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Archiv-Artikel

Flüchtlinge wie Vieh behandelt

ITALIEN Im Flüchtlingslager Lampedusa mussten sich Männer im Freien nackt ausziehen. Dann wurden sie mit einem Schlauch gegen Krätze desinfiziert. Welle der Empörung

Die Genossenschaft Lampedusa Accoglienza verdient pro Flüchtling 40 Euro täglich

AUS ROM MICHAEL BRAUN

„Wie im Konzentrationslager!“ Kurz und knapp ist der Kommentar Giusi Nicolinis, der Bürgermeisterin von Lampedusa, im Angesicht der neuesten Bilder aus dem Flüchtlingslager der Insel. In einem kurzen Video ist eine Gruppe von Männern in einer Schlange zu sehen, im Freien zwischen einigen Containern. Der Erste muss sich komplett ausziehen, wird dann vor den Augen der anderen abgeduscht, und schon ist der nächste dran. Nicht einmal eine minimale Sichtblende vor der Dusche sorgt für den Schutz der Intimsphäre.

Die Bilder, gefilmt mit einem Handy von einem syrischen Flüchtling, liefen am Dienstagabend in den Nachrichten des Staatssenders RAI, und sie lösten in Italien einen Sturm der Empörung aus sowohl über die entwürdigende Behandlung als auch darüber, dass die Flüchtlinge mitten im Dezember, in der Winterkälte, zum Duschen im Freien gezwungen werden.

Die Duschprozedur sei unvermeidlich, erklärte Cono Galipò, Chef der Genossenschaft Lampedusa Accoglienza (Aufnahme Lampedusa), die das Lager im Auftrag des Innenministeriums betreibt. Die Flüchtlinge müssten bei ihrer Ankunft gegen Krätze desinfiziert werden, und das gehe nur draußen. Die Bäder in den Gebäuden seien zu klein; zudem stünden sie nach einer Desinfizierungsaktion stundenlang nicht zur Verfügung, da die Räume wegen der Chemikalien jedes Mal gereinigt und gelüftet werden müssten. Außerdem hätten die zwei nackten Flüchtlinge, die auf dem Video zu sehen sind, sich selbst ausgezogen, nach dem sie nach 90 Minuten Wartezeit in der Schlange nervös geworden seien und auf diese Weise hätten protestieren wollen. Hierzu im Widerspruch stehen nicht nur die Bilder, sondern auch die Aussagen jenes Syrers, der sie gefilmt hat, ebenso wie anderer Lagerinsassen. „Wie ein Auto in der Waschanlage“ habe er sich behandelt gefühlt, erklärte einer von ihnen. Und der Autor des Films behauptet, nach dessen Ausstrahlung sei er mehrfach von Lagermitarbeitern bedroht worden; außerdem werde ihm das Essen vorenthalten. Ein anderer Flüchtling erklärte in dem TV-Film, wie ein „Tier“ behandelt worden zu sein. Er habe 65 Tage in dem Zentrum verbracht, obwohl er innerhalb von 48 Stunden anderweitig untergebracht werden sollte.

Der Skandal lenkt erneut die Aufmerksamkeit auf die haltlosen Zustände im Lager Lampedusa, das mit über 700 Insassen – bei einer Kapazität von 280 Plätzen – wieder völlig überfüllt war. Die Zustände in dem Lager hatten mehrfach für negative Schlagzeilen gesorgt. Zahlreiche Flüchtlinge schlafen auf alten, verschmutzten Matratzen in Zelten unter den Pinien, die hygienischen Zustände sind katastrophal. Doch die Genossenschaft Lampedusa Accoglienza verdient gut: Pro Flüchtling erhält sie etwa 40 Euro täglich.

Italiens Ministerpräsident Enrico Letta kündigt jetzt eine umgehende Untersuchung an, „die Bilder sind sehr gravierend“. Doch eigentlich müsste die Regierung längst Bescheid wissen: Im Lager sind nicht nur Polizisten, sondern auch Beamte des Innenministeriums konstant präsent. Eine Untersuchung kündigte deshalb auch die EU-Kommissarin für Innere Angelegenheiten, Cecilia Malmström, an; sie droht Italien mit dem Entzug von EU-Fonds für die Flüchtlingsaufnahme, sofern nicht „menschliche und würdige Bedingungen bei der Aufnahme von Migranten, Asylsuchenden und Flüchtlingen“ gewährleistet werden.