Erfolgsgenre Naturliteratur: Mein Freund, der Baum

Über den Boom der Bücher, die „geheime“ Natur als funktionierendes soziales Gefüge feiern.

Pflanzen als Persönlichkeiten Bild: dpa

Von Arno Frank

Während ich diesen Text schreibe, vertrocknet draußen auf dem Balkon der Pfennigbaum. Ich lasse ihn seit Wochen leiden, vermutlich. Ansehen kann ich ihm seine Qualen noch nicht, er speichert das Wasser in seinen dicken Blättern und wirkt ganz zufrieden. Könnte er aber reden, er würde mich sicher ansprechen: „Sorry, Alter, wie wär’s mal wieder mit der Gießkanne? Außerdem kitzeln mich die Ameisen!“

Die Insekten sind in der gleichen Erde, in die er seine Wurzeln geschlagen hat, und schicken bisweilen Scouts auf der Suche nach Süßem in die Wohnung. Was sie sonst noch treiben, entzieht sich meiner Kenntnis. Möglicherweise leben sie in Symbiose mit dem Pfennigbaum oder anderen Pflanzen da draußen.

Wollte ich das alles genau wissen, hätte ich es wesentlich leichter als noch vor ein paar Jahren. Auf der Suche nach entsprechender Literatur über Insekten, Pflanzen, ihre Befindlichkeiten und Wechselwirkungen würde ich im Buchladen nicht mehr gemustert wie ein wunderlicher Kauz. Im Gegenteil. Natur hat Konjunktur.

Bestseller Baumbuch

In Deutschland hat der Förster Peter Wohlleben den Wald und seine Bewohner wieder in Erinnerung gebracht – in seinem Erfolg nur noch vergleichbar mit Sabine Bode, die den Bewohnern der zerbombten deutschen Städte eine Stimme gegeben hat. Bücher wie Wald ohne Hüter, Bäume verstehen oder Mein Wald erscheinen noch weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. 2015 landete er mit Das geheime Leben der Bäume. Was sie fühlen, wie sie kommunizieren – die Entdeckung einer verborgenen Welt einen Bestseller.

Es ist kein trockenes Bestimmungsbuch und keine Anthologie. Hier kleidet der Fachmann seine Begeisterung in eine Sprache, für die seine Leserschaft empfänglich ist. Gerade so, wie Stephen Hawking in Eine kurze Geschichte der Zeit astrophysikalische Phänomene wie die Quantenmechanik oder Schwarze Löcher einem Laienpublikum erklärte, bringt Wohlleben forstwirtschaftliche Erkenntnisse unter die Leute. Er tut dies „augenzwinkernd“ und in Anlehnung an eine märchenhafte Sprache, vor allem aber mit hemmungslosen Anthropomorphismen.

Wenn Altes vergeht und Neues wird, klingt das bei ihm so: „Eines Tages ist es endlich so weit. Der Mutterbaum hat die Altersgrenze erreicht oder ist krank geworden. Im prasselnden Platzregen hält der morsche Stamm die schwere Krone nicht mehr und bricht splitternd auseinander. Wenn der Baum auf den Boden aufprallt, erwischt es auch ein paar wartende Sämlinge. Der Rest des Kindergartens bekommt durch die entstandene Lücke ein Startsignal, denn nun können sie nach Herzenslust Fotosynthese betreiben.“

Peter Wohlleben: Das geheime Netzwerk der Natur. Ludwig, 2017. – 224 Seiten., 19,99 Euro.

 

David G. Haskell: Der Gesang der Bäume. Kunstmann, 2017 – . 288 Seiten., 22,99 Euro.

Die Reromantisierung von Natur

Dergleichen wärmt das Herz und nährt den Verstand. Vor allem vermittelt es eine Vorstellung von der Natur als soziales Gefüge, von dem wir entfremdeten Menschen uns eine Scheibe von abschneiden sollten. Mit neuen Enthüllungen über Das geheime Netzwerk der Natur. Wie Wolken Bäume machen und Regenwürmer Wildschweine steuern erweitert der schreibende Förster nun die Bresche, die er in den deutschen Buchmarkt geschlagen hat – der nun von vergleichbaren Werken geflutet wird. Es ist eine Reromantisierung im Gange.

In Der Gesang der Bäume schlägt der US-Biologe David G. Haskell in die gleiche Kerbe, zugleich aber einen noch poetischeren Ton an. Wie ein Pilger nähert er sich einem Pfirsichbaum in Manhattan, einem Olivenbaum in Jerusalem oder einer Pappel in Denver. Pflanzen treten hier als Persönlichkeiten auf, denen der Spezialist ökologische Botschaften über „die verborgenen Netzwerke der Natur“ ablauschen kann.

Sachlichere Literatur erklärt uns, wie wir mit Obst und Gemüse aus dem eigenen Garten wieder zu Selbstversorgern werden können, welche Kräuter am Wegesrand welche Krankheiten heilen und wie leicht es ist, auch in der Stadt unter die Imker zu gehen. Nebenbei sickert ökologisches Bewusstsein bereits in die Literatur, beschwört ein aktueller Bestseller wie Die Geschichte der Bienen (Maja Lunde) ebenfalls exakt jene schicksalhafte Vernetzung von Mensch und Natur, die augenscheinlich gerade in Auflösung begriffen ist.

Sehnsucht nach dem Magischen

Dabei steht diese Sehnsucht nach einer Wiederverzauberung der Welt in einer langen Tradition. Jeder Fortschritt ist ein Stolpern nach vorne, ins Ungewisse, und weckt das Bedürfnis nach Rückversicherung. So war bereits die ursprüngliche Romantik eine Abwendung von den klassischen Idealen der Aufklärung, eine Besinnung auf Märchen und Mythen einer „eigenen“ Kultur, im Hinblick auf eine „beseelte“ Natur noch verstärkt durch die Verheerungen der beginnenden Industrialisierung ab dem späten 18. Jahrhundert.

Auf die industrialisierten und globalisierten Gemetzel des „Großen Krieges“ folgten Lebensreform und „Luftbäder“, und der Nobelpreisträger Maurice Maeterlinck empfahl Das Leben der Bienen, Das Leben der Ameisen oder Das Leben der Termiten als Vorbilder für ein gedeihliches Miteinander auch der Menschen – sozusagen ein erweiterter Völkerbund und Einbeziehung der Insektenvölker, ergänzt um die vegetative Intelligenz der Blumen.

Die New-Age-Bewegung als Reaktion auf das Atom- und Raumfahrtzeitalter hat nur Gesänge euphorischer Laien hervorgebracht. Damit ist es heute nicht getan. Der aktuelle Fortschrittsschock ist von Globalisierung, Digitalisierung und Virtualisierung verursacht. Das Gefühl der allgemeinen Entgrenzung bei gleichzeitiger Vernetzung erzeugt keine Euphorie mehr, sondern Agoraphobie. Bücher wie Das geheime Netzwerk der Natur oder Der Gesang der Bäume knüpfen in ihrem zärtlichen, beschwörenden und Achtsamkeit gegenüber der Schöpfung einfordernden Ton direkt an Maurice Maeterlinck an.

Aufklärer als Esoteriker

Hier schreiben Experten. Es sind die Aufklärer selbst, die sich als ganz unverhohlen als charismatische Esoteriker anbieten – also als Eingeweihte, die ihr „Geheimwissen“ vermitteln, bei aller Neoromantik freilich befreit von übersinnlichem Brimborium. Ihr wissenschaftlicher Blick auf das Kleine, Analoge und Greifbare suggeriert eine Übersichtlichkeit, die in unübersichtlichen Zeiten ungeheuer erholsam wirken kann.

Der eigentliche Trost allerdings ist ausgerechnet in den rituellen Ermahnungen zu Einfühlung, Achtsamkeit und Demut verborgen. In ihnen steckt die Botschaft, dass es doch noch eine Wende zum Guten geben könnte, dass wir selbst es in der Hand haben, dem Fortschritt eben nicht hilflos ausgeliefert sind.

Zu diesem Zweck müssen wir nicht einmal unser Leben ändern. Es genügt, wenn wir uns „entselbsten“, wie David Haskell schreibt, und unsere bescheidene Rolle im geheimen Netzwerk annehmen. Es genügt, wenn wir den Pfennigbaum gießen.

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