leserbrief der woche: „Nennt man das Freiheit?“
Lieber Herr Maußhardt, als ehemaliger Leiter von Salem und als Abonnent der taz habe ich gerade Ihren Beitrag „Lob der Freiheit“ gelesen (3. 8. 07).
Einige Anmerkungen:
1. Kein Jugendlicher wird in Salem aufgenommen, der beim Aufnahmegespräch nicht eindeutig erklärt, dass er freiwillig und aus eigenem Antrieb nach Salem will. Er akzeptiert also die Regeln, die in Salem gelten.
2. Philipp Maußhardt konnte sich nur die „Freiheit“ nehmen, den rigiden häuslichen Regeln zu entfliehen, weil er über ein Erbe des Großvaters verfügen konnte.
3. Philipp Maußhardt ist nach Hause zurückgekehrt, weil der Vater den Geldhahn zudrehte. Nennt man das Freiheit?
4. Philipp Maushardt sagt: „Nur Regeln, die man sich selbst gibt, sind echte Regeln.“ Hat er sich die Regeln nach seiner Rückkehr selbst gegeben oder hat er sich den väterlichen Regeln unterworfen?
In Salem gelten strenge Regeln wie im Elternhaus Maußhardt. Welch ein Glück, dass Jugendliche Orte des Aufwachsens finden können, die sie vor „Freiheiten“ bewahren, denen sie nicht gewachsen sind. Was wäre aus Philipp Maußhardt geworden, wenn er nicht einen vernünftigen Vater gehabt hätte, der ihm den Geldhahn zugedreht und ihm ein geordnetes Heim geboten hätte? Es gibt die Kategorie der Wohlstandsverwahrlosten, denen kein Geldhahn abgedreht und kein geordnetes Heim geboten wird. Die Freiheit, die sich Philipp Maußhardt leisten konnte, heißt nicht Selbstbestimmung, sondern entspricht der Freiheit der „Jeunesse dorée“ , wie sie in der Bunten wöchentlich präsentiert wird.
Bernhard Bueb ist Autor der autoritären Erziehungsfibel „Lob der Disziplin“
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