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Unruhe in Deutschland Die offene Gesellschaft retten

Was tun gegen gesellschaftliche Nervosität? taz diskutiert mit Anetta Kahane, Zefar Senocak und Harald Welzer.

Zafer Senocak, Barbara Junge, Anetta Kahane und Harald Welzer (v.l.n.r.) Bild: Stefan Boness/IPON

BERLIN taz | „Wir müssen über eine neue Gesellschaft sprechen“, fasst Anetta Kahane, Chefin der Amadeu Antonio Stiftung, früh den Sinn dieser Diskussion zusammen. Sie meint: Durch die Wahlerfolge der Rechtspopulisten der AfD ist es mit der politischen 'Gemütlichkeit' nach rechts vorbei - die Konturen einer Bewegung gegen die, wie es aus der AfD heißt, "links-rot-grün-versifften" Gesellschaft werden deutlich.

Mit der Kampagne „meinland – taz on Tour für eine offene Gesellschaft“ wollen wir als taz fragen und zuhören. Ein offenbar prima gewähltes Thema, im sehr gut gefüllten Cafè war für diese Debatte kaum noch ein Platz frei. Wer zu spät kam, musste die lebendige Diskussion im Stehen verfolgen. Applaudierend, nickend, kopfschüttelnd, aber auch laut lachend, begleiteten 87 Interessierte die Diskussion.

Wenn die Fernsehsender der Republik am kommenden Sonntag um 18.10 Uhr die ersten Hochrechnungen publik machen, wird die AfD abermals die 5Prozent-Hürde überwunden haben. Kein Vergleich zur Mecklenburg-Vorpommern-Wahl vor knapp zwei Wochen, aber ein weiterer Fingerzeig der Partei um Petry, von Storch, Gauland und Höcke. Jede*r siebte wählende Berliner*in würde demnach für die Rechtspopulisten an die Urne treten.

Die Rechten waren immer da

Für Harald Welzer vom Projekt Futurzwei, selbst Initiator einer Bewegung für die offene Gesellschaft, keine Überraschung. „Es gab früher einfach nur keine Partei, die sie hätten wählen können.“ Eine These, der Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung zustimmt. Die Rechten im Land, die immer da waren, werden nun sichtbarer, zeigten ihr Potential.

„Die Welt ist nicht rosa,“ stellt auch Schriftsteller Zafer Senocak fest. Die AfD als - für einige - gesellschaftsfähige Partei des rechten Randes sei im Gegensatz zur NPD wählbar. „Eine offene Gesellschaft muss das ertragen,“ sagt Welzer. Es gilt, dass „die 20 Prozent nicht 80 Prozent vor sich hertreiben“, pflichtete Senocak ihm bei.

Die eigentliche Gefahr sei „das Kippen derjenigen, von denen man es eigentlich nicht glauben sollte“, sagt Welzer. Freunde, Verwandte, Bekannte – Menschen in der Mitte der Gesellschaft, die vom braunen Sog mitgezogen werden.

Doch wie damit umgehen, wenn immer mehr Menschen sich einer offenen Gesellschaft verweigern? Vielleicht ist es in bestimmten Teilen Deutschlands schon zu spät. „Die größte Bankrotterklärung der Politik ist“, hält Kahane fest, „dass Rechte ein Klima erzeugen konnten, das Migranten davon abgehalten hat, in diese Regionen zu ziehen.“ Parallelwelten, in die die Politik nicht eingreift und diese immer stärker werden lässt. Fremdenfeindlichkeit gedeiht hier, die offene Gesellschaft wird zu einer geschlossenen.

Wenn die Anwesenden nun eine Diskussion in Eintracht erwartet hatten, wurden sie eines Besseren belehrt. Der Ton wurde rauer, die Debatte hitziger. Die Feststellung Kahanes „Es ist momentan eine starke Polarisierung zu spüren“, ließ sich auch auf das Podium übersetzen.

Welzer hat jedenfalls keine Lust „mit Arschlöchern über Arschlöcher zu sprechen.“ Parteien wie die AfD schließt er grundsätzlich aus, Fremdenfeindlichkeit ebenso. Nur durch die mediale und politische Auseinandersetzung mit diesen Randerscheinungen würden diese groß gemacht. Ihr Erfolg wird herbeigeredet. Mit diesen besorgten Leuten zu sprechen, sei deshalb nicht nur sinnlos sondern kontraproduktiv. In diesem Fall handle Merkel richtig.

Für Senocak inakzeptabel: „Wir müssen über alles, immer reden.“ Das Gespräch mit solchen Gruppen müsse gesucht werden, mit Rechtspopulisten, überhaupt aber mit allen, die mit einer pluralen, bunten Gesellschaft aggressiv hadern. Sonst würden die Probleme nur tiefgründiger und irgendwann explodieren. „Ihr könnt keine Denkverbote ausstellen“ wirft er Welzer lautstark vor. Die bestehenden Probleme und Ängste ließen sich nicht einfach ignorieren. Echokammern wirken hier nur verstärkend. Rechtes Gedankengut manifestiert sich.

Nach einem minutenlangen Schlagabtausch kehrte wieder Ruhe ein. Man kämpft für die gleiche Sache, vielleicht mit unterschiedlichen Ansätzen. „Wir brauchen Freundinnen und Freunde, um gemeinsam etwas zu bewegen“, sagt Welzer. Barbara Junge, stellvertretende taz-Chefredakteurin und Moderatorin der Podiumsdiskussion ist am Ende der Veranstaltung jedenfalls zufrieden: „Ich hatte es schon vorher gesagt: Wenn wir streiten, ist alles gut.“

SÖREN HABERLANDT, Mitarbeiter der taz