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Archiv-Artikel

„Der Feminismus stagniert“

INTERVIEW HEIDE OESTREICH

taz: Frau Dorn, sind Sie Feministin?

Thea Dorn: Jein. Meiner Eigenwahrnehmung nach bin ich es nicht. Aber so, wie unsere Gesellschaft augenblicklich strukturiert ist, muss ich es wohl sein.

Warum nicht in der Eigenwahrnehmung?

Ich persönlich komme nicht aus Umständen, die Alice Schwarzer oder Simone de Beauvoir beschrieben haben. Deren Bücher sagten mir nichts. Ich war davon nur genervt. Der Gedanke, dass ich diskriminiert sein könnte, war für mich absurd. Ich hatte eher den Eindruck, mein armer Vater ist etwas unterdrückt – oder mein kleiner Bruder. Ich konnte meinen Sturschädel immer prima durchsetzen.

An der Uni nahmen Sie die Diskriminierungen ihrer Wortbeiträge aber doch wahr, schreiben Sie. Sie hätten eine Spätberufene werden können.

Wenn man diese feministische Urerfahrung, dass man als unterdrücktes Wesen auf die Welt kam, nicht gemacht hat, dann wird man’s auch nicht mehr. Erst bei meinem ersten Roman, in dem „ich“ einen Professor zerstückle, gab es derart ausfallende Rezensionen, dass ich merkte: Es geht nicht um die Qualität des Romans, hier hat eine Frau etwas geschrieben, was sie nicht soll. Deshalb sage ich: In dieser Gesellschaft muss ich anscheinend Feministin sein.

„Der Feminismus ist tot, es lebe der F-Klassenkampf“, schreiben Sie. Was soll das?

Bei dem Begriff Feminismus geht eine Schublade auf und im Zweifelsfall sitzt Alice Schwarzer drin. So sehr ich sie schätze – das ist nicht produktiv. Feminismus hat ein schlechtes Image. Wenn man etwas ändern will, kann man nicht mit einem so vorbelasteten Begriff anfangen.

Der Begriff Klasse ist nicht vorbelastet?

Über den Begriff „F-Klasse“ sollen die Leute stolpern. Es geht nicht um eine ökonomische, sondern um persönliche Klasse. Mich interessieren Frauen, die ihr Leben selbst gestalten wollen.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Alice Schwarzer?

Alice Schwarzer meint, ich müsse mich quasi töchterlich von ihr abgrenzen, aber tatsächlich möchte ich frischen Wind in dieselbe Sache bringen. Und ich habe einige inhaltliche Differenzen zu Alice Schwarzer, etwa was den angeblich herrschenden „Zwang zur Heterosexualität“ angeht. Ich habe aber hohen Respekt davor, was sie für dieses Land erreicht hat: die Abtreibungskampagne etwa.

Es gab auch andere Kampagnen: PorNO etwa.

Oder ihre Forderung, Frauen müssten sich vom Körperkult befreien. Da fangen meine Schwierigkeiten an. Der Körperkult hat doch längst die Männer miterfasst. Frauen haben da keine dramatisch andere Lage als Männer.

Haben Sie ein Emma-Abo?

Nein, aber ich kaufe sie öfter.

Ihre Interviewpartnerinnen sollen Rollenmodelle sein. Sie haben stellenweise mit Diskriminierungen zu tun, reagieren aber eher als Einzelkämpferinnen. Ist Einzelkämpfertum also das Programm?

Diese Frauen sind hochgradige Individualistinnen. Und da es mir letztlich um Individualismus geht, will ich nicht die einzelne Frau primär als Gattungswesen betrachten, wie der Feminismus suggeriert.

Ist das nicht eher ein Zerrbild des Feminismus? Emanzipation ist doch die Befreiung des Individuums.

Mein Anliegen ist nicht, den diskreditierten Feminismus zu retten. Ich will konkret im Jahr 2006 und gern auch noch 2007 in den Hirnen von Menschen etwas bewegen. Das Buch soll Frauen ermutigen, diese Fragen konkret und persönlich anzugehen.

Es ist unter Ihren Interviewten nur Seyran Ates, die sich direkt für Frauen einsetzt. Wie bekämpft denn die F-Klasse strukturelle Benachteiligungen?

Man muss nicht immer erst die Strukturen ändern, bevor der Einzelne etwas machen kann. Davon abgesehen sind diese Frauen durchaus vernetzt. Die Audi-Managerin etwa engagiert sich im Deutschen Ingenieurinnenbund. Uta Glaubitz hilft Frauen ganz konkret, ihr Leben neu zu organisieren. Es sind nicht einfach Karrierefrauen, sie haben ein Bewusstsein, ein Anliegen.

Silvana Koch-Mehrin sagt in Ihrem Buch, die Frauennetzwerke der Parteien seien oft Auffangbecken für Frustrierte.

Ich habe eine ähnliche Erfahrung in der deutschen Abteilung der „Sisters in Crime“, der Krimiautorinnen, gemacht. Während die Jungs überlegten, welche Radiosendungen sie machen könnten, trafen sich die Sisters und verteilten selbstgebastelte Lesezeichen. So ein Frauennetzwerk: Nein. Das hat keine Schlagkraft.

Ein Beispiel: Uta Glaubitz bewegt ihren Fanclub des FC Köln, nicht mehr in das Bordell Pascha zu gehen, weil dort minderjährige Prostituierte arbeiteten. Der Deutsche Frauenrat, ein großes, böses Netzwerk, macht eine Kampagne gegen Zwangsprostitution. Ist nun das Vorgehen von Glaubitz besser?

Sie hat jedenfalls in der Praxis etwas bewirkt. Ich bin ja auch nicht gegen Netzwerke, nur sollen sie effektiv sein. Ich habe vom Frauenrat jahrzehntelang nichts gehört. Das ist mein tiefes Misstrauen gegen diese Netzwerke: Ich höre nichts von deren Erfolgen.

Wer keinen „Opferfeminismus“ will, der will auch keine Quote, oder?

Da sind meine Interviewpartnerinnen sehr gespalten. Uta Glaubitz findet, dass eine Frauenquote die angemessene Antwort auf die unausgesprochene Männerquote ist, die es überall gibt. Ich selbst würde das lieber individuell regeln. Wenn hunderttausende super qualifizierte Frauen Schlange stehen und nur deshalb nicht weiterkommen, weil sie gegen Glaswände rennen, dann ginge ich morgen für die Quote demonstrieren. Aber ich fürchte, die Lage ist nicht so. Frauen fehlt leider oft der letzte Biss, der nötig ist, um nach oben zu kommen. Deshalb mein Rat: Mädels, legt euch andere Kampfqualitäten zu, entwickelt ein dickes Fell.

Im Moment werden überall Frauenbeauftragte abgeschafft. Denen weinen Sie sicher auch nicht nach?

Mir ist in der Tat lieber, Chefinnen würden gucken, dass sie Frauen nachziehen. Aber ehrlich gesagt: In Zeiten, in denen ich mit einer Eva Herman diskutieren muss, ob der Harem nicht doch eine gute Einrichtung sei, bin ich wieder für Frauenbeauftragte. Ich bin entsetzt, wie viele Menschen meinen, es gebe einen wahren Kern in Hermans Aussagen.

Was bedeutet es, dass Herman so große Resonanz findet?

Die Welt ist unübersichtlich und bedrohlich. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist groß. Die Familie suggeriert Sicherheit. Dazu kommt etwas spezifisch Deutsches: Diese völlige Überhöhung der Mutter als Garantin der heilen familiären Innenwelt gegen die böse Außenwelt. Das ist ein Frauenbild, das offenbar schnell wieder zu aktivieren ist. Bisher traute sich ja nur die NPD, so etwas zu vertreten. Schauen Sie mal in deren Programm zum Thema „Frauenpolitik“.

Eine Ihrer Interviewpartnerinnen sagte: Man kann sich nicht gleich beim Chef beschweren, wenn einen jemand mal „Puppe“ genannt hat. Opferfeminismus wollen Sie nicht, aber ist es nicht erst recht Opferverhalten, wenn man sich nicht wehrt?

Für eine erwachsene Frau gibt es andere Mittel, sich zu wehren, zum Beispiel, verbal zurückzuschießen. Erst wenn das alles nichts bringt, sollte man den Beschwerdeweg einschlagen. Mal ehrlich: Würden Sie jemanden befördern, der ständig bei Ihnen im Büro steht, um sich über jeden Machospruch auszuheulen?

Das nennt man Ego-Feminismus. Die Strukturen sind mir egal, Hauptsache ich selbst komme weiter.

Wenn es genug Individuen gibt, die etwas Neues machen, dann ändern sich auch die Strukturen. Das ist eine tiefe Überzeugung von mir. Es gibt mehr weibliche Chefs als früher. Und wenn Frauen mal in solchen Positionen sitzen, dann verändern sich Strukturen.

So etwa im Jahr 2250?

Der Feminismus kämpft seit vierzig Jahren für Strukturveränderungen. Und dafür bin ich ihm historisch dankbar. Aber im Moment stagniert es. Eine ganze Weile sind wir den strukturellen Weg gegangen, jetzt ist das Individuum dran. Es gibt so viele Frauen, die unterschätzen, was in ihnen steckt. Ich will sie ermutigen, ihre individuellen Potenziale zu verwirklichen. Frauen macht man keine Lust, eine Führungsposition zu besetzen, allein indem man das Ehegattensplitting abschafft – was dennoch erfreulich wäre. Jeder weitere „Frauenförderplan“ signalisiert: Es ist ein Problem, Frau zu sein. Ich sage nicht als ersten Satz: Mädel, du hast es schwer. Sondern: Mädel, du kannst viel mehr schaffen, als du denkst.