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lab 2016

Sex-positiver Feminismus im Gespräch Schwanz in Möse? Wie langweilig!

Ein Gespräch mit Laura Méritt und Polly Fannlaf über genormte weibliche Körper, einen konsensuellen Zugang zu Sex und Gender als Masterkategorie.

Sie ist für viele noch eine abstrakte Form: Die weibliche Vulva. Bild: Dagmar Morath

taz: Frau Méritt, Frau Fannlaf, Sie stehen für sex-positiven Feminismus. Was bedeutet das – und was ist daran so attraktiv?

Laura Méritt: Die sex-positive Bewegung hat in den letzten zehn Jahren große Aufmerksamkeit erfahren, weil sie sich für einen respektvollen und vor allem konsensuellen Zugang zu Sexualität ausspricht und Alternativen zum Mainstream anbietet.

Besonders die jüngere Generation, die mit den Angeboten der Pornoindustrie im Internet aufwächst, ist interessiert an Bildern, die nicht sexistisch, rassistisch, size-istisch oder age-istisch sind. Aber auch ältere Leute wollen sich inspirieren lassen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität ist an kein Alter oder Geschlecht gebunden. 

Wie sex-positiv sind wir denn schon?

Méritt: Die Sexspielzeug-Industrie wurde ja schon von der Frauenbewegung revolutioniert, was Qualität, Farbe, Design und Produktionsbedingungen betrifft. Seit über 20 Jahren betreibe ich Europas ältesten feministischen Sexshop für alle Geschlechter, da kann ich das sehr schön sehen.

Viele gründen in anderen Städten auch Salons und reden stärker über Sexualität, analysieren Filme und bilden sich weiter. Feministische Kriterien finden allgemeinen Anklang. Pornographie ist als ernst zu nehmendes Forschungsfeld an der Uni angekommen. Das ist ein riesiger Schritt auf dem Weg in eine Gesellschaft, die mit Sex positiv umgeht.

Gibt es nicht wichtigere Themen als Feminismus und Gender – das Erstarken der AfD oder die Flüchtlingsdebatte?

Méritt: Gender ist eine Masterkategorie, die in alle gesellschaftlichen Angelegenheiten hineinspielt. Außerdem sind Frauen und andere Gender mit Bildung und einem starken Selbstbewusstsein, also auch Vertrauen und Kenntnis des eigenen Körpers, weniger anfällig für rechte Parteien und andere diskriminierende Strukturen.

Polly Fannlaf: Die alten Dualismen haben ausgedient und nun geht es darum, die Vielfalt zu erkunden. Freund*in und Fremde sind keine Gegensätze – es gilt, den Reichtum zu begreifen und zu feiern.

Sie geben Workshops über die weibliche Anatomie. Ist es wirklich noch nötig, darüber aufzuklären?

Méritt: Vor allem macht es Spaß – wie jede gute Weiterbildung. Die meisten wissen zu wenig über die sexuellen Organe und Funktionen ihres Körpers und wie alles miteinander zusammen hängt. Zu Lustorganen und vor allem zu den Schwellkörpern und Erregungsorganen wie Klitoriskomplex und weiblicher Prostata wissen die meisten zu wenig. Mann und Frau werden als zueinander komplementär dargestellt, und das Praktizieren von Sex reduziert auf die Penetration von Schwanz in Möse.

Fannlaf: Das ist vielen zu langweilig und die bekommen dann bei uns viele schöne Anregungen (beide lachen).

Ist Anatomie also ein Politikum?

Méritt: Körper werden von der jeweiligen Gesellschaft und deren sozioökonomischen Interessen definiert, diese Beschreibungen können sich im Laufe der Zeit verändern. Die Klitoris wurde z.B. im Laufe der Jahrhunderte immer kleiner dargestellt, jetzt wird sie meist als Punkt mit zwei Strichen abgebildet und von der Schönheitsindustrie als klein und symmetrisch normiert.

Weibliche Lust wurde schon zu Zeiten Freuds als hysterisch pathologisiert und heute wird weibliche Unlust konsequent als „sexuelle Dysfunktion“ diagnostiziert. Dabei bleiben soziale und andere Komponenten, zum Beispiel Kommunikation und Machtgefälle, in der Beurteilung auf der Strecke. Statt sich mit der Lebens- und Liebessituation von Frauen wissenschaftlich und interdisziplinär zu beschäftigen, werden Medikamente verschrieben. Die Frauengesundheitsbewegung macht diese Zuschreibungen schon seit den 70ern bewusst und klärt auf.

Fannlaf: Körpernormen formen Körper. Wenn der Mann groß und stark sein muss, wird nicht nur er, sondern auch seine Mutter und Frau alles dafür tun, dass er das wird. Und wenn die Frau klein und unterwürfig sein muss, wird sie kaum ihre Oberarmmuskulatur trainieren.

Innerhalb des Feminismus steht „PorYes“ gegen „PorNo“. Ist die Frauenbewegung zu gespalten?

Méritt: Die Frauenbewegung ist eine grosse soziale Bewegung und hatte schon immer verschiedene Flügel, die auf verschiedenen Ebenen agierten. Ob es nun um das Erstreiten des Frauenwahlrechtes ging oder um die Rechte von Huren.

Fannlaf: Bei Politiker*innen werden Meinungsverschiedenheiten als Zeichen engagierter Auseinandersetzung gelesen. Bei Frauen werden verschiedene Ansätze hingegen eher negativ gewertet. Damit wird in die ideologische Genderkiste gegriffen. Dabei ist ein Leitsatz der Frauenbewegung: Vielfalt ist Reichtum. 

Méritt: Diese mehrgleisige Strategie und die Diskussions- oder Steitkultur ist etwas sehr wertvolles und wird interessanterweise bei Frauen oftmals als „Zickenkrieg“ oder „Kampf der Hyäninnen“ bezeichnet und als Spaltung gewertet.

Tatsächlich gibt es zum Thema Pornografie mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Alle sind sich einig, dass eine andere (Bilder-)Sprache nötig ist. Das Schweigen der gesellschaftlichen Mitte zu lustvoller Sexualität überlässt die Deutungshoheit über sexuelle Expression der Pornoindustrie. Schön ist da, dass immer mehr feministische Filme produziert werden. Feminismus macht sexy!

Das Interview führte SOPHIE FEDRAU, Redakteurin des taz.lab