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LE MONDE diplomatique

Atlas der Globalisierung 2019 Die Welt wieder verstehen

Starke Texte, informative Grafiken – eine Einstimmung auf den neuen Atlas der Globalisierung 2019, der erstmal komplett von der LMd in Berlin gestaltet wird.

Des Menschen ramponierte Heimat Bild: NASA

von STEFAN MAHLKE

Das nennt man eine Erfolgsgeschichte. Gleich der erste Atlas der Globalisierung von 2003 verkaufte sich innerhalb von zwei Jahren fast 128.000-mal. Diese Art politische Geografie – kompakte Texte mit komplexen Grafiken auf je einer Doppelseite – machte die Welt neu lesbar. Weitere Atlanten folgten in schöner Regelmäßigkeit 2006, 2009 und 2012, und jeder neue Atlas hat sich bis heute weit über hunderttausendmal verkauft.

Die Spitze hält der Atlas 2009 („Sehen und verstehen, was die Welt bewegt“), der mehr als 170.000-mal über die Laden­tische der Buchhandlungen, Bahnhofskioske und des taz Shops ging. In Deutschland wurde der Atlas zur Referenz für eine engagierte Kartografie – anders als in Frankreich ist er hier inzwischen bekannter als das Blatt dahinter, die Monatszeitung Le Monde diplomatique (LMd), welche im taz Verlag erscheint.

Waren bis dahin alle Atlanten Übernahmen der französischen Ausgaben, produzierte die Berliner Redaktion zusammen mit dem Jenaer Postwachstumskolleg 2015 erstmals einen eigenen, den Postwachstumsatlas „Weniger wird mehr“. Seit 2012, als LMd den letzten umfassenden Atlas der Globalisierung herausbrachte, ist die Welt nicht stehen geblieben. Als Barack Obama im November 2012 wiedergewählt wurde, war das ein historischer Augenblick. Historisch, weil die Vision eines solidarischeren Amerikas noch einmal bestätigt wurde.

USA, Türkei, Südamerika, gescheiterte Hoffnungen

Sechs Jahre später erkennen wir die USA kaum wieder. Donald Trump hat im Wahlkampf 2016 und als Präsident das Land weiter polarisiert, und zwar so sehr, dass manche schon einen Bürgerkrieg kommen sehen.

Auch die Türkei verändert sich rasant. Bis Anfang der 2010er Jahre schien die Versöhnung muslimischer Identität mit parlamentarischer Politik, demokratischer Rhetorik und prowestlicher Orientierung zu gelingen. In jenen Jahren feierten manche die Türkei gar als Modell für den Nahen Osten. Spätestens seit den Protesten im Gezipark 2013 jedoch baut Erdoğan das politische System in eine Präsidialdiktatur um.

Die Hoffnungen, die sich noch 2012 mit den neuen linken Regierungen in Südamerika verbanden, haben sich ebenfalls zerschlagen. Der vom verstorbenen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ausgerufene „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ist gescheitert: Venezuela ist heute ein heruntergewirtschaftetes Land, in dem die Bevölkerung unter einer Hyperinflation leidet. Wer kann, flieht. In vielen anderen lateinamerikanischen Staaten hat sich derweil ein Rechtsruck vollzogen.

Erstmals komplett von der Berlin Redaktion

Und mehr noch: Die Erde heizt sich immer schneller auf, die Zahl der Flüchtenden hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt, der Brexit setzt Europa unter Stress, und Plastik vermüllt die Meere. Andererseits befreit Chinas beispielloser Aufstieg so viele Chines*innen aus der Armut, dass die globale Ungleichheit sinkt.

Schwindelerregend ist auch das Wachstum der Digitalwirtschaft: Fünf der sechs wertvollsten Unternehmen weltweit kommen heute aus der Tech-Branche, Facebook und Amazon haben im Vergleich zu 2012 ihren Wert mehr als verachtfacht. Die Digitalisierung durchdringt unsere Gesellschaften so stark, dass immer neue Kapitalismen ausgerufen werden: Datenkapitalismus, Plattformkapitalismus, zuletzt der Überwachungskapitalismus.

Diese und andere Entwicklungen liefern genug Gründe für einen neuen Atlas. Da mit einer französischen Ausgabe bis auf Weiteres nicht zu rechnen war, nahm die Berliner LMd-Redaktion 2017 das Wagnis auf sich, selbst einen „regulären“ Atlas zu produzieren. Jetzt, im Herbst 2018, nähert sich der neue Atlas allmählich seiner Fertigstellung.

Hochdruck im Atlas-Kessel

Die ganz überwiegende Mehrzahl der darin enthaltenen Texte haben wir neu in Auftrag gegeben, bei renommierten Autor*innen wie Ulrike Herrmann, Alex de Waal, Charlotte Wiedemann und vielen anderen.

Doch zu einem kleinen Teil greifen wir auch auf Artikel zurück, die schon in Le Monde diplomatique erschienen sind – Texte, die sich bestens für einen Atlas eignen. Beispielsweise Benoît Brévilles Bericht über den Siegeszug der Klimaanlage („Kalte Luft“) vom August 2017, der in der Hitze des Sommers 2018 noch mal an Aktualität gewann.

Die Grafiken und Karten, welche unser Layouter Adolf Buitenhuis jetzt unter Hochdruck im Atlas-Kessel erdenkt und recherchiert, entwirft und baut, machen die globale Dimension vieler Befunde des neuen Atlas der Globalisierung erst anschaulich – und damit die Welt wieder neu lesbar.