Steinmeiers Äußerung zu Migration: Ein furchtbares Vorbild

Der Bundespräsident verschweigt die rechte Gewalt der 90er Jahre und legt der Bundesregierung nahe, es wie damals zu machen. Das ist erschreckend.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Anzug

Die Äußerung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war geschichtsvergessen Foto: Liesa Johannssen/reuters

Er fühle sich an die 1990er Jahre erinnert, sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den „Tagesthemen“, als er auf die gegenwärtige Debatte um Geflüchtete in Deutschland angesprochen wurde. „Ob Sie es glauben oder nicht: Ich war bei dem Asylkompromiss 1992/93 an den Verhandlungen beteiligt.“

Man glaubt es. Wirklich schwer zu glauben ist aber, was Steinmeier in den folgenden Minuten sagt und insinuiert. Angelehnt an den Asylkompromiss, mit dem Union, FDP und SPD vor 30 Jahren das Asylrecht dramatisch einschränkten, fordert Steinmeier eine Begrenzung „sogenannter illegaler Migration“. Damals wie heute habe es „Überlastungssignale“ von Bür­ger­meis­te­r*in­nen gegeben, behauptet der Bundespräsident.

Das ist eine atemberaubende Verdrehung der Geschehnisse damals. „Überlastungssignale“ mag es gegeben haben, doch dem Asylkompromiss vorangegangen waren 1992 vor allem das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, die rassistischen Morde von Mölln und andere rechte Gewalttaten.

Die Politik reagierte nicht auf überarbeitete Be­am­t*in­nen in den Lokalverwaltungen der deutschen Gemeinden – sie kuschte viel mehr vor dem neu entfesselten deutschnationalen Mob, der migrantische Menschen bedrohte und ermordete.

In der Folge strichen Union, FDP und SPD mit dem uneingeschränkten Grundrecht auf Asyl einen Punkt aus dem Grundgesetz, der eine direkte Konsequenz aus dem Terror Nazi-Deutschlands gewesen war.

Seit dieser unrühmlichen Entscheidung haben Menschen, die aus sogenannten sicheren Herkunftsländern fliehen oder über sogenannte sichere Drittstaaten einreisen, kaum mehr eine Chance auf Schutz in Deutschland.

Dass Steinmeier die rechte Gewalt der 90er Jahre verschweigt und der heutigen Bundesregierung nahelegt, es zu machen wie damals, ist erschreckend. Wie sich Union, FDP und SPD damals dem Druck der Rechtsradikalen beugten, darf eben gerade nicht Vorbild sein für das, was heute zu tun ist. Er muss eine Warnung bleiben für das, was sich nicht wiederholen darf.

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Am 22. August 1992 begannen die tagelangen Angriffe auf das Flüchtlingsheim in Rostock-Lichtenhagen. Für die taz berichtete damals die spätere Chefredakteurin Bascha Mika in drei Reportagen von vor Ort. Im ersten Text beschrieb sie, wie Tausende AnwohnerInnen ihre Leute anfeuerten: „Skins, haltet durch!“ Im Bericht vom zweiten Tag erzählt sie, dass sich die Polizei, kurz bevor der erste Brandsatz flog, zum Schichtwechsel zurückzog. In der dritten Reportage schrieb Bascha Mika über die hunderte Rechte, die immer noch zu den mittlerweile leeren Plattenbauten ziehen.

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