen: so gern) gehorcht wie einst Heydrich. Das leuchtet sofort ein. „Wundkanal“ rekonstruiert in seiner höchst artifiziellen filmischen Experimentalanordnung die Bereitschaft des autoritären Charakters, zu tun, was man ihm sagt. Er führt den Massenmörder als Gehorchenden vor, der noch da bereitwillig mitmacht, wo es um die Zerstörung seines Selbstbilds geht. Was dabei herauskommt, ist nicht einfach ein Geständnis. In der Aufsplitterung des Filbert in eine Folge von Gehorchen, Bekennen, Jawohlsagen, Zurechtrücken, Sich-selbst-Aufspalten erhält man vielmehr das Dispositiv der Unmöglichkeit eines einfachen Bekenntnisses zu unmenschlichen Taten.

Die tiefste Erkenntnis des Ganzen liegt womöglich darin, dass die Wahrheit über einen Massenmörder wie Filbert nicht das Resultat einer „freien“ Geständnisrede sein kann, sondern nur in genau dieser Konstellation aus Verführung, Dressur und Trug sichtbar wird. Dass Harlan durch das Infame der Anordnung an die Stelle eines Heydrich tritt, nimmt er gern in Kauf. Ja, er lässt sein eigenes problematisches Verhalten sogar noch einmal dokumentieren. Während des Drehs ist der Regisseur Robert Kramer mit der Kamera dabei. Das Ergebnis „Notre Nazi“ zeigt die Entstehung des Films als Kampf und vermittelt so ein ganz anderes Bild als der fast unendlich kühle „Wundkanal“ selbst. Auch „Notre Nazi“ ist auf der Doppel-DVD enthalten, die ein Schlüsselwerk filmischer Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte in vorbildlicher Form endlich wieder zugänglich macht. EKKEHARD KNÖRRER

■ „Wundkanal“. Regie: Thomas Harlan (D 1984). Edition Filmmuseum, 29,95 €