piwik no script img

Aus der zeozwei

Die zeozwei-Kontroverse Ökos sind unpolitisch

Das Gemeinsame von Digitalisierungsgesellschaft und Ökoszene? Beide sind unpolitisch, meint Sozialpsychologe Harald Welzer.

Harald Welzer versteht sich als Übersetzer der Digitalisierung ins Gesellschaftliche Bild: Anja Weber

Die Nachhaltigkeitsszene ist unpolitisch, selbstbestätigend und Teil des Problems und nicht der Lösung, sagt der Sozialpsychologe Harald Welzer. Ökos widerlegen das expansive Wirtschaftsprinzip nicht, sondern stärken es durch Mitmachen. Falsch, sagt Uwe Schneidewind, Chef des Wuppertal-Instituts. Es gibt eher zuviel Kritik untereinander als zu wenig, sagt Felix Eckardt, sächsischer BUND-Vorsitzender.

Die zeozwei-Kontroverse, Folge 1: Welzers Anklage

zeozwei: Sie sind vor einigen Jahren als Mann von außen in die Welt der Ökos eingetaucht. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis, Herr Professor Welzer?

Harald Welzer: Es gibt einen inneren Selbstbestätigungsdiskurs, der nicht mitgekriegt hat, dass die Katastrophenrhetorik überholt ist.

Sie sind sehr hart.

Ja, das ist jetzt der Rundumschlag. Es gibt diese Großveranstaltungen, bei denen regelmäßig die üblichen Verdächtigen auftreten und die – wie jede Subkultur – die eigenen Erfolge zelebrieren. Und mit dem Zelebrieren vergessen sie den großen Zusammenhang.

Der da ist?

Global sehen wir nur Transformationen von nachhaltig zu nicht nachhaltig. Das steht in Widerspruch zur inneren Perspektive, dass sich viel zum Besseren verändert hat, doch das ist nur höchst vereinzelt der Fall. So, wie man in einem Zug gegen die Fahrtrichtung geht. Das ändert auch nichts an der Fahrtrichtung und der Geschwindigkeit des Zuges.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie bei diesen Konferenzen erzählen, dass PowerPoint in dem Moment keinen Strom mehr braucht, in dem man Diagramme über CO2 zeigt. Aber den Witz kapieren die Ökos nicht.

Dabei ist das ein guter Witz, finde ich.

Sie kritisieren damit, dass die Ökos auch zu Konferenzen fliegen und dort mit PowerPoint Energie raushauen. Das ist ein uralter Vorwurf. Was ist Ihr Problem damit?

Man muss den Transfer zur eigenen Praxis und zum eigenen Betriebssystem machen. Der Nachhaltigkeitszirkus ist nolens volens Teil des expansiven Wirtschaftsprinzips – inklusive des fehlenden Bewusstseins, dass auch ein PowerPoint-Vortrag Strom braucht. Es kommt aber darauf an, dieses Prinzip zu durchbrechen. Das hat bei mir zu der Erkenntnis geführt, dass man die Form von Kommunikation und die Perspektive auf das Thema erweitern muss, und zwar reflexiv.

Erklären Sie deshalb die Nachhaltigkeitsszene für unpolitisch?

Ja, weil sie die entscheidende Frage nicht stellt: Wie alles zusammenhängt. Man meint, Lösungen wären partikular zu haben, etwa durch Konzentration auf die erneuerbaren Energien. Das ist unpolitisch. Ein führender Nachhaltigkeitsfunktionär hat das mal in einem hellen Moment gesagt: Die flächendeckende Einführung der Erneuerbaren verschärft das Problem, weil ich irgendwann ohne Kosten und Endlichkeiten immer mehr verarbeiten und produzieren kann, solange ich das expansive System nicht als Ganzes infrage stelle. Erneuerbare sind interessant, wenn ich eine reduktive Richtung einschlage, also weniger Produkte erzeuge und konsumiere. Dann macht das Sinn. Man muss die zentrale Variable ändern.

Welche ist das?

Meine Studierenden in Sankt Gallen schreiben gerade ein utopisches Szenario. Das sind BWLer.

Ein Widerspruch in sich.

Na, warten Sie ab. Die haben eine zentrale systemische Variable verändert. Die Internalisierung der externen Kosten, also der ökologischen und sozialen Kosten, die sonst auf Natur und arme Länder abgewälzt werden. Wenn man das macht, dann kriegt man auf einen Schlag ein anderes System.

Konkret?

Wenn man das in einem Textilunternehmen macht, schrumpft der Gewinn um 90 bis 95 Prozent. Jetzt muss man mit dem Problem aus betriebswirtschaftlicher Sicht umgehen. Der klassische Ansatz ist: Kosten reduzieren. Wenn die ökologischen Kosten plötzlich eine Rolle spielen, dann kannst und wirst du sie reduzieren. Dann heißt es plötzlich: Eine zehntausend Kilometer entfernte Produktion können wir uns nicht mehr leisten, die Transporte nicht und auch nicht die Baumwolle, die nur mit teuren Spritzmitteln wächst. Sie ändern nur ein Element, plötzlich ist es ein völlig neues Spiel.

Dadurch ändern sich auch Dinge zum Negativen. Arbeiterinnen in Bangladesch verlieren ihre Lebensgrundlage?

Ja, da ändert sich ganz viel. Lokale Ökonomien funktionieren unter dieser Voraussetzung viel besser als heute.

Nun haben Sie sich an ein weiteres System herangewagt, das hauptsächlich von Spezialisten diskutiert wird: die Digitalisierung. Die Experten werden sagen: Jetzt kommt der Welzer und will uns was erzählen. Der hat doch keine Ahnung.

Vollkommen richtig. Ich verstehe nichts von der Technologie, lerne auch gerne sehr viel über die Tragweite, etwa in den aufklärerischen Kolumnen der Datenschützerin Constanze Kurz. Aber die Helden des Digitalisierungsdiskurses denken ihr Thema auch nicht zusammen mit den anderen Themen der Zukunft. Das kann ich beitragen. Insofern bin ich so etwas wie ein Dienstleister.

Ein Übersetzer?

Ein Übersetzer in das Gesellschaftliche.

Eine zentrale These Ihres Buches: Konsumbesessenheit und Bequemlichkeit sind die Treiber der smarten Diktatur. Wir überwachen und entmachten uns selbst.

Dass Überwachung und Konsumismus zusammenfallen, das ist der Clou in modernen Konsumgesellschaften. Die Bequemlichkeit ist ein Treiber dieser Art von Konsumismus. Dass man pausenlos konsumieren kann, ohne seinen Arsch zu bewegen. Eigentlich muss man den Leuten nur klarmachen: Hört auf zu konsumieren, dann werdet ihr nicht überwacht.

Wäre unbequem. Aber möglich?

Ja, klar. In den reichen Gesellschaften hat man das Problem, dass Leute zu bequem sind und immer Aktivierung brauchen, um irgendwohin zugehen. Es ist eine eigentümliche Dialektik, wenn Bücher Bestseller werden, die Ich bin dann mal weg heißen und darüber berichten, dass jemand irgendwohin gelatscht ist, und die gesellschaftliche Praxis das genaue Gegenteil ist: vollkommene Inaktivierung von Eigentätigkeit.

Die Möglichkeiten des Konsums sind greifbar in jeder Sekunde des Alltags, das andere ist abstrakt.

Ist es nicht. Wenn man in Kärnten auf seinem Tablet ganz andere Werbung bekommt als in Berlin, dann ist das ein deutlich sichtbarer politischer Sachverhalt. Jemand macht sich Wissen über dich zunutze. Das gab es vor zehn, fünfzehn Jahren nicht.

Die Digitalisierungsgesellschaft ist so unpolitisch wie die Ökoszene?

Die Rezeption ist unpolitisch. Die Akteure sind zum Teil sehr politisch, vor allem die libertären Vertreter wie der PayPal-Gründer Peter Thiel. Der Grundtenor der Silicon-Valley-Kaste ist ja, dass Politik etwas ist, das maximal bestimmte Ansprüche abzudecken hat, aber in die wesentlichen Sachen – nämlich das Geschäft – nicht einzugreifen hat. Deshalb ist Politik für sie im Grunde verzichtbar, weil alles seine richtige Einrichtung ganz von selbst findet.

Und die Bürger?

Auf der anderen Seite derjenigen, die das Digitale nutzen, geht die Politisierung nur ungefähr bis zum Datenschutz. Aber nicht so weit, dass man darüber spricht, dass Grundverhältnisse des Politischen und Sozialen unterhöhlt werden, die weit, weit, weit über die Datenschutzproblematik hinausgehen. Wir verlieren gerade jede Privatheit. Die ist aber die zentrale Voraussetzung für Demokratie. Und Freiheit.

Was sind die Analogien zur Ökowelt?

Die Kurzfassung des Zusammenhangs: Auch das Digitale ist fossil.

Ihre zweite Hauptthese?

Ja. Wir haben auch hier eine total partikulare Diskussion, einerseits wird das Digitale als disruptiver, historisch nie dagewesener Innovationstreiber gefeiert. Das ist das Selfmarketing der digitalen Wirtschaft, das komischerweise geglaubt wird. Dass das alles ganz neu und ganz toll ist und diverse Probleme gelöst werden, sogar im energetischen Bereich. Nur: Was ist eigentlich systemisch betrachtet neu und nicht nur ein Beschleuniger des bekannten Regimes?

Sie werden es mir sagen.

Nichts. Das schert an keiner Stelle aus, es bleibt in jedem Sinne wachstumswirtschaftlichen Paradigmen verpflichtet, der Steigerung von Umwelt- und Naturverbrauch und der Expansion von Fremdsteuerung. Es macht die Abhängigkeit von externen Energiequellen viel größer als je zuvor, es entautonomisiert. Man sieht, dass bestimmte negative Folgen der Wirtschaftsweise der letzten Jahrzehnte konsequent vorangetrieben werden.

Ich kann dem Schaffner doch jetzt die Fahrkarte auf dem Smartphone zeigen. Ich brauche weder Schalter noch Drucker, das ist wahnsinniger Fortschritt.

Sehr witzig.

Das ist das Niveau des gesellschaftlichen Partygesprächs.

Es gibt eine Infantilisierung der Diskussion. Etwa wenn der amerikanische Vieldenker Jeremy Rifkin von einer dematerialisierten Gesellschaft träumt, in der alles über 3-D-Drucker laufe. Als brauchten diese Drucker keine Rohstoffe und umgeformten Stoff. Es braucht immer Stoff. Und für die Umformung braucht man ebenfalls Rohstoff und Energie. Nur wird der Aufwand bei der Digitalisierung systematisch erhöht.

Den Begriff Wertschöpfungskette ersetzen Sie durch Gewaltschöpfungskette.

Ein Handy wird nach einem halben Jahr weggeworfen. Da wird kein Wert geschöpft, nur zerstört.

„Bewusster Konsum“ ist für Sie nicht anderer Konsum, sondern die mehrheitlich praktizierte bewusste Entscheidung für Wertzerstörungsketten.

Ja. Könnte sein, dass man anfängt, einen gewissen Ekel vor sich zu empfinden und sagt: So mies will ich nicht sein.

Will man nicht, aber man kann im Alltag damit nicht umgehen.

Warum nicht? Es gibt genau hier viele, individuelle Handlungsmöglichkeiten.

Ich kenne Menschen, die glauben, ohne ihr Smartphone nicht mehr existieren zu können. Die Chance, dass Mehrheiten das aus politischen Motiven abgeben, halte ich für gleich null.

Warten Sie ab, was die Kids machen.

Ich rede von den Kids, die damit aufgewachsen sind und Information, Kommunikation, Konsum, Musik, Spiele, kurz: alles damit machen.

Im Moment sieht das nicht so aus, okay, aber genau die werden als Erste die Einschränkung ihrer Entfaltungsmöglichkeiten erfühlen. Es muss ja nur der Strom ausfallen, dann ist Schluss.

Schauen Sie sich doch mal mein uraltes Mobiltelefon an: Wenn junge Menschen das sehen, werde ich deklassiert.

Das wird sich ändern. Ich zeige Ihnen mal mein prähistorisches Handy. Wenn ich das vor meinen Studis raus hole, wissen Sie, was die dann machen?

Lachen?

Nein, dann strecken die mir auch ihre alten Handys entgegen und sagen: Das machen wir schon immer. Vielleicht zieht ja auch irgendwann mal jemand den Stecker. Die Abhängigkeit wird fühlbarer, wenn etwas mal drei Tage lang nicht funktioniert. Wenn man solche Bruchstellen erlebt und versteht: Aha, das geht ja alles gar nicht ohne Strom.

Was ist mit den positiven Errungenschaften, etwa der Bedeutung des Mobiltelefons für Afrika?

Ich will kein hermetisches Bild zeichnen, keine kritische Theorie im schlichten Sinne, dass alles ein großer Verblendungszusammenhang ist, ohne Öffnung und Schattierung. Das Moment der Informationsbeschaffung, das wäre das afrikanische Beispiel, das Moment der Vergemeinschaftung, das der Organisationsfähigkeit: Da ist viel Potenzial. Aber es entfaltet sich je nachdem, welche grundlegende Absicht ich damit verbinde. Wenn ich nur die Möglichkeit damit verbinde, meine Geschäfte zu vergrößern, ist das negative Potenzial groß.

Es gibt keine Spitzenpolitiker, die das zusammenbinden oder denen man Digitalkompetenz zuschreiben würde.

Markus Söder ..., Alexander Dobrindt ...?

Links, rechts, grün und konservativ beschreiben Konfliktlinien des 20. Jahrhunderts, aber nicht der Gegenwart, schreiben Sie. Grün seien alle. Meine Gegenthese: Keiner ist grün.

Das stimmt auch. Wenn alle grün sind, ist es keiner. Eine wichtige These meines Buches ist das Unsichtbarmachen.

Heißt?

Zum Beispiel soll unsichtbar bleiben, dass es Gründe für die Flüchtlingsbewegung gibt. Deshalb wird das Problem an die Grenze verlagert. Die Digitalisierung ist im Unsichtbarmachen von Problemen ganz groß. Das Digitale braucht Energie, das ist in der Steigerungslogik befangen, das soll alles unsichtbar bleiben. Es gibt nicht mal Auskunft, was eine Informationsbeschaffung alles an Energie verbraucht. Zum Beispiel schätzt das Umweltbundesamt, dass der Stromverbrauch des Internets in Deutschland für so viel CO2 sorgt wie der Flugverkehr.

Wollen Sie eigentlich modernisieren oder die Moderne aufhalten?

Ich möchte die Moderne modernisieren.

Wie?

Indem ich die simple Frage stelle: Was war denn nochmal die Frage, auf die wir eine Antwort sein wollten? Stichworte: Aufklärung, zivilisatorisches Projekt.

Der Mensch tritt womöglich nicht für zivilisatorische Projekte an, sondern um sich in ein großes Haus einen großen Fernseher reinzustellen.

Und deshalb muss man die Dialektik des Großbildschirms verstehen. Je größer der Bildschirm, desto mehr Abstand braucht man zwischen sich und dem Schirm. Das, was man sieht, bleibt aber immer gleich groß. Nur Gerät und Raum werden größer.

Leerlaufende Modernisierung?

Exakt. Alles, was passiert, ist die Erhöhung von Material und Energieverbrauch. Was Sie kriegen, bleibt dasselbe.

Der Philosoph Slavoj Žižek hat gesagt, es sei naiv anzunehmen, es gebe einen tieferen Kern globaler Solidarität.

Völlig richtig. Den ganzen Schmu, da hat Žižek recht, mit der Weltgemeinschaft und Fernstenliebe, den gibt es nicht. Allenfalls als Simulation.

Wo ist dann der Hebel für Veränderung?

Vielleicht ist es der Wunsch, dass man selber ein gutes Leben hat?

Wie befördern die Parteien das Unpolitische am Digitalisierungsdiskurs?

Keine Partei thematisiert das demokratiezerstörende Potenzial der Digitalisierung, alle ergötzen sich an irgendwas mit 4.0. Weil sie nicht verstehen, womit sie es zu tun haben. Übrigens auch aufgrund des Fehlens von politisch-historischer Bildung.

Welche Rolle spielt Karl Marx bei der politischen Diskussion um die Digitalisierung?

Ob er insgesamt eine große Rolle spielt, sei dahingestellt. Verschiedene Aspekte sind fruchtbar, etwa dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Das ist in der Digitalisierung greifbar. Man kann schauen, wie Monopole entstehen, wie Macht generiert wird. Aber ich finde Heinrich Popitz interessanter in dem Zusammenhang.

Kenne ich nicht.

Prozesse der Machtbildung. Sehr interessant. Popitz beschreibt meisterhaft, wie Macht entsteht und von Gruppen monopolisiert werden kann. Pflichtlektüre.

Ihre dritte Hauptthese lautet, dass das Schicksal zurückkehrt: Muss man als Kind eines Totengräbers wieder Totengräber werden wie vor Aufklärung und Überwindung des Feudalismus?

Das philosophische Zentralprogramm der Aufklärung war: autonom werden, um dem Schicksalhaften zu entgehen. Die aufgeklärte Gesellschaft hat dafür zu sorgen, dass Ausgangsunterschiede durch den Sozialstaat ausgeglichen oder abgemildert werden. In dieser neuen Share-Economy-Welt kann man aber – jetzt mal marxistisch gesprochen – nur das zu Markte tragen, was man hat. Das kann man bei Uber- oder Wohn-Economy sehr schön sehen: Dienstleistungen auf unterster Ebene ohne Arbeitsschutz und Sozialleistungen. Und wenn man nichts zu Markte zu tragen hat, kein Auto und kein freies Zimmer, ist man weg.

Wo ist der Zusammenhang, dass Digitalisierung die Asozialität der Gesellschaft befördert?

Die Digitalisierung stellt die Plattform bereit für die Möglichkeit dieser direkten Vermittlung von Dienstleistungen.

Und wo ist der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und schwächer werdendem Sozialstaat?

Den sehen Sie überall, wo kommunale Daseinsvorsorge in Konkurrenz gerät mit privaten Anbietern, die angeblich billiger sind. Was übrigens eine der desaströsesten Folgen von TTIP und CETA wäre.

Muss man das Taxigewerbe oder die Industrie-Gastronomie schützen, weil das immer noch bessere schlecht bezahlte Arbeitsplätze sind?

So platt sage ich das nicht. Die Argumentation der Ubers und aller Protagonisten der Share Economy lautet, dass Leute plötzlich Möglichkeiten haben, die sie sonst nicht gehabt hätten. Das heißt aber im Umkehrschluss, dass man alles in diesen Share-Kreislauf überführen muss, was man hat – und je weniger einer hat, desto mehr muss er sich anstrengen, noch eine niedere Arbeit zu übernehmen.

Was ist die Alternative?

Steht im Grundgesetz: Sozialstaat.

Der Change geht bei Ihnen immer von sich emanzipierenden und vernünftigen Bürgern aus, die sich in die Lage versetzen, aktiv zu werden.

Wen wollen Sie denn haben, von dem der Change ausgeht? Es gibt doch niemanden anders.

Die großen Veränderungen kommen durch politische Gesetze. Etwa das EEG ... Bürger können kein Kohleausstiegsgesetz beschließen, das muss eine Bundesregierung machen.

Mein Gott, dass EEG hätte es nie gegeben ohne die Anti-Atom-Bewegung. Ohne aktive Bürger. In dem Moment, in dem ich den Zusammenhang sehe, gehe ich auf die Straße und beauftrage den Politiker mit bestimmten Inhalten. Der reagiert aber nicht ohne Systemstörung.

Wenn man sich die linkspopulistischen Parteien in Europa ansieht, klassische Hoffnungsprojektionen, dann haben die zwar die Probleme aufgenommen, sie haben aber keine realistischen Antworten.

Ich sehe im Moment vor meinem geistigen Auge auch noch keine real existierende Partei, die das übernehmen könnte. Das ist aber auch nicht meine Aufgabe, die zu suchen.

Was, wenn die Vernunft des Bürgers in einem Checkertum stecken bleibt, das vom Feldherrnsofa kommentiert?

Das ist das Schlimmste: So durchzublicken, dass man nicht mehr im Entferntesten auf die Idee kommt, sich irgendeine Form politischer Aktivierung zuzumuten. Im Feuilleton weit verbreitet. Durchblickertum ist die perfideste Spielart von Entpolitisierung.

Führen Sie selbst denn ein gutes Leben?

Total super. Ich liebe meine Katzen und habe mir schon ewig nichts mehr gekauft.

PETER UNFRIED ist Chefredakteur der zeozwei.

Das Interview ist erschienen in zeozwei 03/16. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.

Am 10.06.2016: Uwe Schneidewind antwortet

Am 13.10.2016: Felix Ekardt antwortet