: Kunst schafft Nachbarschaft
Wohin führt zu viel Privatisierung? Mit ihren Arbeiten zum öffentlichen Raum waren Adam Page und Eva Hertzsch bereits auf der documenta vertreten. Jetzt hat das Künstlerpaar mit Anwohnern in Dresden-Prohlis und Berlin-Neukölln neue Nutzungen für verwaiste Plattenbauten und Flughäfen entwickelt
von HELMUT HÖGE
Als Adam Page und Eva Hertzsch 2005 erfuhren, dass die städtische Wohnungsbaugesellschaft in Dresden ihre Immobilien an die US-Investorengruppe Fortress verkaufen wollte, begannen die beiden Künstler mit einer Bestandsaufnahme. Dabei sollten die gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Beziehungen der dort lebenden Bevölkerung zu ihrem Wohnumfeld festgehalten werden. Gerade im Moment der Auflösung des Sozialwohnungsbaus wollten Page und Hertzsch wissen, „was das Soziale gegenwärtig ausmacht“. Diese Auflösung – allein im Stadtteil Prohlis waren 6.000 Wohnungen von der Privatisierung betroffen – schlug bundesweit Wellen: Oskar Lafontaine kam nach Dresden und sprach sich dagegen aus, Wohnen zur Ware zu machen. Die PDS war hingegen gespalten: Einige meinten, man sollte dem Verkauf zustimmen, andernfalls müssten Kitas und andere soziale Einrichtungen geschlossen werden.
Page und Hertzsch waren 1994 von London nach Dresden gezogen. Bereits 1997 stellten sie auf der documenta eine „Arbeit im öffentlichen Raum“ vor, die sich mit der Privatisierung befasste. Sie stellten fest: Kioske verschwinden, Bahnhöfe werden „gesäubert“, Marktplätze werden zu Privatgrundstücken. Drei Jahre später ließen sie mit städtischem Geld einen mobilen Informations- und Ausstellungskiosk namens „Info Offspring“ errichten. Seitdem wird die Kunst in der Box sehr zum Ärger von Stadtbildpflegern und anderen Feinden der Imbisskultur an immer neuen Standorten aufgebaut – dieses Jahr für das Projekt „For Sale“ in Prohlis. Jetzt wird die Aktion mit Interviews, Bildern, Texten und Fotos als begehbares Stadtteilmodell im Heimatmuseum von Prohlis dokumentiert. Weil Page und Hertzsch „mit den Leuten arbeiten“, basiert „For Sale“ auf dem Austausch von Infos und Erfahrungen zwischen eingeladenen Gästen und Bewohnern. Zur Präsentation von „Fallstudien“ aus anderen Neubauvierteln wurden Bewohner eingeladen, um über Themen wie Mieterschutz, Abriss, Arbeitsmaßnahmen und Selbstorganisation in Prohlis zu diskutieren. Dadurch sind für die Künstler, für die Gäste des Projekts und für viele Prohliser neue Allianzen entstanden, die vom Mieterkomitee des durch Abriss bedrohten Woba-Viertels „Sternstädtchen“ bis zum lokalen Heimatmuseum und einer Kindermalgruppe reichen.
Drei neue Arbeiten wurden von Künstlern aus Paris, Hamburg und Berlin in Zusammenarbeit mit etwa 30 Bewohnern entwickelt. Der Film „1. Orakel (Orakel von Prohlis)“ von Andreas Fohr setzt sich mit der akustischen Wahrnehmung des Viertels auseinander. Für die CD „Ein Song für Prohlis“ von Ania Corcilius sangen Bewohner Lieder über den Woba-Verkauf. Bei der „Kartoffelshow“ von Margit Czenki und Christoph Schäfer, die in Hamburg das Projekt „Park Fiction“ betreiben, kochten Kinder mit einem Meisterkoch vor Ort selbst angebaute Kartoffeln.
„Wir müssen uns mehr Gedanken über die ‚Nachhaltigkeit‘ der Kunst im öffentlichen Raum machen“, meint Adam Page. Schon weil Gelder immer knapper werden, müssen „die Projekte tiefer gehen, bis dahin, dass sie sich selber tragen“. Als Beispiel erwähnt er den Spätshop im Erdgeschoss eines Hochhauses von Prohlis. Der Laden, die Ich-AG eines jungen Mannes mit fünf Geschwistern, war von 18 bis 24 Uhr geöffnet: „Er wurde super angenommen, es traf sich dort bald eine Gruppe von Jugendlichen.“ Doch nach sechs Wochen kam die fristlose Kündigung, weil der Shop angeblich für Unruhe im Viertel sorgte: „Der Polizeichef rief an und fragte: ‚Was soll die Zusammenarbeit des Kunstprojekts mit dem Laden bringen?‘ “.
Der Spätshop machte dann um 22 Uhr zu. Die Jugendlichen mussten bis 23 Uhr verschwunden sein: „Die Polizei kontrollierte das.“ Inzwischen wurde der Laden nach weiteren Querelen mit dem Ordnungsamt geschlossen. Nun verhandeln die Künstler und der junge Mann mit der Polizei über die Möglichkeit eines Spätshops im „Info Offspring“-Kiosk. In der Zwischenzeit macht er das Catering für Veranstaltungen im Heimatmuseum.
Zur gleichen Zeit haben Page und Hertzsch mit einem Projekt in Neukölln begonnen, dass sich „Play ’n’ Win 44“ nennt. Es geht von den Spiel- und Wettbüros aus, die dort boomen, obwohl das Glücksspiel nach Meinung von Experten in Rezessionszeiten eigentlich zurückgehen müsste. Hier war es ein Bildungsträger, der „Internationale Bund“ (IB), der ihnen einen Bauwagen zum rollenden Wettbüro umbaute. Dieser wurde erst für acht Tage auf dem Hermannplatz aufgestellt und dann einen Monat lang vor die kommunale Galerie im Körnerpark – im Innern liefen drei Fernseher, die die Quoten von Live-Sportveranstaltungen übertrugen.
Dabei handelte es sich allerdings um Judokämpfe, Käfigfußball und Fahrradrennen, die von Schülern der Neuköllner Silbersteingrundschule und einigen Sportvereinen inszeniert wurden – bestochene Schiedsrichter inklusive. Mit den dergestalt manipulierten Quoten bzw. den damit eingenommenen Wettgeldern wurde wiederum eine Finanzierung angeschoben, um jene Teile des Tempelhofer Flughafengeländes zu kaufen, die zu Neukölln gehören. Der Flughafen soll laut Senatsbeschluss 2007 geschlossen werden, nun machen sich die Lobbyvereinigung „IG City Airport e.V.“, die CDU sowie die Senatsverwaltung für Wirtschaft und der SPD-Bürgermeister Klaus Wowereit für seine Umnutzung und den Ausbau zum Gründerpark stark. Unterdessen kämpft eine lokale Bürgergruppe, die von der Senatorin für Stadtentwicklung unterstützt wird, um das Gelände in einen riesigen „Central Park“ zu verwandeln.
Für Page und Hertzsch war die Frage dagegen, wie man eine Neunutzung von den konkreten Begehrlichkeiten vor Ort ausgehend entwickeln kann. Immerhin leben im angrenzenden Neukölln 160 verschiedene Kulturen. Ein Themenpark wäre denkbar, der unter dem Namen „Neukölln World 44“ für neue Modelle stehen soll. Das Projekt zielt auf eine „Public Private Partnership“ (PPP), die darin bestehen könnte, dass die Bewohner des Bezirks einen Plan machen, den sie dann mit den entsprechenden Ämtern abstimmen. Gleichwohl weiß das Künstlerpaar auch, dass „Play ’n’ Win 44“ anders als „For Sale“ in Prohlis „noch nicht richtig angelaufen ist“. Das Neuköllner Kunstamt ist aber nach wie vor optimistisch: „Da bleiben wir dran.“
„For Sale“, noch bis 14. 1. 2007 im Heimatmuseum Prohlis, Dresden, Gamigstraße
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen