Sportverbot mit russischen Athleten: Schmerzhafte Entscheidung

Kyjiw verbietet seinen Athleten die Teilnahme an Wettbewerben mit Russen oder Belarussen. Einige der Betroffenen kritisieren das Verbot.

Andrei Protsenko hält ukrainische Fahne hoch

Zeigt Flagge: Andrei Protsenko nach Gewinn der Bronzemedaille bei der WM in Oregon (USA) Foto: imago

Dieser Tage ist in der ostukrainischen Stadt Bachmut der ukrainische Radprofi Konstantin Deneko zu Tode gekommen. Der 40-jährige Sportler diente in einer Spe­zial­einheit des Nachrichtendienst. In seinem Urlaub nahm Deneko an Wettkämpfen teil. Im September 2022 fuhr er nach Butscha, um die Teilnehmer eines Radrennens zu unterstützen. Deneko starb am 31. März. Er ist der 200. ukrainische Athlet, der seit Beginn der russischen Invasion dem Krieg zum Opfer fiel.

Zum Zeitpunkt seines Todes beschäftigten sich die Verantwortlichen des ukrainischen Sports mit der Empfehlung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Ath­le­t*in­nen aus Russland und Belarus bei Wettkämpfen begrenzt zuzulassen. Sie sollen als neutrale Sport­le­r*in­nen antreten können, sofern sie nicht mit dem Militär oder Sicherheitsbehörden in Verbindung stehen. Unmittelbar nach der IOC-Empfehlung verbot das Ministerium für Jugend und Sport der Ukraine mit dem Nationalen Olympischen Komitee (NOK) ukrainischen Ath­le­t*in­nen die Teilnahme an Wettkämpfen mit Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen.

Der Sportminister der Ukrai­ne und Leiter des NOK, Wadim Gutzeit, zeigte sich zufrieden, dass das IOC die Frage einer Teilnahme von Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen an den Olympischen Spielen 2024 erst einmal aufgeschoben hatte. Und er erklärte, dass von einem Boykott der Ukraine der Olympischen Spielen 2024 noch keine Rede sein könne. Die Hauptsache sei, dass Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen nicht in die interna­tio­na­len Verbände zurückkehrten.

Die Erwähnung eines möglichen Boykotts der Olympischen Spiele schockierte ukrai­ni­sche Ath­le­t*in­nen. Sie kritisierten, die Sportbehörden hätten statt dem Verbot für die eigenen Ath­le­t*in­nen Druck auf das IOC ausüben und mit den Verbänden zusammenarbeiten sollen. Besonders empört waren Ten­nis­spie­le­r*in­nen, Rin­ge­r*in­nen und Schwim­me­r*in­nen, von denen viele Chancen auf eine Medaille in Paris haben.

„Zerstörung“ des ukrainischen Sports

„Dieses Verbot für ukrainische Ath­le­t*in­nen ist genauso wie das Verbot für unser Militär auf der Krim, zu den Waffen zu greifen, als Russland die Halbinsel 2014 eroberte“, sagt der Sportmanager Juri Schapowalow. Der ukrai­nische Skeletonist Wladi­slaw Geraskewitsch spricht von einer „Zerstörung“ des ukrainischen Sports. Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen wären in Abwesenheit von Ver­tre­te­r*in­nen der Ukrai­ne in der Lage, „ihre Narrative und Propaganda zu verbreiten“. Geraskewitsch setzt sich aktiv gegen den Krieg ein – auch bei Wettbewerben.

Das IOC reagierte umgehend auf die Entscheidung Kyjiws. Der Boykott nütze dem ukrainischen Sport nichts und schade den Athlet*innen, hieß es. Zudem kündigte das Büro von Thomas Bach an, vom Boykott betroffene ukrainische Ath­le­t*in­nen zu „schützen“. „Diejenigen, die gegen den Boykott sind, können sich auf eine direkte Unterstützung durch den Solidaritätsfonds der Olympischen Bewegung und das Athleten-Unterstützungsprogramm verlassen.“ In diesem Fall gerate die Ukraine in eine schmerzhafte Zerreißprobe, glaubt Scha­po­wa­low. Das IOC erkaufe sich die Loyalität jener Ukrainer*innen, die die Boykottentscheidung nicht mittragen wollen.

Der Hochspringer Andrei Protsenko lebte vor einem Jahr 40 Tage in der Nähe von Cherson unter russischer Besatzung und trainierte im Garten. Die Entscheidung, Rus­s*in­nen mit Einschränkungen zu internationalen Wettkämpfen zuzulassen, empört Protsenko, weil er weiß, dass russische Ath­le­t*in­nen Wladimir Putin und den Krieg unterstützen. „Ukrainische Ath­le­t*in­nen haben von den Russen keinerlei Unterstützung bekommen. Vielen von uns haben sie Nachrichten mit Todeswünschen geschickt. Ath­le­t*in­nen aus Russland und Belarus können nur unter den Bedingungen an Wettbewerben teilnehmen: dem Ende des Kriegs in der Ukraine und unseren Sieg.“

Mehrheit für Boykott

Protsenko, der während des Kriegs drei Medaillen bei Welt- und Europameisterschaften gewonnen hat, findet, die Ukraine solle Wettkämpfe mit Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen boykottieren: „Meine Kollegin, die Hochspringerin Katerina Tabaschnik, hat ihre Mutter verloren. Sie wurde bei einem russischen Bombenangriff auf Charkiw getötet. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, mit ihnen bei einem Wettbewerb anzutreten.“ Bei einer Abstimmung im Leichtathletikverband der Ukrai­ne unterstützte die Mehrheit den Boykott. Die kompromisslose Position des Weltverbands, der ein vollständiges Verbot der Teilnahme von Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen befürwortet, wirkte gewiss bestärkend.

Der Olympiasieger im Ringen, Schan Belenjuk, arbeitet als Abgeordneter für die Partei „Diener des Volks“ von Präsident Wolodimir Selenski im Parlament. Er hat angeregt, vom IOC eine Überarbeitung der Zulassungskriterien für russische und belarussische Ath­le­t*in­nen zu fordern, weil das Wichtigste – die Verurteilung des Kriegs gegen die Ukraine – nicht darunter fällt.

Er will eine staatliche Datenbank von Ath­le­t*in­nen und Trai­ne­r*in­nen aufbauen, die auch nach den IOC-Kriterien nicht antreten dürfen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Druck auf die Organisatoren der Olympischen Spiele und ihre Sponsoren auszuüben. Der einzige Weg, das IOC dazu zu bringen, die Teilnahme von Rus­s*in­nen und Be­la­rus­s*in­nen abzulehnen, besteht darin, solche Entscheidungen wirtschaftlich so unrentabel wie möglich zu machen.

Übersetzung: Barbara Oertel

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