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lab 2019

Über das Schaf Die Unterschätzten

Sind Schafe die neuen Schimpansen und was zählt für Schafe wirklich? Über das wohl europäischste Tier spricht Helmut Höge auf dem taz lab.

Kriegen sich nicht immer nur in die Wolle: Schafe sollen sich endlich auch selbst sozial organisieren dürfen Bild: Pixabay

von HELMUT HÖGE

Im Vergleich zur Literatur über Katzen ist die über Schafe nicht besonders üppig. Zudem behandelt sie diese Tiere meist nur unter dem Aspekt der Mehrung ihres Nutzens.

In einem Interview erklärte die kanadische Schafforscherin Thelma Rowells: „Menschen, die diese Tiere züchten, werden weit gehen, um nicht akzeptieren zu müssen, dass Schafe Beziehungen und Meinungen haben. Sie haben ganz sicher Meinungen.“ Thelma Rowell gehörte auf einem Primatologen-Kongress in Brasilien, zu den eingeladenen Feldforschern.

Ihr Beitrag trug den Titel: „A Few Peculiar Primates“. Es ging darin jedoch nicht um Affen (Primaten), sondern um Schafe. Sie lebt in Kanada mit einer kleinen Herde. „Ich weiß natürlich, dass meine Schafe keine Schimpansen sind“, erklärte sie, „aber ich will mit dem Titel ausdrücken, dass es sinnvoller ist, den Schafen die Möglichkeit einzuräumen, sich wie Schimpansen zu verhalten, als davon auszugehen, dass sie langweiliger sind als Schimpansen – dann haben die Schafe nämlich keine Chance.“

Von Hierarchien und Versöhnungsgesten

Thelma Rowells Forschung an ihren 23 Schafen ist eine Art wissenschaftliches Pastorat. Sie füttert ihnen 24 Portionen täglich, mehr als genug also, sodass keines sich wegen Futter mit einem anderen streiten muss. Wie gehen die Schafe damit um? Die Verhaltensforscherin fragt sich: „Was zählt für sie“, also ihre 3 Böcke, 8 Mutterschafe und 12 Lämmer? Normalerweise sieht man keine Böcke in den Herden, weil mehr als 95 Prozent frühzeitig selektiert werden.

„Wo die Forscher in ihren Herdenstudien nur Hierarchie- und Dominanzkämpfe sehen, sehe ich die Versöhnungsgesten. Die Böcke bleiben ja für sich, kämpfen tun sie nur in der kurzen Deckzeit, einen Monat im Jahr. Hinterher sind sie wieder zusammen, während die übrige Herde von einem alten Mutterschaf angeführt wird.“ Thelma Rowell arbeitet an einem anderen Bild von Schafen, von ihrer Kommunikation in der Herde.

Dass die Forschung sich so lange auf „Konkurrenz“ und „Wettbewerb“ konzentriert hat, korrespondiere mit einem bestimmten politischen Kontext. Sie lässt sich bei ihrer Schaf­forschung von einer „Tugend der Höflichkeit“ leiten, sagt sie. Dadurch werde sie gezwungen, kein Wissen hinter dem Rücken derjenigen zu konstruieren, die sie untersucht.

Vermenschlichen, um zu verstehen

Schafen habe man bisher die geringste Chance gegeben, ihre Fähigkeit zu entwickeln, sich selbst sozial zu organisieren. „Dass kommt auch daher, dass sie im Gegensatz zu anderen Nutztieren nicht wirklich effektiv protestieren können. Sie sind die skandalösen Opfer eines hierarchischen Denkens in der Verhaltensforschung.“

Thelma Rowells ist mit einer solchen Einstellung gegenüber ihrem wissenschaftlichen Objekt eine große Ausnahme unter den Schafforschern. Es gibt Tausende weltweit: Schafe lassen sich leicht „händeln“. Die meisten Studien könnte man als eine „ekpathische Schafforschung“ (im Gegensatz zu einer „emphatischen“) bezeichnen: Wenn zum Beispiel in einem Krankenhaus in Philadelphia Forscher per Kaiserschnitt acht Lämmer aus ihren Müttern herausoperieren und sie in einer „künstlichen Gebärmutter heranreifen lassen“.

Oder wenn Schafe reihenweise erschossen werden, um neue Munition zu testen, und Wissenschaftler anschließend die Durchschlagskraft analysieren. Der Verhaltensforscher Karsten Brensing fordert, dass man die Tiere vermenschlichen soll, um sie besser zu verstehen.

Auf dem taz lab erzählt Soziologe und taz-Aushilfshausmeister Helmut Höge noch mehr über das Schaf und seine Ausbreitung in Europa.