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Archiv-Artikel

Vorsicht vor kastrierenden Lesben

Backlash-Publizisten haben die zweite Stufe der Rakete in die Vergangenheit gezündet: Sie wollen nicht mehr nur alte Geschlechterbilder konservieren, sondern diffamieren nun auch die ProtagonistInnen der Gleichstellungspolitik

VON HEIDE OESTREICH

Manufactum, das Kaufhaus für Leute, die sich Bakelit-Lichtschalter und Dachshaar-Rasierpinsel zurückwünschen, hat neuerdings auch die passende Ideologie im Angebot: In zwei in Leinen gebundenen Aufsätzen tut der FAS-Redakteur Volker Zastrow auf sechzig Seiten kund, dass hinter der Fassade moderner Gleichstellungspolitik Lesben zum Angriff auf die „normale“ Hausfrau und Mutter blasen. Und „Gender-Mainstreaming“ bedeute, dass IdeologInnen die männliche Identität zerstören wollen. „Politische Geschlechtsumwandlung“ sei das Ziel. Die Herrschaftsübernahme kastrierender Lesben steht kurz bevor. Mit 6,80 Euro ist das Buch „Gender“ für Manufactum-Verhältnisse ein Schnäppchen. Vielleicht sollte der geneigte Kunde sich dann auch schon mal mit handgeschmiedeten Mistgabeln aus westfriesischem Kohlenstoffstahl für die Geschlechtsverteidigung eindecken.

Im Kuriositätenkabinett Manufactum liegt das Werk gar nicht mal so schlecht. Doch leider sind die Texte auch in der FAZ erschienen. Zumindest diese Redaktion fand es offenbar normal, dass ein Autor mangels Argumenten nahezu ausschließlich zu (größtenteils persönlichen) Diffamierungen greift. Frauenpolitikerinnen wie die SPD-Europaabgeordnete Lissy Gröner verträten nur Interessen von Lesben, heißt es da. Und diese stimmten „in der bedeutsamen Frage von Ehe und Familie mit denen anderer Frauen keineswegs überein“. Ach, wirklich nicht? Nur Lesben wollen Karriere machen? Und Lesben wollen keine Kinder? Im Gegensatz zu allen „anderen Frauen“?

Von der mittlerweile üblichen Backlash-Literatur à la Matussek und Schirrmacher unterscheidet die Zastrow-Texte nicht der grundlegende Wunsch, die Geschlechterverhältnisse zu restaurieren. Zastrow hat vielmehr die zweite Stufe der Rakete in die Vergangenheit gezündet: Nun wird es nach längerer Zeit wieder schick, die Instrumente und ProtagonistInnen der Gleichstellungspolitik selbst zu diffamieren. Was Journalisten in anderen Herrenmagazinen gut gefallen hat: In der vergangenen Woche legte der Spiegel nach und behauptete, Familienministerin Ursula von der Leyen wolle den „neuen Menschen“ schaffen: „Gender Mainstreaming will nicht nur die Lage der Menschen ändern, sondern den Menschen selbst“, menetekelt der Autor. Das Ziel gender-sensibler Pädagogik bei Jungen etwa sei „die Zerstörung der Identität“. Im „Gender Mainstreaming“ nehme der Staat sich heraus, neue Rollenbilder für die Menschen zu entwickeln, sogar schon mit unschuldigen Jugendlichen, so der empörte Aufschrei.

Na, was denn sonst? Eine Erweiterung – wohlgemerkt: nicht eine Zerstörung – der Geschlechterrollen, das ist klassische Gleichstellungspolitik seit Jahrzehnten. Männer mehr für die Sorgearbeit interessieren und Frauen neue Berufsfelder eröffnen: Wie sonst soll sich die patriarchale Arbeitsteilung, unter der beide Geschlechter leiden, ändern? Der Spiegel aber diffamiert die Jungenpädagogik: Sie wolle „Identitäten zerstören“, dräut dem Autor. Die Pädagogen wollen Jungen in der Tat zeigen, dass sie auch ohne Gewalt und Sexismus Männer sein können. Diese Art von Infragestellung der herrschenden Männeridentität ist – philosophisch-konstruktivistisch ausgedrückt – eine Zerstörung von Identitäten. Der Spiegel tut aber so, als sollte der Junge an sich zerstört werden.

Gender Mainstreaming ist ein politisches Leitbild, das nach der EU auch die deutsche Bundesregierung 1999 in ihrer Geschäftsordnung verankert hat. Es bedeutet zunächst lediglich, beim politischen Handeln Auswirkungen auf beide Geschlechter im Blick zu haben. Wenn man feststellt, dass etwa nur Jungen zum Wildnis-Training in der Eifel kommen, weil Mädchen sich nicht recht trauen, dann kann man schon bei der Ankündigung darauf hinweisen, dass es auch für Mädchen gut geeignet ist.

Eine Vielzahl solcher kleinen, aber wirkungsvollen Änderungen schlägt ein Gender-Gutachten über den Nationalpark Eifel für das nordrhein-westfälische Umweltministerium vor. Unter anderem heißt es im Kapitel Öffentlichkeitsarbeit auch, bei der Auswahl des Bildmaterials für Broschüren sollte man „auf Stereotype verzichten“. „Ein Text über Hirschbrunft kann sicherlich mit einem entsprechenden Bild illustriert werden, jedoch sollte im Rahmen der gesamten Öffentlichkeitsarbeit die Vielfalt der Tierwelt gezeigt und Illustrationen nicht auf die klassische Jägerbildsprache beschränkt werden.“ Der Spiegel nun verschweigt Absicht und Kernaussagen des Gutachtens: Der 67-seitige Bericht empfehle, „Bilder der Hirschbrunft möglichst aus den Werbebroschüren zu streichen“, heißt es dort in genauer Umkehr der Aussage. Für einen derart lächerlichen Rat hat der Steuerzahler 27.000 Euro berappt, so die Suggestion.

Gender Mainstreaming wird in diesen Pamphleten so behandelt, wie Männer Frauen schon immer gern imaginiert haben: Die Frau steht einerseits als drohendes, kastrierendes Monster am Horizont und wird zugleich in einer Art Abwehrzauber nach Kräften lächerlich gemacht. Gender Mainstreaming wird nun in dieses Schema eingepasst: Einerseits will das bürokratische Monster den Mann verändern/kastrieren, andererseits hat das Monster dann doch eher lächerliche Vorschläge im Köcher.

Für den Sex-and-Crime-Faktor sorgt dann noch der Rekurs auf den Psychiater John Money, der den Begriff „Gender“ einst prägte. Der hatte in den 60er-Jahren Eltern, deren Baby seinen Penis durch einen Unfall verloren hatte, empfohlen, das Kind als Mädchen aufzuziehen. Diese psychische und hormonelle Gewaltkur überlebte Bruce/Brenda, der sich zeitlebens als Junge fühlte, nicht; 2004 brachte er sich um. Money wollte mit seinem Experiment am lebenden Menschen beweisen, dass die Geschlechtsrolle durch Erziehung verändert werden kann. Sein Experiment ist gescheitert. Bruce gilt heute als Beweis dafür, dass die männliche und weibliche Identität eben nicht beliebig austauschbar sind. Das ist auch in der Gender-Diskussion seit Jahren angekommen. Dennoch tun die Pseudo-Aufklärer von FAZ und Spiegel nun – übrigens in erstaunlich ähnlichen Formulierungen – so, als hingen die Gender-Mainstreamer von heute der offenkundig falschen Einschätzung an, man könnte jeden nach Gusto zu Frau, Mann oder etwas anderem erziehen.

Was auch durcheinandergerät, ist die Tatsache, dass Gender Mainstreaming von der Gender-Theorie lediglich die Erkenntnis übernommen hat, dass die Geschlechterrolle auch eine sozial hergestellte ist. „Gender Mainstreaming“ als Prinzip kommt völlig ohne „politische Geschlechtsumwandlungen“, wie Zastrow sie nennt, aus. Es will lediglich die Politik darauf hinweisen, dass sie manchmal unterschiedliche Auswirkungen auf die Geschlechter hat. Dann kann die Politik sich überlegen, ob sie das will. Mit einer solchen Politik kann man Geschlechterrollen erweitern. Oder unbeabsichtigt das Gegenteil bewirken. Um das Nationalpark-Beispiel noch einmal aufzugreifen: Wenn das frisch gegenderte Projekt stillschweigend davon ausgeht, dass Mädchen extra angesprochen werden müssen, dann läuft es damit auch Gefahr, das Bild des schüchternen Mädchens zu verfestigen.

Das Prinzip des Gender Mainstreaming ist also keineswegs einfach und löst dort, wo es eingesetzt wird, viele Diskussionen aus. Aber wer ein Interesse daran hat, Ungleichheit zwischen den Geschlechtern abzubauen, kann ein Prinzip wie Gender Mainstreaming, das diese Ungleichheiten zur Debatte stellt, nicht schlicht bekämpfen. Diese Leute stürzen sich lieber in die Diskussion, die der Prozess des Gender Mainstreaming eröffnet. Das sind übrigens zunehmend auch Männer, die mit dem Gender Mainstreaming in ihrer Verwaltung in Kontakt kommen. Locker mitdiskutieren können allerdings nur Männer, die nicht mehr in Kastrationsängsten verharren, die Spiegel und FAZ noch so gern beschwören.