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Archiv-Artikel

Ein gemachter Kolonialist

GEDENKKULTUR Auch wenn Otto Friedrich von der Groeben nur ein Abenteurer im Dienste des Sklavenhandels war: Das nach ihm benannte Ufer in Kreuzberg ehrte die Vorgeschichte der Kolonien und setzte damit im 19. Jahrhundert ein propagandistisches Zeichen

In Groebens Reisebeschreibungen findet man sorgfältige Beobachtungen der Fanti

VON PHILIPP GOLL

Am 6. Mai des Jahres 2009 schien die Welt für einen Moment eine gerechte zu sein. Auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschied der Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg die Umbenennung des Gröbenufers in May-Ayim-Ufer. Schon lange forderte der Berliner entwicklungspolitischen Ratschlag (BER) – eine Dachorganisation, in der sich 70 Nichtregierungsorganisationen versammeln – eine kritische Auseinandersetzung mit der deutschen kolonialen Vergangenheit.

2007 gab der BER ein Dossier für Berlin mit einer Liste von 40 Straßennamen heraus, die kolonialen Bezug aufweisen, und sprach Empfehlungen aus, elf von ihnen umzubenennen. Darunter ist auch das Gröbenufer. Anlässlich der Gewerbe- und Kolonialausstellung von 1895 war das Kreuzberger Ufer Otto Friedrich von der Groeben zu Ehren benannt worden. Als „Pionier“ des deutschen Kolonialismus sollte er dem Deutschen Kaiserreich den Weg in eine imperiale Politik weisen. Bis heute steht allerdings die Frage im Raum, ob diese Aneignung Groebens auf historischen Fakten beruht.

Drang an die Sonne

Die Erforschung des deutschen Drangs nach einem „Platz an der Sonne“, wie die kolonialen Bestrebungen sprichwörtlich genannt werden, führt in der Geschichtsschreibung eher eine Schattenexistenz. Die „verspätete Nation“ Deutschland, so eine verbreitete Meinung, habe nur eine marginale Rolle im Kolonialismus gespielt; die Unordnung in der Innenpolitik habe eine Expansion nach außen auf der Agenda nach unten rutschen lassen.

Dabei machte schon Hannah Arendt 1951 in ihrer Studie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ (1955 auf Deutsch) auf die Zusammenhänge von Imperialismus und totalitären Systemen aufmerksam. Während sich die Forschung in der DDR naturgemäß früh bemühte, Traditionslinien zwischen Kapitalismus, Imperialismus und Faschismus zu ziehen, richtete die westdeutsche Forschung ihre Aufmerksamkeit erst seit den 70ern auf koloniale Kontinuitäten. Heute, im postkolonialen Zeitalter, erregen vor allem Straßenumbenennungen, in denen sich koloniale Erinnerungskulturen manifestieren, die Gemüter von Anwohnern und Historikern. Für Letztere geht es unter anderem um den Beginn der deutschen Kolonialgeschichte. Ältere Forschungen datieren die Geburtsstunde der deutschen Kolonialgeschichte auf 1884/85, als Reichskanzler Otto von Bismarck die europäischen Kolonialmächte zur Berliner Afrikakonferenz einlud, um Afrika in Kolonien aufzuteilen. Neuere Ansätze versuchen Kontinuitäten offenzulegen.

Die Propagandisten einer kolonialistischen Politik gegen Ende des 19. Jahrhunderts wollten sich in einer kolonialen Tradition verortet wissen. Und diese fanden sie in den Kolonialbestrebungen des kurbrandenburgisch-preußischen Staates begründet, die einen gewissen Otto Friedrich von der Groeben in den 1680er-Jahren an die Westküste Afrikas in das heutige Ghana führten. Am Kap der drei Spitzen zwischen Elfenbein- und Sklavenküste, an der Goldküste, sollte das Fort Großfriedrichsburg errichtet werden, das wortwörtlich das Fundament für die gleichnamige Kolonie legte.

Ziel: Sklavenhandel

Auf Anraten des Reeders und brandenburgischen „Oberdirektors in Seesachen“, Benjamin Raule, erwog der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg zu Beginn der 1680er-Jahre, eine Expedition nach Guinea zu schicken, um die Möglichkeiten eines Festungsbaus auszukundschaften. Während dieser Reise war es gelungen, mit einem afrikanischen Stammeshäuptling einen „Vertrag“ über den Bau einer Festung abzuschließen. Zwei Jahre später, 1682, entsandte der Große Kurfürst abermals zwei Schiffe nach Afrika, um den Vertrag zu erneuern. Unter Leitung des 27-jährigen Otto Friedrich von der Groeben stachen die „Moriaen“ (holl.: Mohr) und die „Churprinz“ im Juli 1682 in Richtung Afrika in See.

Zwar war die Groeben'sche Mission eindeutig darauf angelegt, auch Sklavenhandel zu betreiben, in seiner „Guineischen Reisebeschreibung“ hingegen, die Groeben nach seiner Rückkehr 1694 veröffentlichte, findet man weniger ethnozentrisch-kolonialistische als sorgfältig beobachtende Beschreibungen des Volkes der Fanti, das in der Küstenregion lebte, in der die Festung errichtet werden sollte, und dort Handel trieb. Über die Beerdigungsriten zum Tod eines Mannes schreibt er etwa: „Wenn der Mann gestorben und mit grossem Geschrey in die Erde gebracht, beweinen ihn die Weiber fünff bis sechs Tage lang. Unter wärender Trauer werden sie von den Verwandten besuchet und kommen offt in die hundert Frauen zusammen, so unter einander ein setzames Geheul machen. Nach den Trauer-Tagen kommen die andern Freunde, beschencken die Leydtragende mit güldenen Ringen, bunten Tüchern, so sie um die Lenden binden“.

Die Erforschung des deutschen Kolonialismus führte lange eine Schattenexistenz

Lob der Kriegskunst

An anderer Stelle preist er die Kriegskunst der Fanti: „Ich habe mir wohl 1000 mahl gewünschet, wann es die Zeit hätte leiden wollen, den Zügen der Schwartzen beyzuwohnen, und ihre Krieges-Disciplin augenscheinlich abzumercken, indem sie mit grosser Macht zum Streit ziehen, und vor allen Dingen ihren Häuptern grossen Gehorsam leisten. Etliche brauchen Mußqueten, andere Asigaien (Speere – d.V.) und grosse Messer, fechten so nachgierig, daß sie in offenen Kriegen nicht leichtlich Perdon geben.“

Die Vermutung liegt nahe, dass Groeben, der schon vor seiner Guinea-Expedition durch Westeuropa und den nahen Osten reiste, ein Abenteurer war, der in der Afrikafahrt eine Gelegenheit sah, seinen Durst nach fremden Ländern zu stillen. Aufgrund fehlender Quellen ist es nicht einfach möglich, ihm kolonialistische Motive zu unterstellen. Doch es steht außer Frage, dass das Fort Großbrandenburg im großen Stil Sklavenhandel betrieb. Nach Schätzungen von Historikern wurden zwischen 1681 und 1698 etwa 30.000 Sklaven durch brandenburgische Schiffstransporte aus Afrika auf karibischen Märkten verkauft. Das Fort gehörte zu den führenden Handelsstationen und war für die „Brandenburgisch-Afrikanische-Kompanie“ der wichtigste Umschlagsplatz für Sklaven aus dem Hinterland Westafrikas.

„In Berlin sind (…) die heute noch existierenden Straßen ‚Gröbenufer‘ und ‚Guineastraße‘ Zeugnisse des kolonialen Abenteuers des Großen Kurfürsten“, schreibt der Kolonialhistoriker Ulrich van der Heyden in seinem aufschlussreichen Buch „Rote Adler an Afrikas Küste“. Auch wenn Groeben instrumentalisiert und zu einem Kolonialisten gemacht wurde – die Namengebung des Gröbenufers erfolgte in einem kolonialistischen Kontext und explizit als Ehrung für die Gründung der Kolonie Großfriedrichsburg. Eine Umkehrung der Perspektive ist nötig und mit May Ayim (1960–1996), einer afrodeutschen Dichterin und Aktivistin gegen Rassismus, möglich.