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Archiv-Artikel

Ungewohnte Perspektiven auf die Stadt

SCHAU Am Tag der Architektur war am Wochenende auch Ungewöhnliches zu sehen: Am Ernst-Reuter-Platz wurde die Mittelinsel erobert und auf der Fischerinsel ein modernes Baumhaus gezeigt. 40 Projekte hatte die Architektenkammer ausgewählt

Mehrere Jahre hat Sören Hühnlein an der TU am Ernst-Reuter-Platz Architektur studiert. „Doch auf der Mittelinsel“, gesteht er, „war ich nur zweimal.“ Als er mitbekam, dass auch andere den Weg nicht auf die Grünfläche am autoumbrausten Kreisverkehr finden, hat er mit zwei Partnern einen Wettbewerbsentwurf eingereicht. So entstand das Aktionsbündnis Ernst-Reuter-Platz.

Im Sommer 2011 wurde die Mittelinsel bespielt. Wer durch den Tunnel auf die Grünfläche fand, konnte sich ein Sitzkissen und einen Platz erobern. „Es gibt die beiden Geschwindigkeiten des Ernst-Reuter-Platzes“, sagt Hühnlein. „Wer außen entlanggeht, ist in Eile, sieht den Verkehr, hat kein Auge für die Mittelinsel. Wer mitten auf dem Platz steht, hat alle Zeit der Welt.“

Am Sonntagnachmittag steht Söhnken Hühnlein wieder auf der Mittelinsel und wartet auf Besucher für die nächste Führung. Das Happening von 2011 hat die Berliner Architektenkammer als eines von 40 Projekten ausgewählt, die am Tag der Architektur am Samstag und Sonntag zu besichtigen waren. Wieder stehen Stühle und Sitzkissen herum, der Anblick eines Lesenden provoziert alle gängigen Vorstellungen dieses autogerechten Platzes aus den fünfziger Jahren. Im Kalten Krieg sollte er das moderne Gegenüber zum Strausberger Platz bilden. Was man überhaupt nicht erwartet, ist die Geräuschkulisse. Das Rauschen des Springbrunnens überdeckt das des Verkehrs. Es gibt sie tatsächlich, die äußere und die innere Perspektive. Letztere ist, auch wenn sie kaum einer einnimmt, deutlich attraktiver.

Um die Mittelinsel künftig einem größeren Publikum zu öffnen, sind Hühnlein und seine Partner Henning Götz und Hans-Gerd Rudat im Bezirk Klinkenputzen gegangen. „Alle Fraktionen in der BVV sind inzwischen dafür, auch oberirdisch über eine Fußgängerampel den Zugang zu ermöglichen“, freut sich Hühnlein. „Nur der Verkehrssenator stellt sich noch quer.“

Nicht als „temporäre Intervention“ wie am Ernst-Reuter-Platz, sondern als klassische Architektur präsentiert sich auf der Fischerinsel in Mitte ein Baumhaus. Entstanden ist es aus einem Kinderworkshop des Kreativhauses, berichtet der Architekt Florian Kneer. „Die wollten unbedingt ein Baumhaus, also haben wir uns hingesetzt, geplant und schließlich gebaut.“ Spiralenförmig gelangt man auf den Holztreppen um den chinesischen Götterbaum nach oben. „Hier ist man fast schon im Reich der Vögel“, sagt Kneer.

Der Architekt weiß, dass man ein Baumhaus auch anders hätte bauen können – wie in der Kulturinsel Einsiedel bei Görlitz etwa, wo es Hexenhausbaumhäuser mit schiefen Türmchen gibt. „Ich wollte zeigen, dass ein Baumhaus auch Architektur sein kann“, freut sich Kneer. Die Einladung zum Tag der Architektur hat ihm recht gegeben. UWE RADA