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Archiv-Artikel

Gasometer-Schmerzen

AUSSTELLUNG Mit der Sprengung eines Gasometers 1984 fing alles an, so die These einer Ausstellung und Filmreihe im Kulturzentrum Wabe. Ein Blick auf Gasometerkämpfe in Ost- und Westberlin

Dokumente früher Ostberliner Proteste

Am 28. Juli jährt sich zum 30. Mal die Sprengung der drei historischen Gasometer in der Dimitroffstraße (heute Danziger Straße). Die Ausstellung „Gasometer sprengt man nicht“ im Kulturzentrum Wabe zeigt Fotografien und Dokumente der Geschichte einer Protestbewegung in Ostberlin. Begleitet wird die Ausstellung von einer Filmreihe über größtenteils zeitgenössische Beispiele für Jugendprotest und Widerstand gegen Stadt- und Umweltzerstörung und den Kampf um ein selbstbestimmtes Leben in Ost- und Westberlin ab den 1970er Jahren bis heute. Die Filme laufen freitags, samstags und sonntags. Die Ausstellung ist noch bis zum 31. August von mittwoch bis freitags von 13 bis 19 Uhr zu sehen.

■ Ausstellung „Gasometer sprengt man nicht“: Kulturzentrum Wabe, Danziger Str. 10, Programm unter www.wabe-berlin.de

VON HELMUT HÖGE

„Gasometer sprengt man nicht“ heißt eine Veranstaltung am 28. Juni in der „Wabe“ im Thälmann-Park. So hieß auch ein Flugblatt, das 1984 im Prenzlauer Berg verteilt wurde – und mit dem gegen den Abriss von drei eigentlich denkmalgeschützten Gasometern an der Dimitroffstraße (heute Danziger Straße) protestiert wurde. Sie waren überflüssig geworden, weil das Gas seit 1980 über die im Jahr zuvor fertiggestellte „Sojus“-Pipeline aus der Sowjetunion kam. Die Bürger wollten die markanten Gasometer zukünftig kulturell nutzen, die Stadt errichtete jedoch eine Wohnanlage für 4.000 Mieter und ein riesiges Thälmann-Denkmal auf dem Gelände.

Weil der damalige „Widerstand gegen die Sprengung der Gasometer zu den Wurzeln des erwachten Bürgersinns im Prenzlauer Berg gehört“, wie der daran beteiligte Wolfram Kempe schreibt, erinnert jetzt eine von der Bundesstiftung „Aufarbeitung“ geförderte Ausstellung an die Beseitigung dieser drei Industriedenkmäler vor genau 30 Jahren. Dazu werden Filme über Bürger- bzw. Jugendproteste und Widerstandsformen gegen Stadt- und Umweltzerstörungen gezeigt: freitags welche aus dem Westen, sonntags aus dem Osten und samstags „Ost-West-Fusionen“. Erwähnt seien die Filme „Allein machen sie dich ein“ (West), „Underground“ (Ost) und „too much future – Punk in der DDR“ (Ost-West).

Nicht nur an Ort und Stelle der drei gesprengten Ostberliner Gasometer, auch an zwei noch stehenden Westberliner Gasometern, die wegen der Pipelines aus Sibirien funktionslos wurden, entzündete sich der Widerstand der Bürger gegen ihre Vereinnahmung durch Spekulanten. Im Thälmann-Park geht der Kampf deswegen weiter, weil sogenannte Investoren dieses letzte im Prenzlauer Berg ihrer Meinung nach noch unterentwickelte Gelände entdeckt haben.

Im vergangenen Jahr entstand bereits eine „Pracht-Wohnanlage“ namens „Ella“, eine weitere ist geplant. „Im Ernst-Thälmann-Park wird sich viel verändern,“ schreibt die Berliner Zeitung über „diese letzte Ost-Oase“, die nun auch „beste Lage“ wird. Auf einem Protest-Flugblatt heißt es: „Die Immobilienspekulanten haben das Thälmann-Park-Areal entdeckt.“ Diesmal sind es jedoch nicht die Prenzlauer-Berg-Bohemiens, die Widerstand leisten, sondern Mieter der 1986 errichteten DDR-Hochhäuser im „bewohnten Park“, der kürzlich unter Denkmalschutz gestellt wurde. Sie gründeten eine Bürgerinitiative.

Den Bau der 77 Eigentumswohnungen, „Ella“, konnten sie jedoch nicht verhindern: „Der Neubau ist rechtmäßig, er steht auf Privatgelände“, meinte der Investor. „Privatgelände – wenn ich dat schon höre, in der DDR gab es son Scheiß nich“, erklärte einer der Mieter, ein anderer: „Da helfen nur noch Volksdrohnen!“

Diesmal sind es jedoch nicht die Prenzlauer-Berg-Bohemiens, die Widerstand leisten

Rund um den denkmalgeschützten Gasometer in Schöneberg gibt es sogar zwei Bürgerinitiativen – seit der windige Investor Reinhard Müller 2007 das gesamte Gelände erwarb, um darauf eine private Hochschule für Energie (Euref) und ein Hotel zu errichten. Erst einmal brachte Müller „Europas größte LED-Werbewand“ am Gasometer an, die bei Dunkelheit ununterbrochen Reklame ausstrahlte – zum Entsetzen der Anwohner. Die Einnahmen aus der Werbung sollten der Gasometer-Renovierung zugutekommen, brachte aber zu wenig ein. Stattdessen finden jetzt Talkshows (u. a. von Jauch) im langsam verrostenden Turm statt. Die TU bietet dort einen Studiengang „Energie“ an – und hofft, dass Müllers größenwahnsinniges Projekt, wie bereits bei seiner auf Werbeeinnahmen spekulierenden „Stiftung Denkmalschutz Berlin“, ins Leere läuft – und die TU sich dann günstig einen neuen „Campus“ einverleiben kann, neben dem in Charlottenburg und dem im Wedding. Denn ohne einen Campus läuft beim heute angesagten „Lifelong learning“ nichts mehr.

Das weiß auch Müller, dem die Stadt gerade eine Euref-Zufahrtstraße für 6 Millionen Euro finanzierte. Die Springer-Presse schätzt natürlich dieses Schlitzohr, das sich einst das riesige Narva-Gelände mit falschen Versprechungen unter den Nagel riss, es aber nach heftigen Protesten in der Bevölkerung wieder abgeben musste. Die Morgenpost dichtete: „Wenn Reinhard Müller oben auf dem Gasometer steht und dabei zuschaut, wie unten seine Welt wächst, dann erinnert er an einen Zauberer auf seinem Turm.“ In Berlin kann man sich wegen der korrupten politischen Klasse bald nicht mehr retten vor solchen Zauberern.

Vor einiger Zeit fiel auch der Kreuzberger Gasometer in der Fichtestraße Gentrifizierern zum Opfer. 1940 hatte man ihn mit Zwangsarbeitern zu einem Bunker umgebaut. Heute schreibt Wikipedia: „Die Investoren bauten unter der Stahlkuppel auf der obersten Bunkerdecke zwölf hochwertige Eigentumswohnungen.“ Auch gegen das „Luxus-Projekt Fichtebunker“ kämpfte eine Bürgerinitiative. Es ging um den Erhalt des Sportplatzes, um alte Ahornbäume, die gefällt werden sollten, um Asbest, der beseitigt werden musste, um Denkmalschutz und um Bürgerbeteiligung. „Wir leben in einer Stadt – da gehören Veränderungen einfach dazu“, entgegnete ihnen der Investor Paul Ingenbleek. Er wollte nicht „Verdrängungen“ sagen, denn genau dies befürchtete – zu Recht – die Bürgerinitiative gegen die Verloftung ihres Gasometers in der Kreuzberger Fichtestraße. Und das befürchten auch die Anwohner am Schöneberger Gasometer sowie die an den gesprengten Gasometern im Prenzlauer Berg.