Über einen jungen Mann strömt Wasser aus einem Riss in einer Trinkwasserpeiplein 2019 in Kalkutta, Indien

Foto: Rupak De Chowdhuri/reuters

Zwischenergebnis der Agenda 2030:Unterwegs zum guten Leben für alle

Die UN haben sich bis 2030 hohe Ziele gesetzt. Wo liegen die größten Schwierigkeiten in China, Uganda und Indien?

16.9.2023, 14:13  Uhr

Bis 2030 wollen die Vereinten Nationen die 17 Nachhaltigkeitsziele umsetzen. Das Ende von Armut, die Gleichberechtigung von Frauen und Zugang zu sauberem Wasser gehören dazu. Das haben sie im Jahr 2015 beschlossen. Aber wie geht es voran? Halbzeitberichte aus China, Uganda und Indien.

Chinas Schere zwischen Arm und Reich
Auf einem dreirädrigen Roller mit Ladefläche sitzt eine Person mit Sonnenhut und Hemd vor Staubigen Haufen aus Steinen und anderen Materialien

Foto: Thomas Peter/reuters

Ohne Frage: In China genießen die UN-Entwicklungsziele hohe Priorität. Die Regierung in Peking fügte sie bereits 2016, im Jahr nach der Formulierung der Ziele, in ihren Fünf-Jahres-Plan ein.

Und die Fortschritte in vielen Bereichen sind tatsächlich beachtlich: So hat das Land – laut eigenen Angaben – Anfang 2021 die absolute Armut ausgerottet, die Lebenserwartung der Bevölkerung deutlich gesteigert und massiv ins Bildungssystem investiert.

Dennoch landet die Volksrepublik im jährlich von der Bertelsmann Stiftung herausgegebenen SDG-Index zur nachhaltigen Entwicklung im unteren Mittelfeld. Denn es gibt nach wie vor viele Baustellen, etwa bei der Gender-Gerechtigkeit, wo das Land zuletzt wieder schlechter abschnitt. Auch bei den Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels gehen Fort- und Rückschritte Hand in Hand: So investiert kein anderer Staat weltweit mehr in erneuerbare Energien – und verursacht gleichzeitig derart viele CO2-Emmissionen.

Das vielleicht brisanteste Entwicklungsziel betrifft die soziale Ungleichheit. Für die Parteiführung, die sich selbst kommunistisch nennt, ist die große Schere zwischen Arm und Reich eine Schande. So haben die Behörden schon vor langer Zeit die Publikation des Gini-Koeffizienten, der die relative Ungleichheit misst, eingestellt und den Zugang zu zuverlässigen Daten erschwert.

Doch Schätzungen gehen davon aus, dass die Ungleichheit in der Bevölkerung ähnlich hoch, wenn nicht gar höher ist als beim kapitalistischen Erzfeind USA. Und wie in so vielen Teilen der Erde hat sich das Problem während der Pandemie verschärft.

Vor allem hat das Reich der Mitte mit einem riesigen Stadt-Land-Gefälle zu kämpfen. Während die Metropolen der Ostküste, allen voran Schanghai und Peking, bereits auf ein vergleichbares Niveau wie in Südeuropa kommen, sind die Inlandsprovinzen bitterarm.

Zuletzt hatte der ehemalige Premierminister Li Keqiang auf das Problem aufmerksam gemacht: In einer Rede von 2020 beklagte er, dass rund 600 Mil­lionen Chinesen ein monatliches Einkommen von umgerechnet 130 Euro oder weniger zur Verfügung haben.

Doch seither hat Präsident Xi Jinping jede öffentliche Debatte über die Ungleichheit im Land unterbunden – wohl auch, weil die Parteiführung in den letzten Jahren keine nennenswerten Fortschritte erzielt hat. Der „gemeinsame Wohlstand“, wie eines der beliebtesten Schlagwörter von Xi lautet, liegt in China nach wie vor in weiter Ferne.

Fabian Kretschmer aus Peking

Ugandas schwieriger Weg zur Gleichstellung
Fünf Mädchen tragen Kleider und sitzen an Holzbänken in einem fast leeren Klassenzimmer

Foto: Miriam Watsemba/reuters

Für das bisherige Erreichen der UN-Entwicklungsziele erhält Uganda die Note „durchschnittlich“. Dieses Zeugnis hat der Globale Index dem ostafrikanischen Land im Juli ausgestellt. In den von der UN definierten Bereichen Gesundheit, Arbeitsbedingungen, Industrialisierung, Infrastruktur und Klimawandel sind Ugandas Fortschritte „befriedigend“.

Besonders schlecht steht es allerdings hinsichtlich der Gleichstellung von Frauen und Mädchen. Als Ende Juni von Ugandas Regierung evaluiert wurde, wie weit das Land beim Erreichen der 2015 formulierten Entwicklungsziele gekommen sei, meldeten sich zahlreiche Frauenrechtsorganisationen im Land zu Wort, um auf dieses Defizit aufmerksam zu machen.

Das Forum für Frauen in der Demokratie (Fowode), eine ugandische Nichtregierungsorganisation, die sich für die Stärkung von Rechten für Frauen und Mädchen einsetzt, hat Ugandas Regierung diesbezüglich stark kritisiert.

Die Corona-Politik Ugandas in den Jahren 2020 und 2021, die die Schließung sämtlicher Bildungseinrichtungen für fast zwei Jahre und einen radikalen Lockdown zur Folge hatte, habe besonders Frauen und Mädchen schwer getroffen, so die NGO. Aufgrund monatelanger Ausgangssperren wurden Frauen häufiger Opfer häuslicher Gewalt und minderjährige Mädchen öfter schwanger, weil sie von ihren Eltern zur Prostitution gezwungen oder für einen Brautpreis an einen Ehemann verkauft wurden. Deswegen pocht Fowode verstärkt darauf, dass in Uganda noch mehr Frauen in politischen Entscheidungspositionen befördert werden.

Ugandas Präsident Yoweri Museveni kritisierte auf dem Evaluierungstreffen der Regierung, dass die meisten Menschen in Uganda ihrer „Rückständigkeit“ verhaftet blieben, wie er es bezeichnete. Als Beispiel nannte er die zahlreichen Kleinbauern, die gerade so viel anbauen, um ihre Familien zu ernähren. „Wir können diese Ziele nicht erreichen, wenn die Gesellschaft rückständig bleibt“, sagte er.

Susan Ngongi Namondo, die UN-Koordinatorin in Uganda, mahnte die Regierung an, dass nur bei 12 Prozent der 169 UN-Ziele in Uganda Fortschritte gemacht wurden. Bei rund einem Drittel der gelisteten Punkte seien keine positiven Entwicklungen erzielt worden oder sie seien, wie bei der Gleichstellung von Frauen und Mädchen, sogar rückläufig, also würden sich verschlechtern. Dringende Nachbesserungen in der Planung und Budget seien erforderlich, um aufzuholen.

Doch Charles Ojok, Vize-Direktor der Nationalen Planungsbehörde, die für die Entwicklungsziele zuständig ist, klagt, das Land habe nicht genügend Gelder zur Verfügung, um große Schritte zu machen. Der Schuldenberg sei einfach zu hoch.

Simone Schlindwein aus Kampala

Indiens Stress mit dem Wasser
Über einen jungen Mann strömt Wasser aus einem Riss in einer Trinkwasserpeiplein 2019 in Kalkutta, Indien

Foto: Rupak De Chowdhuri/reuters

Als bevölkerungsreichstes Land der Erde spielt Indien eine entscheidende Rolle für das Erreichen der Ziele für nachhaltige Entwicklung. Derzeit liegt Indien mit 63,45 von 100 Punkten aber noch auf Platz 122 des Rankings der Vereinten Nationen. Der staatliche Thinktank NITI Aayog wurde beauftragt, das Land voranzubringen. Zentral ist dabei das Thema Wasser: Oft gibt es zu viel davon, wie in den Regenmonaten, oder zu wenig, wie im Frühjahr.

Mit 18 Prozent der Weltbevölkerung verfügt Indien nur über 4 Prozent der weltweiten Wasserressourcen. Millionen von Menschen sind von Wasserstress betroffen. Im großen und geografisch vielfältigen Land ist die Wasserversorgung unterschiedlich geregelt.

Im Norden ist das Wasser oft hart und kommt aus dem Untergrund. Anderenorts wird Oberflächenwasser aus Stauseen aufbereitet, das im westindischen Mumbai sogar Trinkwasserqualität hat – ein Versorgungssystem, das zum Teil noch aus der britischen Kolonialzeit stammt. Dennoch haben nach Expertenschätzungen rund 2 von über 20 Millionen Menschen in Mumbai keinen richtigen Zugang zu Trinkwasser.

Manche Bewohner müssen frühmorgens raus, um Wasser aus dem öffentlichen Hahn in der Nachbarschaft zu holen. Etwa 40 Prozent der Einwohner Mumbais lebt in informellen Siedlungen, in denen sie oft weder einen eigenen Wasseranschluss im Haus noch eine eigene Toilette haben. Doch nicht nur der Wassermangel ist ein Problem, sondern auch die Verteilung in einer Stadt, die immer weiter wächst. Gerade in dicht besiedelten Gebieten mit Gemeinschaftstoiletten kann ein erhöhtes Risiko für die Ausbreitung von Krankheiten wie Durchfall bestehen. Deren Vermeidung hatte in der Pandemie besondere Priorität.

Pro Kopf rechnet die Stadtverwaltung mit einer täglichen Zuteilung von 135 Litern pro Person in Mietshäusern und 45 Liter für Slumbewohnerïnnen. Deshalb klärt die Nichtregierungsorganisation Pani Haq Samiti Menschen im Westen des Landes über ihr Recht auf Wasser auf. Das klagte sie 2014 vor dem Obersten Gerichtshof in Mumbai erfolgreich als Menschenrecht ein.

Für die Toilettenspülung muss mancherorts selbst mitgebrachtes Wasser verwendet werden. Zu wenig Wasser betrifft also auch die sanitäre Grundversorgung. Immerhin hat der Bau von Toiletten im Land große Fortschritte gemacht. 2014 machte der indische Premierminister Narendra Modi das zur Chefsache. Doch es braucht nicht nur mehr Toiletten und Wasserversorgung, sondern auch ein Umdenken – und das beginnt so langsam.

Aus Mumbai Natalie Mayroth

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