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lab 2016

Saskia Sassen im taz.lab-Gespräch Vertrauen statt Absperrband

Debatte Diversität in den Städten: Wieviel davon ist gut? Soziologin Saskia Sassen im Gespräch und als Gast auf dem taz.lab 2016.

Wer sorgt wirklich für die innere Sicherheit? Diversität als Schutzprogramm der Städte. Bild: rtr

taz: Frau Sassen, Sie sagen, die beste Verteidigung gegen Terrorismus sei die Diversität in Städten. Was meinen Sie damit?

Saskia Sassen: Eine Stadt mit vielen verschiedenen Gruppierungen funktioniert, weil wir nicht alles persönlich nehmen, sondern weil wir uns mit unserer Gleichgültigkeit sogar wohlfühlen. Vertrauenssysteme basierend auf einem gemeinsamen Bedürfnis nach Sicherheit, statt einem religiösen und kulturellen Einverständnis, machen eine Stadt sicherer als Polizei in den Straßen. Die Gruppierungen müssen einfach alle fühlen, dass sie Teil der Stadt sind. Das dies auch ihre Stadt ist. Städte müssen Diversität aushalten können. Es ist nämlich die Gleichgültigkeit gegenüber der Diversität, die alles funktionieren lässt.

Aber die Städte werden immer homogener.

Das ist tatsächlich ein wirkliches Problem. Die Städte, grundsätzlich attraktiv für den globalen Markt, werden zu Enklaven, die große Teile der Stadt in Unternehmens- und Luxusgegenden verwandeln. Diese Art von Entwicklung fügt zwar der Stadt eine enorme Dichte hinzu, aber tatsächlich führt dies zu einer De-Urbanisierung der Stadt: Es beseitigt das ganze urbane Gewebe aus kleinen Straßen, kleinen Gebäuden, kleinen Plätzen. Das ist nicht gut für eine Stadt. Das macht eine Stadt nicht sicher.

Was kann man konkret tun, um die Dinge zu verbessern?

Vor allem muss das Finanzwesen auf eine andere Art reguliert werden und sollte aus dem Verbrauchersektor herausgehalten werden (wie das früher auch schon der Fall war). Das traditionelle Bankwesen kann sich um die meisten Bedürfnisse der Haushalte kümmern und die spekulativen Risiken des Finanzwesens vermeiden.

Genauso wichtig ist, dass der Staat die Initiative ergreift, dass er verhindert, dass Gehälter und Lebensbedingungen absinken. Deutschland hat im Vergleich zu den USA gut abgeschnitten. In der Wirtschaft sollten wir so viel wie möglich dezentralisieren. Das ist besonders wichtig für benachteiligte Stadtteile: Raus mit den Kaffeehausketten! Stattdessen sollten Leute aus der Nachbarschaft ein Café eröffnen, ein Stadtteilrestaurant. Das sind natürlich nicht nur wirtschaftliche sondern auch politische Schritte. 

Außerdem ist politische Erziehung wichtig. Wir müssen alle die Verantwortung erkennen und wahrnehmen, die der Staat gegenüber seinen Bürgern hat.

War das früher anders?

Es gab Zeiten, da konnten große gemischte Städte gut mit Diversität umgehen: Das alte Bagdad und Jerusalem, wo viele verschiedene religiöse und ethnische Gruppen gut miteinander auskamen. Warum haben sie das geschafft, was wir heute nicht mehr hinbekommen? Weil die Städte damals vom Handel dominiert wurden: Der Basar war ein Ort wo all diese Handelsleute und Käufer verschiedener Religionen zusammen kamen, weil der Handel im Zentrum stand. Religion spielte eine viel kleinere Rolle als die Möglichkeit, dem anderen Händler vertrauen zu können

Und heute?

In den heutigen Städten geht es um Kapitalanlagen und das Finanzwesen, um Wettbewerb und um hohe Gehälter. Was der eine gewinnt, verliert der andere. Außerdem haben wir uns der Welt geöffnet, was gut sein könnte - aber doch öfters bedeutet, dass noch mächtigere Akteure das Spielfeld betreten, mit dem Ziel, alles heraus zu ziehen, was es an Vermögen heraus zu holen gibt.

Es hat aber auch etwas mit dem Versagen der Politiker zu tun, Erklärungen zu liefern, und eine Politik zu entwickeln, die anspricht, dass die Verarmung der bescheidenen Mittelschicht und der Arbeiterklasse nichts mit den Zugewanderten zu tun hat, sondern mit dieser massiven wirtschaftlichen Umstrukturierung der letzten zwei Jahrzehnte.

Wohnen Sie in New York eigentlich zur Miete?

Meine Universität sorgt für subventionierte Wohnungen. Die Regierung der Stadt New York musste jetzt schon über die letzten zwei Jahrzehnte bestimmten Abeitskräften Wohnungsgeldzuschuss zukommen lassen: Feuerwehrleuten, Polizisten, Lehrern. Mit anderen Worten subventionieren unsere Universitäten und unsere Stadtregierung die reichen Firmen und Haushalte, die so viel Raum in der Stadt übernommen und damit die Preise in die Höhe getrieben haben. Sie sollten für diese Subventionierungen zahlen, weil sie zum Anstieg der Preise beigetragen und große Bereiche bezahlbarer Wohnungen zerstört haben. Das sind jetzt alles Luxuswohnungen.

Wird die Welt wirklich immer schlechter?

Für viele ist alles sehr viel besser geworden. So viel besser als sie jemals gedacht hätten – und ich spreche hier nicht von den armen Bauern in China, die jetzt ein Einkommen haben, weil die meist immer noch sehr arm sind. Ich rede von den erweiterten Luxusräumen in allen unseren großen Städten. Eines der Probleme, die ich im Buch betone, ist: Negative Zustände sehen zu können besteht darin, dass es auch eine sehr starke Verbesserung vieler urbaner Räume gegeben hat. Wohnkomplexe mit Luxuswohnungen, die Reihenhäuser ersetzen, die Ausbreitung von Luxushotels, Luxusläden: Das alles vermittelt ein Gefühl des Wohlstandes, das zur Unsichtbarkeit der Verarmten beiträgt.

Sie sprechen von Ausgrenzungen, um die heutigen sozioökonomischen und umweltbedingten Verlagerungen zu beschreiben. 

Ich versuche damit das extreme Moment in vertrauten Prozessen zu erfassen, wie der Ungleichheit oder dem Vernichten von Land und Wasser. Mich interessiert dieses extreme Moment. Diese Dinge werden dann begrifflich und statistisch unsichtbar: Unser Normalmaß kann es nicht mehr erfassen.

Können Sie das präzisieren?

Ungleichheit hat es schon immer gegeben, das ist also nicht das Thema hier, sondern der Moment wo diese extrem wird. Ähnlich verhält es sich mit der Zerstörung der Umwelt: Die hat es auch schon immer gegeben, aber inzwischen ist sie so drastisch, dass wir totes Land und totes Wasser erzeugen. Mich interessiert auch, wann und wie diese extreme Version des Vertrauten entsteht. Wann wird Ungleichheit (die es immer schon gab und die es in jedem komplexen System immer geben wird) so extrem, dass wir sie aus den Augen verlieren? Was verursacht diese extreme Form?

Können Sie uns ein konkrete Beispiele dafür geben?

Die wirklich Armen in unseren reichen Gesellschaften sind für uns unsichtbar geworden – sie bewohnen einen extremen Lebensraum, einen den wir nie besuchen oder vielleicht sogar gar nicht wahrnehmen würden, wenn wir direkt vor ihm stehen.

Oder die verarmte Mittelschicht, die in ihren Reihenhäusern wohnt, aber hinter deren Fassaden sich das aufkommende Drama der Verarmung abspielt. Auch das ist für uns unsichtbar.

Genauso wenig bekommen wir das tote Land und das tote Wasser zu sehen. Wenn es tot ist, wird es nicht benutzt, es wird unsichtbar, es taucht nicht in unserem Leben auf. In den USA gibt es weite Gebiete toten Landes – Giftmüllhalden, geschlossene Bergwerke, die wir nie zu sehen bekommen und nie zu sehen bekommen haben. Ähnliches gibt es in Afrika und Asien. In Europa seid ihr besser darin, Land und Wasser zu schützen. Ich behaupte ja, dass die Sprache über den Klimawandel eine fast zu schöne ist. Wir müssen es endlich beim Namen nennen: totes Land, totes Wasser.

Es wird behauptet, dass die größte Sorge in ihrem Buch nicht den ärmsten der Armen gilt sondern der Mittelklasse.

Es gab einige Kommentare dazu von deutscher Seite. Aber das Buch geht um das extreme Moment wo das Vertraute beinahe unerkennbar und unsichtbar wird, sogar in sehr wesentlichen Fällen wie im Falle von totem Land.

An Hand der Verarmung einiger Bereiche der Mittelschicht ist es einfach, dem Leser verständlich zu machen, wie ein positiver, vertrauter Zustand, nämlich die gedeihende Mittelschicht, schlecht werden kann. Ganz gegen den Gedanken, dass die Söhne und Töchter der Mittelschicht es mal besser haben werden als ihre Eltern – was tatsächlich für ein paar Generationen nach dem zweiten Weltkrieg der Fall gewesen ist. Was wir hier sehen ist eine Zweiteilung: Einige Bereiche der Mittelschicht werden reicher und andere ärmer, als sie sich das jemals hätten vorstellen können.

Das Interview führte MAREIKE BARMEYER, Redakteurin des taz.lab.