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Welcome2Europe Infomobil Die wahren EuropäerInnen

Welcome2Europe fährt dorthin, wo papierlose Flüchtlinge in Griechenland stranden – und informiert sie über ihre Rechte.

Wut hält sie am Ball - die Leute von Welcome 2 Europe Bild: Anja Weber

Gerade steht das Infomobil vonWelcome2Europe auf einem Parkplatz in Hamburg-St. Pauli, weil das Auto mit deutschen Kennzeichen zum TÜV musste. Normalerweise ist der unscheinbare weiße Ford Transit in Griechenland unterwegs, um papierlose Flüchtlinge mit Informationen zu ihren Rechten willkommen zu heißen. Der kleine Lieferwagen mit den verdunkelten Scheiben könnte Getränke geladen haben oder das Werkzeug einer Sanitärwerkstatt. Stattdessen sind in dem Auto mit Solaranlage und Steckdosen eine Kochnische, eine Matratze und viele Flyer verstaut – bewacht von einem knallorangenen Rettungsring mit der Aufschrift „Kein Mensch ist illegal“.

Gedruckt hat die Flyer das antirassistische Netzwerk Welcome2Europe, das ebenfalls die Webseite w2eu.info betreut. In verschiedenen Sprachen bekommen Flüchtlinge damit eine Art Minireiseführer inklusive politischem FAQ: Neben den wichtigsten griechischen Sätzen und einer Karte („Du bist in Griechenland und damit in der EU angekommen“) beantwortet die Schrift, warum man als papierloser Flüchtling im Gefängnis landet, was Dublin II bedeutet, wer wann und wie politisches Asyl beantragen, wie man Familien zusammenführen kann, wie man verschwundene Verwandte findet und wie viel ein Fährticket nach Athen kostet.

Auch steht dort zu lesen, dass es in letzter Zeit leider immer wieder zu rassistischen Übergriffen durch die lokale Bevölkerung gekommen ist, besonders in Patras und Athen, ebenso in Igoumenitsa. Salinia Stroux hat das Infomobil nach Hamburg gefahren. Die 35-jährige Hamburgerin, die auch Halbgriechin ist, ist eine von der etwa zehnköpfigen Gruppe, die die Initiative als Graswurzelprojekt beschreibt. Eine Fotojournalistin ist unter ihnen, genauso wie ein Tischler, ein Psychologe, eine Sozialarbeiterin, eine Anwältin und einige Arbeitslose – zwischen 20 und 60 Jahre alt sind sie. 

Das Leben in Griechenland droht auch noch die letzte Würde zu rauben

Gemeinsam ist ihnen, dass sie ehrenamtlich seit 2010 mit dem Infomobil unterwegs sind und sich als Europäer für ein freundlicheres Willkommen gegenüber Flüchtlingen einsetzen. Sie berichten nicht nur für, sondern auch über die Flüchtlinge auf dem Blog infomobile.w2eu.net und vernetzen lokale Aktivistengruppen. Sie wollen nicht weiter mit ansehen, wie die Flüchtlinge, die oft jahrelang unterwegs waren und grauenvolle Geschichten zu erzählen haben, in Griechenland in eine Falle tappen:

Wer es bis hierhin geschafft hat, kann kaum überleben, riskiert sein Leben, um es in ein anderes EU-Land zu schaffen, oder kehrt unter Lebensgefahr in die krisengeladene Heimat zurück –wenn das Leben in Griechenland neben Hunger und Gewalt auch noch droht die letzte Würde zu rauben. Die meisten Flüchtlingsrouten, die in Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Sudan oder Somalia beginnen und deren Ziel die EU ist, führen wie eh und je über Griechenland.

Die Flüchtlinge, unter ihnen auch Frauen und Kinder, werden von Schleppern entweder in einem Gummiboot von der nahen türkischen Küste auf eine der Ägäischen Inseln oder über den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros geschickt. Griechenland aber blocke die Neuankömmlinge illegalerweise systematisch ab und schiebe sie zurück in die Türkei, erklärt Salinia Stroux. In Zeiten der Krise setzt das Land weiter auf Abschirmung und Abschreckung anstatt auf Schutz und Integration – ganz im Sinne einer „Festung Europa“. So gibt es weitaus mehr Papierlose als Menschen mit Zugang zum Asylverfahren, mehr Haftplätze als Betten in Unterkünften.

Stroux, die als Ethnologin und Asylexpertin journalistisch ihr Geld verdient, erzählt von der Situation in Griechenland bemerkenswert zurückhaltend, obwohl sie allen Grund hätte, in Rage zu geraten. Sie kennt die Geschichten, die man verhältnismäßig selten in manch deutschen Medien liest, aus nächster Nähe; sie übernachtete mit ihrer selbstverständlichen Art in einem informellen Zeltlager in Patras und betreute eine Zeit lang ein Kinderheim auf Lesvos, in dem minderjährige Kinder, hauptsächlich aus Afghanistan, vorübergehend untergebracht waren.

Sie könnte die Beispiele von maßlosester Ungerechtigkeit entweder jugendlich empört oder abgeklärt erzählen. Stattdessen erwähnt sie sie sachlich und auch nur an den entscheidenden Stellen, wenn sie ihre Arbeit illustriert. Lieber tut sie etwas dagegen. Natürlich machten sie die Zustände, besonders die rassistischen Übergriffe wütend, sagt Stroux, um nach einer kurzen Pause zu ergänzen: „Aber die Wut hält mich auch am Ball.“ 

Unkonventionelle Akuthilfe

Natürlich komme es vor, dass Flüchtlinge misstrauisch auf diese unkomplizierte Begrüßung reagierten, sagt Stroux, „wir leben schließlich in einer mehrheitlich kapitalistischen Welt, da ist es seltsam, wenn wir im Austausch nichts dafür verlangen“. Allerdings haben einige der AktivistInnen selbst einen Migrationshintergrund und sprechen mindestens eine der Flüchtlingssprachen. Stroux selber spricht auch Afghanisch.

Sie und die anderen setzen auf unkonventionelle Akuthilfe, um wenigstens in Einzelfällen die restriktive EU-Asylpolitik in Eigenregie zu justieren: So entstand vor zwei Jahren die Willkommensinsel in Athen, eine kleine Wohnung für drei politisch verfolgte Sudanesen, die über deutsche Spenden von jeweils zehn Euro pro Monat finanziert werden. Auf ihren Touren mit dem Mobil, erzählt Stroux, begegneten sie immer wieder Menschen, die dringend einen geschützten Ort brauchen, um sich auszuruhen. In anderen Jahren haben sie Schlafsäcke an Obdachlose verteilt.

Natürlich sei die Auswahl für solche Nothilfe jeweils subjektiv, sagt Salinia Stroux, doch hätten sie intern Kriterien formuliert, die sich bewährt hätten. Unterstützt wird in dem kleinen Wohnprojekt, wer etwa als Trauma- oder Folteropfer besonders verletzlich ist, und vor allem, wer sich selbst solidarisch gezeigt habe. Trotzdem seufzt und lacht sie gleichermaßen bei der Frage nach Gerechtigkeit: „Ungerecht ist es immer.“ 

"Wir müssen dorthin, wo die Flüchtlinge sind"

Die Idee zum Infomobil entstand 2009, als das Netzwerk No Border auf Lesvos den Infopoint, eine Anlaufstelle für Flüchtlinge, organisierte. Hier verteilten die künftigen Infomobiler Informationen an Papierlose und merkten kurze Zeit später, dass sich die Fluchtrouten laufend verändern: „Wir müssen mobil sein, uns dorthin bewegen, wo die Flüchtlinge sind.“ Mit den immer öfter zu beklagenden rassistischen Gewaltübergriffen und seit dem Beginn der Großrazzia Xenios Zeus durch die griechische Polizei im Sommer 2012 verstecken sich viele Flüchtlinge.

Schließlich wurden auch Tausende inhaftiert, da die neue Regierung fünf neue Lager mit insgesamt 5.000 Haftplätzen eröffnet hat. Die Lage der Flüchtlinge ist damit keineswegs besser geworden, sie sind einzig seither nicht mehr sichtbar. Ende August beginnt für Salinia Stroux, die vor ein paar Monaten Mutter geworden ist, die nächste Tour: Dann fährt sie das Infomobil wieder nach Griechenland. Ob auf die Ägäischen Inseln, nach Igoumenitsa, Patras oder Athen, entscheiden die AktivistInnen spontan – sicher ist einzig: Schneller als 100 fährt der jetzt TÜV-geprüfte Ford Transit sowieso nicht.

Gina Bucher