Linke hat neue Spitze im Bundestag: Machtvoll in den Untergang

Bei der Restlinken im Bundestag siegt Machtpolitik. Der Kampf ums gemeinsame Überleben ist damit verloren.

Heidi Reichinnek , Martin Schirdewan, Janine Wissler und Sören Pellmann stehen gemeinsam an Pulten

Heidi Reichinnek (links) und Sören Pellmann (rechts) sind guter Dinge, Martin Schirdewan und Janine Wissler (Mitte) eher nicht Foto: Carsten Koall/dpa

Wer in der Sonntagsfrage bundesweit näher bei 3 als bei 4 Prozent liegt, dem sollte klar sein, dass die Zeit für destruktive Machtspielchen vorbei ist. Aber in der neuen Gruppe der Linkspartei im Bundestag wird einfach weitergemacht wie bisher. Statt integrative Lösungen zu finden, also sich unterzuhaken, wird mit einer Einstimmenmehrheit knallhart durchgezogen. Wer so Politik macht, entscheidet sich gegen die parlamentarische Zukunft der Linkspartei.

Nach der äußerst knappen Wahl der Spitze der neuen Linken-Gruppe im Bundestag gab Parteichef Martin Schirdewan die zweckoptimistische Parole aus: „Auf geht's!“ Nur wohin? Schlechter hätte es für ihn und seine Co-Vorsitzende Janine Wissler nicht ausgehen können. Und das nicht nur, weil mit Heidi Reichinnek und Sören Pellmann ausgerechnet jenes Duo jetzt der Bundestagslinken vorsteht, das den beiden auf dem Erfurter Parteitag 2022 – mit Unterstützung von Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht – vergeblich den Parteivorsitz streitig gemacht hatte.

Das Problem ist ein weitaus tiefergehendes. Denn mit dieser Wahl hat die Mehrheit der Restlinken im Bundestag bewiesen, dass sie nichts begriffen hat. Wer gehofft hat, die Linkspartei könnte nach dem überfälligen Abgang von Sahra Wagenknecht & Co. doch noch mal die Kurve kriegen, dürfte eines Besseren belehrt worden sein. Da kann sich die Parteiführung so mühen, wie sie will. Wer viel bewegen möchte, aber schon bei der Mehrheit der Linkenabgeordneten nichts bewegen kann, hat offenkundig ein Problem.

Und dieses Problem hat einen Namen: Dietmar Bartsch. Dass sich mit jeweils 14 gegen 13 Stimmen seine Fa­vo­ri­t:in­nen durchgesetzt haben, dürfte der letzte siegreiche Akt des Ex-Linksfraktionschefs und seiner treuen Garde aus alten SED- und PDS-Weggefährt:innen gewesen sein. Erst hat Bartsch die Linke durch das fatale Bündnis mit Wagenknecht an den Abgrund geführt, jetzt gibt er seiner Partei noch den Stoß. Schirdewan und Janine Wissler müssen machtlos zusehen.

Mangelnde intellektuelle Kompetenz

Dahinter stehen neben der chronischen Strippenzieheritis von Bartsch auch handfeste inhaltliche Differenzen. Die unterschiedlichen Ak­teu­r:in­nen in der Linkspartei haben keine gemeinsame Antwort, warum sich ihre Partei in einer existenziellen Krise befindet. Nun haben sich im Bundestag jene durchgesetzt, die dafür waren, Wagenknecht und ihrem linksnationalkonservativen Anhang stärker entgegenzukommen, um deren Abspaltung zu verhindern.

Dass sie bis heute nicht erkannt haben, warum der Bruch ein fundamentaler ist, zeugt von mangelnder intellektueller Kompetenz. Nicht minder absurd ist die Behauptung, mit einer stärkeren Ostorientierung könne es wieder aufwärtsgehen. Denn wer rechnen kann, kommt schnell zu dem Schluss, dass das Hauptproblem der Linken ihre fehlende Attraktivität in Westdeutschland ist.

Die Annahme, PDS-Politik aus den 1990ern recyceln zu können, führt im Westen auch zu PDS-Ergebnissen – ohne jedoch auf alte PDS-Höhen im Osten zurückzukehren. Genauso ist es ein Irrtum zu glauben, die Linke sei zu „bewegungsorientiert“. Wenn sie das mal nur mehr wäre! Dass nunmehr zwei gebürtige Ostdeutsche der Linken im Bundestag vorstehen, ist indes kein Problem. Warum auch.

Hätten Heidi Reichinnek und Clara Bünger nicht gegeneinander, sondern gemeinsam kandidiert, wäre das eine interessante Kombi gewesen: Zwei junge ostdeutsche Powerfrauen mit politischem Talent hätten ein ausstrahlungsfähiges Duo abgegeben. Der große Haken ist ein anderer: Die Linkspartei steht vor ihrem Untergang, weil für relevante Teile zumindest der Altvorderen Solidarität auch in den eigenen Reihen nicht ein substanzielles linkes Prinzip ist, sondern nur eine Phrase für belanglose Programme.

Wer jedoch nicht zusammenstehen will, der entscheidet sich dafür, dass es künftig keine parlamentarische Stimme von links gegen den Rechtsruck, gegen Sozialabbau, gegen Militarisierung, gegen inhumane Flüchtlingsabwehr mehr geben wird. Das sind düstere Aussichten.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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