schmeiß die oma auf den teller von HARTMUT EL KURDI
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Als freischaffender Theaterregisseur ist man oft auf Montage und lebt aus dem Rollköfferchen. So habe ich die letzten sieben Wochen in einem Gästezimmer des Volkstheaters Rostock verbracht, das intern „die Suite“ genannt wird, weil es im Gegensatz zu den anderen Zimmern über ein Doppelbett verfügt. Gegessen habe ich ausschließlich in der Theaterkantine. Morgens, mittags und abends. Ich kenne einige Theaterkantinen und jede ist ein Erlebnis für sich, aber die Rostocker Kantine bedeutete für mich unwissenden Westler reine Exotik, da man mich hier liebevoll mit der ganzen Bandbreite der DDR-Kulinarik bekannt gemacht hat.

So stand neulich „Jägerschnitzel“ auf der Karte, und ich erwartete, wie ich es aus tausend schmierigen Autobahnraststätten kannte, ein fieses Schweineschnitzel mit Tüten-Pilzsoße. Was mir aber Waltraud, die von allen zu Recht verehrte Kantinengöttin, auf den Teller legte, war etwas paniertes Rundes. Da ich mich grundsätzlich nicht sofort beschwere, sondern gern mal überraschen lasse, sagte ich nichts. Vielleicht stand da ja ein Geometrie-Freund in der Küche und schnitt mit einer großen Fleisch-Schere die unförmig in alle Richtungen lappenden Schnitzel schön kreisförmig. Weil er es so ästhetischer findet. Oder man war hier womöglich im Besitz einer jener sagenumwobenen „Rundschnitzelstanzen“, deren Existenz mir einfach nur noch nicht zu Ohren gekommen war. Und wer wollte angesichts einer solchen Erfindung doof rummaulen?

Ich setzte mich zu Herrn Donat und begann zu essen. Irgendwann wurde ich nachdenklich: „Sachma, kann das sein, dass das Jägerschnitzel … ’ne dicke Scheibe Wurst ist?“ – „Watt’n sonst?“, berlinerte Herr Donat. „Ditt is ’ne panierte Scheibe Jagdwurst. Jägerschnitzel eben.“ Er tat unschuldig, aber seinen Augen konnte ich ansehen, dass er sehr wohl den Grund meiner Verwirrung kannte. Ich nickte und kaute weiter. Warum auch nicht? Vom Prinzip her war das „Jägerschnitzel“ nichts anderes als warmer „Leberkäse“. Und der hat ja auch weder was mit Leber noch mit Käse zu tun. Und hat sich da je jemand beschwert? Ebend.

Ein anderes Mal bestellte ich „Grützwurst“. Ich bekam einen Teller mit Kartoffeln, Sauerkraut und einem rötlich-braunen Wurstbrei. Als ich mich setzte, nickte mir Herr Hückler wissend zu. Herr Hückler ist der für mich zuständige Dramaturg und somit verpflichtet, mir die Welt zu erklären: „Sieht ja nicht gut aus, die alte Dame“, sagte er. Ich schaute mich um. Welche „Dame“ meinte er? „Da auf deinem Teller“, sagte er und zeigte auf die Grützwurst, „das nennt man ‚Tote Oma‘, das gibt’s auch ohne Blutanteil, dann ist die Oma grau.“ Offenbar wollte er mich damit schockieren. Aber da ich aus Nordhessen, der Heimat Armin Meiwes’, stamme, kenne ich diesbezüglich keinen Schmerz. Da isst man auch Omas.

Zwei Tage später verkündeten übrigens Frau Czesienski und Frau Schall, beide ebenfalls gelernte DDR-Bürgerinnen, in ihrem Umfeld sei die „Tote Oma“ unter dem Pseudonym „Verkehrsunfall“ serviert worden. Und ehrlich gesagt, beim Blick auf den Teller mag man gar nicht entscheiden, welcher Name der treffendere ist …