Lebensschützer, AfD und Abtreibung : Sorge um den Backlash
Wie umgehen mit Radikalen, die das Recht sexueller Selbstbestimmung bekämpfen? Die taz diskutierte.
BERLIN taz | Welche Verbindung gibt es zwischen AfD und fundamentalen Abtreibungsgegner_innen? Und: Wie kann eine feministische Haltung zur Pränataldiagnostik aussehen? Diese beiden Fragen sorgten am ohnehin schon aufgeheizten Spätsommerabend im taz Café für Reibung auf dem Podium.
Die taz hatte im Rahmen der Veranstaltungsreihe „taz.meinland – taz on Tour für eine offene Gesellschaft“ eingeladen. Durch den Mittwochabend moderierte die stellvertretende taz-Chefredakteurin Katrin Gottschalk.
Anlassgebend: der „Marsch für das Leben“ am kommenden Samstag. Die fundamentalen „Lebensschützer_innen“, wie sie sich nennen, werden durch Berlin laufen und ein Verbot für Abtreibung fordern.
AfD wird keinen Einfluss haben
Im vergangenen Jahr führte die AfD-Politikerin Beatrix von Storch den Protestlauf der rund 5000 Abtreibungsgegner_innen an. Die AfD wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in das Berliner Abgeordnetenhaus ziehen. Wird sie die Arbeit der Frauen- und Gleichstellungspolitik erschweren?
„Nein“, beruhigte die Grünenpolitikerin Anja Kofbinger auf dem Podium und lehnte sich zurück. „Ich erwarte gar nichts von der AfD, was das angeht“. Nichts von deren antifeministischen Forderungen lasse sich in konkrete Antragsarbeit der Opposition übertragen. Auch an den Finanzen für den Bereich könne die AfD ohne Regierungsbeteiligung nichts ändern, ist sich die stellvertretende Fraktionsvorsitzende sicher. Die Gäste nicken.
Anders sahen das Stefan Nachtwey, Leiter des Familienplanungszentrums FPZ-BALANCE, und die Autorin Kirsten Achtelik. Nachtwey warnt davor, die AfD könne auch in der Opposition Steine in den Weg legen.
Einrichtungen wie das Familienplanungszentrum seien abhängig von Fördergeldern, über die auch die Opposition mitbestimmen könne. Achtelik spricht von einem grundsätzlichen Umkippen der gesellschaftlichen Stimmung, welches vom Erfolg der AfD befördert wird: „Verharmlosen sollte man sie auf keinen Fall.“
Größere Kontroversen gab es bei der Frage, ob sich Feministinnen zu Präimplantations- (PID) und Pränataldiagnostik (PND) positionieren sollen. Achtelik hat ein Buch mit dem Titel „Selbstbestimmte Norm“ geschrieben, warnt vor Selektion und stellt in Frage, ob Feministinnen tatsächlich jede Abtreibung verteidigen sollten.
Etwa die eines behinderten Kindes. Im Publikum provozierte sie Kopfschütteln mit ihren Aussagen. „Bald müssen sich Frauen mit behinderten Kindern verteidigen: Warum hast du nicht abgetrieben?“, sagt Achtelik.
Zu Gegenprotesten am Samstag rufen das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und das „What the fuck“-Bündnis auf. Während Achtelik das „What the fuck“-Bündnis dafür lobt, dass es sich im Internet klar dazu äußert, wünscht sie sich vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung eine Positionierung: „Es muss mehr Reflexion stattfinden.“
Warnung vor Spaltung
Die hingegen verteidigten sich. „Wir bestehen aus rund 40 Organisationen. Darunter Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände“, erklärt Nachtwey. Eine Einigung bei dieser schwierigen Frage sei unrealistisch. Zudem könne man technischen Fortschritt nicht aufhalten.
Besonders widersinnig empfindet Nachtwey, dass die AfD sich einerseits als lebensbejahend dem behinderten Kind gegenüber gibt, auf der anderen Seite aber Gelder für Inklusion und sozialer Absicherung streichen will.
Kofbinger warnt vor einer Spaltung bei den Befürwortern der sexuellen Selbstbestimmung. Der gemeinsame Gegner sei die AfD und der rechte Flügel der CDU/CSU. Im Vordergrund stehe die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper und damit die endgültige Abschaffung des §218.
Anschließend hatten die Gäste die Möglichkeit, sich an der Diskussion zu beteiligen. Für Erstaunen sorgte die PND-Kritikerin und Traumatherapeutin Marita Klippel-Heidekrüger: „Ich oute mich mal.“
Ihre These aus beruflicher Erfahrung: PND sorge dafür, dass die Bindung zwischen Mutter und Kind im Mutterleib erst verzögert starte. Erst nachdem die Mutter wisse, alle Tests seien in Ordnung, könne sie eine Bindung zum Kind im Bauch aufbauen. Persönlichkeitsstörungen und Probleme der eigenen Körperwahrnehmung seien die Folge.
Bei den Gästen kam die Veranstaltung gut an. Silke Stöckle, ebenfalls Mitglied des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung, sieht trotz Kontroverse genug Einigkeit, um den Fundamentalisten_innen am Samstag entgegentreten zu können.
TIMO LEHMANN, Mitarbeiter der taz