Putins Überfall auf die Ukraine: Startschuss zum Weltkrieg

Putins Krieg ist weit mehr als ein Versuch der Wiederherstellung des russischen Imperiums. Deutschland aber verweigert seine Verantwortung.

Illustration eines Weckers. Auf dem Ziffernblatt ist das Wappen der Ukraine abgebildet, die zeiger stehen auf fünf Minuten vor Zwölf

Die Zeit, den Westen zu verteidigen, wird knapp Illustration: Katja gendikova

Es begann auf dem Maidan. Tausende demonstrierten für eine Ukraine in der EU – darauf intervenierte Putin militärisch. Der Kampf auf dem Maidan war bereits vor einem Jahrzehnt auch ein Kampf um die europäische Ordnung. In der Ukraine wurde und wird um die Zukunft der europäischen Ordnung gerungen. Die fundamentalen Fragen lauten seitdem: Sind wir bereit ein Europa souveräner Nationalstaaten zu verteidigen? Oder bricht imperiale Macht wieder internationales Recht?

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Trotz dieser Herausforderung durch den Kreml hat die deutsche Politik in den vergangenen zehn Jahren die russische Aggression immer wieder heruntergespielt oder ignoriert. Obwohl die Ukrai­ne angegriffen wurde, sahen Berliner Regierungen in zwei Phasen – nach 2014 und nach 2022 – keine Dringlichkeit zu handeln. Zwar stellten sich sowohl Angela Merkel als auch Olaf Scholz rhetorisch gern an die Seite der Ukraine und betonten, dass in Europa das Völkerrecht verteidigt werden müsse.

Doch in der praktischen Politik zögerte Berlin und setzte statt auf Abschreckung gegenüber Russland und Unterstützung der Ukrai­ne auf eine Einigung mit dem Regime Putins. Das galt insbesondere bei Merkels Minsker Abkommen von 2014/15, die den Kreml zu weiteren Aggressionen ermutigten. Doch trotz des Scheiterns dieser Russlandpolitik ist dieses Denken immer noch salonfähig.

Nur wenige Tage vor der Münchner Sicherheitskonferenz brachte ihr Chef, Christoph Heusgen, zum Entsetzen der Ukraine und unserer ostmitteleuropäischen Nachbarn ein „Minsk III“ ins Spiel. Der Bundesfinanzminister erklärte derweil, Sicherheitspolitik würde auch weiterhin nach Haushaltslage entschieden. Dabei zeigen sich gerade jetzt die Konsequenzen deutscher Zögerlichkeit erneut auf dramatische Weise.

Solidaritätsbekundungen zählen nichts im Krieg

Die unmittelbaren Folgen der Berliner Russlandpolitik trug stets die Ukraine. Das galt 2014 mit dem Verlust der Krim und dem acht Jahre andauernden Krieg im Donbass. In den Minsker Abkommen wurde Russland nicht als Aggressor benannt und so für seinen Angriffskrieg belohnt. Das gilt jedoch auch in der Gegenwart, in der sich die militärische Lage seit Monaten verschlechtert, weil der Westen – auch Deutschland – nur halbherzig Waffen und Munition liefern. Die Schwäche der ukrainischen Armee und der Fall von Awdijiwka Mitte Februar sind die Konsequenz einer Zeitenwende, die mehr im Bundestag und in den Talkshows stattfand als in der Sicherheitspolitik.

Im Krieg, so bitter das ist, zählen nicht die Solidaritätsbekundungen und vorgezogenen Wiederaufbaukonferenzen. Was zählt sind die Ausrüstung und die Munition und an denen mangelt es der Ukraine. Russland schafft es hingegen, seine Defizite mit der Hilfe von Iran, Nordkorea und Chinas auszugleichen. Die Solidarität der Diktaturen schlägt die Solidarität der Demokratien. Wir, die westlichen Demokratien, müssen verstehen: Wem die Unterstützung Kyjiws jetzt zu teuer ist, der wird nach einem Sieg Moskaus einen noch viel höheren Preis zahlen.

Nach dem Scheitern des russischen Angriffs auf Kyjiw im Frühjahr 2022 hat sich der Kreml auf einen langen Krieg eingestellt. Dies bedeutete die Mobilisierung der Reservisten und der Wirtschaft sowie die Verschärfung der Repressionen, die immer mehr an die sowjetische Epoche erinnern. Russland ist jetzt Putins persönliche Diktatur. Es hat kein Interesse, zum Status quo ante zurückzukehren oder einen Kompromiss zu suchen. Im Gegenteil: Der Krieg ist nun russische Staatsräson. Wirtschaftliche Rationalität tritt in den Hintergrund, die Wohlstandsverluste spielen keine Rolle.

Ein Sieg Russlands in der Ukraine hätte dramatische Folgen

Russland 2024 ist eine revisionistische Macht, die auf die Eroberung fremden Territoriums fixiert ist. Putin weiß, dass er keine Schwäche zeigen darf. Solange er an der Macht bleibt, wird es deshalb in Europa keinen Frieden geben. Nur ein Sieg der Ukraine würde Chancen auf Veränderung in Russland eröffnen. Historisch gerieten die Dinge in Russland stets ins Rutschen, wenn das Land militärisch in die Schranken gewiesen wurde. Das galt im 19. Jahrhundert nach dem Krimkrieg, nach der Niederlage gegen Japan 1905 und auch 1989, als sich die UdSSR aus Afghanistan zurückzog. Siege hingegen wie 1945 oder auch 2008 gegen Georgien und 2014 auf der Krim bestärken stets die imperialen Ambitionen Moskaus.

Ein Sieg Russland Sieg in der Ukraine hätte dramatische Folgen für Deutschland und Europa. Millionen von Ukrainern würden ihr Zuhause verlieren, und unsere Sicherheitslage würde sich ein weiteres Mal dramatisch verschlechtern. Der kommende Sommer wird zeigen, wie hoch der Preis ist, den die Ukraine und letztlich Europa für die verschleppte Zeitenwende zu zahlen hat.

Selbst wenn es der Ukraine gelingt, sich erfolgreich zu behaupten, bliebe auf lange Sicht die globale Dimension des Konflikts bestehen. Längst hat sich der Kreml mit Beijing, Teheran und Pjöngjang verbunden. Der 7. Oktober hat gezeigt, dass die Stellvertreter Irans im Nahen Osten jederzeit zuschlagen können. Weiter östlich beobachten Xi und Kim die Reaktionen des Westens auf den russischen Angriffskrieg.

Xi und Kim sind unbeeindruckt vom Westen

Was sie im vergangenen Jahr gesehen haben, dürfte sie nicht unbedingt beeindrucken. Der Westen zauderte. Es gilt zu verstehen, dass dieser Krieg längst mehr ist als ein Versuch der Wiederherstellung des russischen Imperiums. Putin gab 2022 den Startschuss zu einem Weltkrieg gegen den Westen und seine regelbasierte Ordnung, und viele Mächte, nah und fern, verfolgen, wer hier die Oberhand gewinnt. Wenn der Westen nachgibt, werden Diktatur und Krieg sich weiterverbreiten.

Was können wir in Deutschland tun, um das Blatt wieder zu wenden? Die Bundesregierung sollte endlich dasselbe Rückgrat zeigen wie große Teile der Zivilgesellschaft, die weiterhin die Ukrai­ne beeindruckend unterstützt. Es verdichtet sich der Eindruck, dass die Gesellschaft der Politik oft weit voraus ist. Insbesondere der Bundeskanzler muss endlich aus dem Schatten seiner Vorgängerin heraustreten. Es ist noch zu viel Merkel in Scholz. Den Krieg gegen die Ukrai­ne darf er nicht seinem Verteidigungsminister überlassen. Weniger Zögern, mehr Härte ist das Gebot der Stunde.

Im Jahr 2024 sollte sich die Bundesregierung nicht weiter am Koalitionsvertrag und der Schuldenbremse abarbeiten. Zu viel steht auf dem Spiel. Die Priorität muss unsere Sicherheit sein. Es geht um die Frage, ob auch die junge Generation noch in einem freien Europa leben wird. Dazu müssen wir in Verteidigung und Zivilverteidigung investieren und auch zu unorthodoxen Maßnahmen greifen. So haben die Europäer und die USA zu Kriegsbeginn bis zu 300 Milliarden Euro an russischen Werten beschlagnahmt. Es wird höchste Zeit, dass diese Gelder genutzt werden, um die Ukrai­ne zu unterstützen. Aufgrund der Kriegsverbrechen in der Ukraine ist es unstrittig, dass Kyjiw Recht auf Reparationen hat. Jetzt ist der Zeitpunkt mit der Auszahlung zu beginnen. Das wäre historisch gerecht, politisch klug und würde auch noch unsere Haushalte entlasten.

Deutschland rühmt sich gern für die Auf­ar­beitung seiner brutalen Vergangenheit. Ob zu Recht, kann hier nicht entschieden werden. Doch die Aufarbeitung von Fehlern und Verbrechen darf sich nicht auf die deutschen Diktaturen beschränken.

Es ist schon jetzt deutlich, dass die Bundesrepublik nach 1989 ihre Verantwortung für Frieden und Freiheit in Europa verdrängt hat. Seit 2003 hat die deutsche Außenpolitik immer wieder die Nähe zu autoritären Regimen gesucht – von Russland über die Türkei zu China. Sie glaubte, enge Partnerschaften, ja sogar Freundschaften mit diesen Ländern aufbauen zu können. Mit den NordStream-Pipelines wurde Deutschland ein Teil von Putins negativer Ukrainepolitik. Mit unseren Gasrechnungen finanzierten wir dauerhaft seine Aufrüstung und sein Regime.

Als Putins Russland den Krieg gegen die Ukraine begann, überdeckten Phrasen („Frieden ist nur mit Russland möglich“) und Floskeln („alle Seiten müssen deeskalieren“) die Leere unseres strategischen Denkens. Eine ganze Generation von Politikern und ­Diplomaten hatte vergessen, dass gegenüber Diktatoren Eindämmung und Abschreckung angezeigt sind. Eine Außenpolitik, die auf Illusionen gebaut ist, musste scheitern. Sie aufzuarbeiten ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und würde in Osteuropa Vertrauen wiederaufbauen.

Rückzug der Demokratie

Deutschlands Politik muss beginnen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzunehmen. Bisher ist unser Zeitalter vom Rückzug der Demokratie und vom Siegeszug autoritärer Regime und Diktatoren geprägt. Diesen historischen Trend gilt es zu stoppen.

Dazu werden in der neuen ­Legislatur­periode an vielen Stellen auch Personalwechsel nötig sein. Diese Aufgabe liegt nun vor allen ­demokratischen Parteien. Mit den Gewissheiten von gestern lassen sich Deutschland und Europa nicht durch die Gefahren der Gegenwart steuern.

Ich bin allerdings zuversichtlich, dass gerade in der jüngeren Generation diejenigen zu finden sind, die einerseits die Zeitenwende vorantreiben und andererseits die Aufarbeitung des deutschen Russlandkomplexes im 21. Jahrhundert angehen werden. Auf beiden Feldern ist noch viel zu tun. Hoffen wir nun, dass der Wechsel nicht zu spät kommen wird.

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