Rede von Elke Schmitter: Wunderbare Mitmenschlichkeit

Das Handeln zeichnet alle KandidatInnen des taz Panter Preises aus, dies betont Elke Schmitter in Ihrer Rede.

Die ehemalige taz Chefredakteurin wünschte den Anwesenden „einen mitreißenden Abend in schöner Erschütterung“. Bild: Hein-Godehart Petschulat

Im Folgenden bilden wir das Manuskript der Rede von Elke Schmitter für die taz Panter Stiftung ab, beim taz Panter Preis 2015. Die Laudatio wurde am Abend des 19. September 2015 im Deutschen Theater Berlin gehalten. (Anm. d. Red.)

Liebe KandidatInnen des Panter Preises,

liebe taz-GenossInnen und tazlerInnen,

liebe FreundInnen und Gäste –

was wir eben gesehen haben, ist die Auswahl der Jury unter den mehr als 240 Vorschlägen für den taz Panter Preis 2015. Ein kleines, beeindruckendes Panorama der menschlichen Möglichkeiten – im positiven Spektrum, in jenem weiten Bereich zwischen impulsiver Freundlichkeit, respektvoller Fürsorge und dauerhaftem und intensivem politischem Engagement.

    Es passt in seiner Wirkung zu den Stimmungen von Ergriffenheit, von Mitgefühl und Freude bei den vielen Bildern, die wir seit einigen Wochen sehen: Bilder von Deutschen, die Flüchtlinge mit care-Paketen begrüßen, mit Stofftieren für die Kinder, und die deren Ankunft beklatschen, als wären diese euphorischen, erschöpften Menschen die Ersten bei der Tour de France. Und in gewissem Sinne sind sie das ja auch.

    Eine Reise voller Unwägbarkeiten

    Nur haben sie sich nicht freiwillig auf diese Tour begeben. Sie haben eine lange, gefährliche, unendlich windungsreiche Strecke hinter sich, eine Reise voller Unwägbarkeiten, die ihnen in jeder Hinsicht das Letzte abverlangt hat.

    Dass sie sich überhaupt auf diese tour de force begeben mussten, dass sie vor Krieg und Elend auf diese Weise fliehen, ist auch ein Ergebnis europäischer und namentlich deutscher Politik. Und das Geschäft der Schlepper gäbe es so nicht, hätte unser Land eine Asyl- und eine Einwanderungspolitik, die diesen Namen verdient.

    Sie ist ehemalige taz-Chefredakteurin und seit 2008 Mitglied im Kuratorium der taz Panter Stiftung. Nach ihrem Abschied als Chefredakteurin der taz 1994 war sie als freie Journalistin für die Zeit und die Süddeutsche Zeitung tätig und gehört seit 2001 zur Redaktion des Spiegel.

    Hilfsbereitschaft hat es immer gegeben. Auch haben sich Menschen, soweit die schriftlichen Zeugnisse reichen, immer schon Rechenschaft abgelegt, warum sie handeln, wie sie handeln, und wofür sie sich verantwortlich fühlen. Und doch ist die moralische Zwickmühle, in der wir dauerhaft leben, in der Geschichte vollkommen neu.

    Wir sehen in den Nachrichten unendlich viel mehr Ungerechtigkeit und Elend, als wir verstehen können – in seinen Bedingungen, in seiner Entstehung, in der Frage, wie es sich abschaffen oder lindern lässt. Und wir können noch unendlich weniger fühlen, als diese Bilder von uns zu fordern scheinen.

    Unsere Informiertheit übersteigt unsere Empathie so sehr, dass sie selbst paradoxe Auswirkungen hat: Manchmal scheint das Heil in der inneren Abschottung zu liegen, im nicht-Wissen- oder nicht-Fühlen-Wollen.

    Es gibt, was das Nachdenken über die moralische Verfassung des Menschen anbelangt, zwei Traditionen, die sich wenig zu sagen haben. Die Autoren der einen Seite leiten ihre ethischen Forderungen von Prinzipien ab, sie gehen von Grundsätzen aus und deklinieren sie durch.

    Immanuel Kant war ein solcher, berühmter Fall. Die Anderen - mit denen ich mehr sympathisiere – gehen jeweils vom Einzelfall aus, sie betrachten die Phänomene und ihre Wirkung und kommen so, wenn überhaupt, zu allgemeinen Schlüssen.

    Das Mitgefühl kommt dabei nicht eigens vor

    In seinen 99 Essais über sich selbst, über seine Gefühle, seine Moral und seine Überzeugungen behandelt der Franzose Michel de Montaigne das ganze Panorama: Von der Furcht im Dunkeln bis zur Furcht vor Fremden, von der Liebe zu den Eltern bis zur Liebe zu sich selbst, von der Dünkelhaftigkeit bis zur Demut, vom monotheistischen Glauben bis zur Vielgötterei, von den Unsitten der Franzosen bis zu den Sitten der Kannibalen, vom Gehorsam des Bürgers, von guter Nachbarschaft, von der Friedfertigkeit bis zur Tapferkeit. Er beschreibt, was den denkenden Bürger im 16. Jahrhundert beschäftigt, wie er sich selber sieht und was ihm Rätsel aufgibt. Das Mitgefühl kommt dabei nicht eigens vor.

    In 99 Versuchen, sein Innenleben zu ergründen, spricht Montaigne – der kein Einsiedler war, sondern ein erfolgreicher Unterhändler des Friedens und ein beliebter Bürgermeister – nicht von der Empathie mit nahem oder fernem Unglück.

    Zu seiner Zeit waren die Nachrichten von der Welt, die außerhalb des eigenen Handlungsbereiches lag, noch mehr Geschichten und Legenden als Mitschnitte des Unglücks. Was man über den englischen Rosenkriege wußte, über die Barbarei der spanischen Eroberer in Lateinamerika, über die Massaker der Kreuzritter, das waren Reiseberichte, mit Stichen verziert, die in wochenlanger Arbeit entstanden und Jahre oder Jahrzehnte nach dem Ereignis selbst als Bücher oder Broschüren nachzulesen waren.

    Das Unglück war, kurz gesagt, lang her oder weit weg – oder aber es lag in so unmittelbarer Nähe, dass man handelnd eingreifen konnte, wenn man sich denn verantwortlich fühlte.

    Das ist unendlich lange her, und so ein Zustand ist für uns kaum mehr herstellbar – es sei denn um den Preis der Kauzigkeit, der freiwilligen Entfernung aus dem allgemeinen Fluß der Kommunikation. Wir wissen rund um die Uhr, was alles schief geht in der Welt – und dafür, dass wir nicht alles wissen, schämen wir uns außerdem.

    Wir sind an dieses Wissen gebunden wie ein Gefangener an einen Pflock, denn unsere Bewegungs-, unsere Handlungsmöglichkeit scheint ja, je mehr wir wissen, immer kleiner zu werden. Und sie ist es ja auch - im Verhältnis zu unserer Informiertheit ist unser Mitgefühl winzig, unser Engagement noch geringer, und es scheint jeden Tag weiter zu schrumpfen.

    Es ist – jenseits dessen, worauf sie ihr Augenmerk und ihre Tatkraft richten – das gemeinsame Kennzeichnen aller KandidatInnen des taz Panter Preises, dass sie uns von diesem Pflock der depressiven oder ratlosen Untätigkeit losreissen können. Dass sie, indem sie tätig wurden, das Mißverhältnis zwischen allgemeiner Informiertheit und persönlicher Passivität, zwischen impulsivem Mitgefühl und praktischer Lähmung eingerissen haben.

    Dass sie, indem sie ins Handeln kamen, wiederum auch unser Denken verändern: Sie erinnern uns daran, dass nur wir es sind, die aus dem moralischen Zwiespalt, den Montaigne noch nicht kannte, sondern der ein ganz und gar moderner ist, einen Ausweg nehmen können. Und dass jeder von uns das kann: Vom Fühlen zum Denken, und vom Denken zum Handeln zu kommen. Und, heute abend, vom Handeln zum Gesehen-werden und zum Gefeiert-sein.

    Dank an alle, die den Panter Preis und die taz Panter Stiftung unterstützen, Dank an alle Kandidaten – und auf einen mitreißenden Abend in schöner Erschütterung!

    Elke Schmitter, 19. September 2015, Deutsches Theater Berlin.