: „Jeder soll sein Glück maximieren“
EMOTIONEN Warum ist es unprofessionell, Gefühle zu zeigen? Wie wird man mit den Geschichten des eigenen Versagens zum Millionär? Ein Gespräch mit der Soziologin Eva Illouz über den Siegeszug der Psychologie
■ geb. 1961 in Fes, Marokko. Sie lehrte in Frankreich und den USA und ist heute Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Bekannt wurde sie 1997 mit ihrer Studie „Consuming the Romantic Utopia“ über „Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus“.
■ Ihr jüngstes Buch „Die Errettung der modernen Seele“ widmet sich dem Siegeszug der Psychologie und seinen Folgen. Es ist im Suhrkamp Verlag erschienen, hat 412 Seiten und kostet 26,80 Euro.
INTERVIEW ULRICH GUTMAIR
taz: Frau Illouz, was sagt es über die amerikanische Gesellschaft, wenn der Held der populären TV-Serie „The Sopranos“ ein Mafiaboss ist, der unter Panikattacken leidet?
Eva Illouz: Das erzählt uns erst einmal etwas über Männlichkeit in den USA. Das neue Modell der androgynen Persönlichkeit besteht darin, dass Frauen nun auch männliche Attribute besitzen. Sie sind aufgerufen, bestimmter aufzutreten, autonomer zu sein und sich an Zielen zu orientieren. Von Männern wiederum wird erwartet, dass sie auf ihre Gefühle achten und dazu in der Lage sind, die Beziehungen zu ihren Nächsten auf überlegte Weise zu regeln.
Die gängigen Rollenmodelle werden auf den Kopf gestellt?
Ich behaupte nicht, dass sich die Rollenzuschreibungen umkehren, sondern dass sich die Geschlechteridentitäten einander annähern. Auf Männern und Frauen lastet immer größerer Druck, tradierte Attribute des anderen Geschlechts zu übernehmen. Wenn wir nun zu Ihrer Eingangsfrage der Panik zurückkommen, dann ist das ein Aspekt davon: Mafiaboss Tony Soprano zeigt, dass sich Maskulinität in einer Krise befindet. Das alte Rollenmodell von Stärke und Schweigsamkeit funktioniert nicht mehr. Warum aber wird dieses Modell bei Tony Soprano durch Panikattacken herausgefordert?
Ja, woher kommt die Panik?
Das moderne Leben wird durch schiere Willenskraft zusammengehalten – durch Willenskraft, Improvisationsfähigkeit und Selbstmanagement, also die stetige Sisyphosarbeit der Selbstgestaltung. Panik resultiert aus dem Zwang, die eigene Position in der Welt nur aus sich selbst ableiten zu müssen. Tony Soprano ist da nicht anders als seine Mitmenschen.
Die Ironie der Geschichte besteht demnach darin, dass sich auch Tony Soprano diesem Zwang beugen muss, obwohl er den Patriarchen symbolisiert, dessen Autorität unanfechtbar ist. Der aber existiert heute nicht mehr?
Tony Soprano ist das, was Soziologen und Anthropologen eine Übergangsfigur nennen, also eine Figur, die verschiedene Welten miteinander verbindet. Tony Sopranos Krise verbindet die alte und die neue Männlichkeit, aber auch die traditionelle Ehe und die neue Form der Ehe. Letztere gründet auf den individuellen Gefühlen und Wünschen der Leute, die sich zusammengefunden haben, weil sie dadurch Befriedigung erfahren. Soprano steht für die Vermittlung zwischen einer hierarchischen und einer demokratischen Ordnung.
Noch eine andere Figur der amerikanischen Popkultur hat Ihre Aufmerksamkeit erregt: Oprah Winfrey. Ist sie ein Beispiel dafür, wie unsere therapeutische Gesellschaft funktioniert, die Sie in Ihrem jüngsten Buch beschrieben haben?
Absolut. Winfrey wurde zu einer unglaublich erfolgreichen Persönlichkeit, weil sie die Geschichte ihres eigenen Scheiterns offengelegt hat. Sie sprach über ihr mangelndes Selbstwertgefühl und darüber, wie schlecht sie von Männern behandelt worden ist. Wie sie mit 14 schwanger wurde, als sie von einem Mitglied ihrer Familie vergewaltigt wurde. Sie entblößte ihre verletzte Psyche. Sie wurde zu einer der reichsten Frauen in den USA, und trotzdem konnte sie weiterhin Geschichten vom Versagen erzählen. Etwa: „Ich wollte ein Buch über mein Leben schreiben, aber ich konnte nicht. Denn als ich mich mit mir selbst konfrontierte, kam ich damit nicht zurecht.“ Das therapeutische Narrativ ist der Schlüssel für den Erfolg von Oprah Winfrey. Es handelt sich bei diesem Narrativ um eine sehr geschickte Erzählweise, weil es den Erzähler in die Position des Verlierers versetzt, obwohl er in Wirklichkeit ein Gewinner ist.
Die Person wird in der therapeutisch geprägten Gesellschaft als Opfer definiert, das seine Geschichte erzählen soll.
EVA ILLOUZ
Richtig. Das Interessante an der therapeutischen Erzählung ist aber, dass sie das Selbst spaltet: Es gibt einerseits das vergangene Selbst, das passives Opfer der Aktionen eines anderen ist, andererseits das gegenwärtige und zukünftige Selbst, das hochaktiv ist. Seine Aufgabe besteht darin, das vergangene Selbst in Besitz zu nehmen und es zu verändern. Die Idee ist, dass sich jeder aus sich selbst heraus völlig neu erschaffen soll.
Niemand ist für seine Vergangenheit, aber jeder für seine Zukunft verantwortlich?
Verantwortlich ist man nur dafür, welche Rolle die vergangene Persona, das alte Selbst in der Gegenwart und der Zukunft spielen soll. Man ist verantwortlich dafür, die Vergangenheit zu überwinden.
Im Fernsehen darf man über seine Gefühle sprechen. Am Arbeitsplatz hingegen ist Emotionalität verpönt, wie Sie durch Interviews mit US-amerikanischen Angestellten aus dem mittleren Management herausgefunden haben.
Deutlich wird dies an der Definition des Begriffs der Unprofessionalität. Unprofessionell zu sein heißt nicht, dass man in der Sache inkompetent wäre. Sondern dass jemand seine Beziehung mit anderen nicht so managt, wie es die Verhaltensregeln vorsehen. Denn professionelle Kompetenz beinhaltet vor allem eine Sichtweise darüber, wie Gefühle ausgedrückt und gesteuert werden sollen. Wenn man über jemand sagt, er oder sie verhalte sich unprofessionell, dann bedeutet das meist, dass diese Person ihren Gefühlen freien Lauf lässt. Wer deprimiert oder wütend ist und diesen Gefühlen am Arbeitsplatz Ausdruck verleiht, gilt als unprofessionell.
Einerseits ist es wichtig geworden, zuhören zu können, andererseits ist das Zeigen eigener Gefühle verpönt. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Für die Psychologen ist eine wirklich mächtige Person jemand, der sich nicht von anderen kontrollieren lässt, weil er seine eigenen emotionalen Reaktionen unter Kontrolle hat. Das kann man aber nur tun, indem man seine Gefühle kennt. Jeder von uns ist mit Situationen konfrontiert, in denen andere versuchen, uns zu beleidigen oder zu verletzen. Die Frage ist, wie wir darauf reagieren. Nicht darauf zu reagieren, gilt als Beweis innerer Stärke. Am Arbeitsplatz geht es darum, sich beherrschen zu können. Diese Fähigkeit der Selbstkontrolle gilt als Ausweis dafür, dass man auch andere führen kann.
Sie haben Angestellte gefragt, was sie tun würden, wenn ein Vorgesetzter die eigene Inkompetenz auf sie abwälzte. Die meisten sagen, sie würden gar nichts tun, sich höchstens um einen neuen Job bemühen. Führt das Leitbild der Selbstkontrolle zu Opportunismus?
Das tut es ganz sicherlich. Es handelt sich um ein Modell der extremen Rationalisierung des Selbst. Ihm liegt die simple Aufforderung zugrunde, dass man utilitaristisch seine Ziele verfolgen muss, um Erfolg zu haben. Jeder soll sein Glück maximieren. Das aber bedeutet, dass es als Zeichen der Unreife begriffen wird, Werte oder Prinzipien bei einer Auseinandersetzung ins Spiel zu bringen.
Sie haben sich selbst mit Gewinn einer Therapie unterzogen. Was hat diese Erfahrung mit Ihrer Arbeit zu tun?
Viele meiner Texte sind autobiografisch. Ich versuche, die Kategorien meiner eigenen Erfahrungen zu verstehen. Die Soziologie, die ich betreibe, ist also eine Art umgedrehter Therapie. Wenn ich merke, dass ich mich auf eine Art und Weise benehme, die in einem bestimmten normativen Rahmen als nicht angemessen wahrgenommen wird, dann frage ich mich: Woher kommen diese Normen? Viele halten Psychologie für einen Schwindel. Ich glaube nicht, dass das ein interessanter Umgang mit dem Phänomen ist. Die Frage ist doch vielmehr, wie und warum sie so gut funktioniert.
Sind Sie eine untypische Person, weil Sie viele neue Normen nicht verstehen – oder gerade deswegen typisch?
Ich glaube, dass ich eine typische Person bin, weil sehr viele Leute mit denselben Problemen kämpfen. Der Unterschied ist nur, dass die meisten von ihnen keine Soziologen sind.