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Archiv-Artikel

Flüchtlinge als Betriebsgeheimnis

FORDERUNG Humanitäre Hilfe muss angesichts der Syrienkrise transparenter, Know-how geteilt werden

Matthias Leibbrand

■ 45, ist Geschäftsführer der Hilfsorganisation Vision Hope International mit Sitz in Emmendingen. Vision Hope arbeitet seit über 10 Jahren im Jemen, Afghanistan und an der syrisch-jordanischen Grenze. Es geht häufig um Projekte der integrierten Not- und Übergangshilfe und der nachhaltigen Entwicklung, wie etwa Trainingsprogramme für arabische Jugendliche oder nachhaltige Regenwassersammlungsprojekte.

■ Acht Monate nach der Entscheidung, 5.000 der etwa 2 Millionen Flüchtlinge aus Nachbarländern Syriens aufzunehmen, sind knapp 600 in Deutschland angekommen, so diese Woche das Bundesinnenministerium.

VON MATTHIAS LEIBBRAND

In Syrien und in den Nachbarstaaten benötigen unfassbare 6,8 Millionen Menschen dringend humanitäre Hilfe. Die Vereinten Nationen schätzten im Juni dieses Jahres, dass 1,4 Milliarden Euro nötig sind, um ihnen zu helfen. Bisher hat die Staatengemeinschaft gerade mal ein Drittel zur Verfügung gestellt.

Vielleicht hat die Staatengemeinschaft gute Gründe, warum sie kein Geld für die humanitäre Hilfe in Syrien gibt. Die Krise offenbart nämlich vehemente Schwächen der internationalen Not- und Katastrophenhilfe.

Zwischen den großen Hilfsorganisationen herrscht ein großer Konkurrenzdruck um sehr limitierte Mittel. Ein Wettbewerb um Steuergelder, wobei die „humanitären“ Akteure wenigstens genauso auf ihre eigenen Interessen achten wie auf die der Menschen, denen geholfen werden soll/muss. Vielen großen Organisationen ist die Passion der kleinen Initiativen abhandengekommen. Sie sind mehr an „Branding“ und der Steigerung ihrer Marktanteile interessiert.

Konkret bedeutet das, dass wenig Wissens- und Ideenaustausch zwischen den großen Organisationen, die in humanitären Clustern der Vereinten Nationen koordiniert werden, und kleinen, aber dynamischen Initiativen stattfindet. Erfolgreiche Projekte im Wert von etlichen Millionen Euro werden von den großen gemeinnützigen Organisationen wie Patente von Industrieunternehmen geschützt und als „Betriebsgeheimnisse“ behandelt. Dies ist in Anbetracht dieser riesigen humanitären Aufgabe inakzeptabel.

Ein Beispiel: In den letzten zwei Jahren haben sich viele kleine Organisationen von Syrern in Deutschland gebildet, die in Syrien über wertvolle Netzwerke zur Verteilung von Hilfe verfügen. Sie kennen ihre Landsleute, haben über ihre Kontakte vor Ort oft Zugang zu umkämpften Gebieten und eingeschlossenen Flüchtlingsfamilien.

Was diese Organisationen nicht haben, ist ein großer Lobbyapparat oder ein solides Kontaktnetz zu staatlichen und internationalen Geldgebern. Sie verfügen auch nicht über die Kapazität, großflächige humanitäre Hilfseinsätze durchzuführen. Sie wissen, wo die Menschen in Not sind, und sie wissen, wie man diese Menschen erreicht. Aber sie haben nicht die Möglichkeit, große Hilfe zu organisieren.

Auch die Abstimmung zwischen den großen Hilfsorganisationen in den UN-Clustergruppen ist nicht immer reibungslos. Somit wird die Hilfe an manchen Stellen doppelt und dreifach geleistet, in Großstädten oder in Nachbarländern zum Beispiel. Hier ist es leicht, Menschen zu erreichen. Und in anderen, abgelegeneren Gegenden wird viel zu wenig geholfen.

Ich plädiere für eine bessere Koordination und eine stärkere Zusammenarbeit der Hilfsorganisationen, großer und kleiner, syrischer und deutscher. Kleine syrische Organisationen und Initiativen, die mit viel Herzblut und oftmals ehrenamtlich arbeiten, könnten als Brücken zwischen Konzepten der humanitären Hilfe des Okzidents und des Orients dienen.

Alle Organisationen sollten ihre öffentlich geförderten Projektpläne allen interessierten Organisationen im In- und Ausland zur Verfügung zu stellen. So könnten sich Kollegen, die sich ebenfalls in der Syrienkrise engagieren, an diese Arbeit anpassen oder sie ergänzen.

Gute humanitäre Hilfe wird sorgfältig geplant. Die deutsche Bundesregierung – über das Auswärtige Amt oder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit – verlangt zu Recht sorgfältig ausgearbeitete Projektanträge, bevor sie Geld bewilligt.

Mein Vorschlag ist, diesen ganzen Prozess öffentlich zu machen: durch eine Onlineplattform der von deutscher Seite geförderten Projekte über den gesamten Verlauf, von der Antragsphase über die Darstellung der Projektfortschritte bis zu den Abschlussberichten und externen Evaluierungen. Das würde das geballte Wissen der großen Hilfsorganisationen mit der Energie und dem Enthusiasmus der kleinen Initiativen vereinen.

Durch diesen Schritt würde ein maximales Maß an Transparenz, Koordination und Zusammenarbeit gefördert. Das wäre im Sinne der Menschen in Syrien. Denn für sie spielt es keine Rolle, wer hilft oder woher die Hilfe kommt. Für sie zählen Mitmenschlichkeit und die Vermittlung von Hoffnung. Jetzt.