: Sackgassen erfolgreich vermeiden
VERSÖHNUNG Der Grüne Robert Habeck will einen linken Patriotismus entwerfen, der Gemeinwohl und Kapitalismus zusammendenkt
Im Jahr 1998 legte der brillante US-amerikanische Philosoph Richard Rorty sein Buch „Achieving Our Country“ vor, dessen deutscher Titel „Stolz auf unser Land“ in eben die Irre hineinführte, aus der Rorty im Text heraus wollte. Denn Rorty entwarf einen linken Patriotismus, der sich vom bloßen Stolz löste und stattdessen andere politische Gefühle beschwor: die Hoffnung, den Gemeinsinn, die Solidarität.
Niemand verkörpert diese Form von Aufbruch seither so überzeugend wie Barack Obama. Und niemand hat seither so intensiv und größtenteils überzeugend wie Robert Habeck versucht durchzudeklinieren, wie der bei Rorty entworfene, von Obama bewiesene Habitus auf Deutschland zu übertragen wäre. „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“, heißt das Buch des schleswig-holsteinischen Grünen-Fraktionschefs. Er verlangt ein „Ja zum Gemeinwohl“. Sonst werde das nichts mehr mit der Rettung des Planeten, und mit der Schaffung von Gerechtigkeit auch nicht.
Prügel vorausahnen
„Ich weiß, während ich diese Sätze schreibe, dass ich dafür Prügel beziehen werde“, schreibt Habeck. Das ist mehr als Koketterie, das ist auch Angst. Habeck, Jahrgang 1969, hat schon einige Regeln grüner Profipolitik missachtet und ist damit auch bundesweit aufgefallen.
Habeck verweist auf die Rot-Grünen, die Gerhard Schröders und auch Joschka Fischers, um zu belegen, was er meint. Rot-Grün konnte am Ende nicht – und im Nachhinein noch weniger – überzeugen, meint Habeck, weil die Gerade-noch-Aufrührer sich allzu schnell den Kapitalmächtigen und der eigenen Machtverliebtheit unterworfen hätten. „Es gab einfach kein eingeübtes Rollenmuster, das es ermöglicht hätte, staatstragend und aufbegehrend gleichzeitig zu sein.“
Wie unter Berücksichtigung dieser so wichtigen Stilfrage eine Politik aussähe, die nicht mehr antikapitalistisch, aber radikal, die gemeinwohlorientiert, aber nicht völkisch ist, führt Habeck an alten wie neuen Grünen-Themen vor. Ausländerwahlrecht und Sozialdienst werden da aber eher nur angesprochen, Grundeinkommen und Bildungsgeld hingegen liebevoll ausgebreitet. Dankenswerterweise galoppiert Habeck nicht in die „Bildungsgerechtigkeit statt Umverteilung“-Sackgasse, sondern stellt Konzepte vor, wie beides zusammengeführt werden könnte. ZynikerInnen aus dem Hauptstadtbetrieb werden sie sofort unter „niemals mehrheitsfähig“ und „Spinnerei“ verbuchen, doch hilft allein schon die Lektüre, etwas Abstand zum nervenverzehrenden Bildungsföderalismus und sozialpolitischen Klein-Klein zu gewinnen.
Erstaunlich dünn für einen Berufsschriftsteller fällt dagegen etwa das Kunst-Kapitelchen aus. Etwas abgescheuert für einen politischen Ästheten ist absatzweise auch die Sprache. Da werden alte linke Zöpfe abgeschnitten, alte Gräben verlassen und Scheuklappen abgelegt, dass es nur so eine Art hat.
Partner benennen? Nö
Gravierender aber ist, dass Habeck einen großen Widerspruch nicht auflösen kann, den denkbar größten für jemand, der sich als – mittlerweile – Berufspolitiker emphatisch zur Verantwortung, also zum Regierenwollen bekennt. Habeck lehnt das Lagerdenken ab, es gehört seiner Ansicht nach in den alten Kosmos der erstarrten Politikrituale. Rot-Rot-Grün etwa ist für ihn erst einmal bloß „eine der neuen Bündnismöglichkeiten unter anderen“. Doch lässt Habeck nicht im Ansatz erkennen, mit wem er zusammenarbeiten möchte, bis das Land für eine Neo-Grünen-Alleinregierung bereit ist.
Richtig konstatiert Habeck, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise der „aufgeklärten Linken“ bislang keinen Vorschub geleistet hat, obwohl ihr doch die analytischen Instrumente zum Umgang damit zur Verfügung stehen müssten. Doch hier bohrt er nicht nach, wo das Defizit steckt. Vielleicht wissen deutsche Linke eben doch nicht genug über Finanzen? Stattdessen zieht Habeck sich zurück auf die Vermutung, dass seine Generation eben insgesamt zu gleichgültig sei. Gleichgültigkeit habe auch schon die Grünen zu rot-grünen Regierungszeiten gekennzeichnet. Aber kann die mit einem Bekenntnis zum Gemeinwohl durchbrochen werden?
Habeck steht als Person, als Politiker für einen solchen Versuch. Ein wenig schwingt er sich hier auf, den kleinen Obama zu geben. Es sei ihm verziehen – besser mehr als zu wenig linker Ehrgeiz. ULRIKE WINKELMANN
■ Robert Habeck: „Patriotismus. Ein linkes Plädoyer“. Gütersloher Verlagshaus 2010, 207 S., 19,95 €