Österreichische Satire „Club Zero“: Manipulation mit Fastentee

„Club Zero“, ein satirischer Spielfilm der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner, nimmt sich das gesellschaftliche Problem der Essstörung vor.

Mädchen in aufdringlicher gelber Schuluniform

Die Ästhetik erinnert an klaustrophobische britische Internatsfilme: „Club Zero“ Foto: Neue Visionen

Wie oft lässt sich ein Kartoffelwedge halbieren? Abnehmwillige sind Ex­per­t:in­nen für derlei Dinge: Die Mahlzeiten möglichst kleinschneiden. Lange kauen, damit man schneller satt ist. Die Portionen reduzieren. Nur zu eingeschränkten Zeiten essen. Bestimmte Lebensmittel komplett meiden. Den Appetit vor dem Essen „wegmeditieren“.

An der nächsten Stufe dieser für manche Menschen in bestimmten Situationen fraglos sinnvollen Selbstkontrollen ist überhaupt nichts Sinnvolles mehr: Wenn man so wenig isst, dass der Körper krank wird, wenn man sich nach der Mahlzeit willentlich übergibt, dann ist die Essstörung da. Und sie kann tödlich enden.

Die Komplexität und fatale Gesundheitsgefährdung einer Essstörung, die immer psychologische Komponenten beinhaltet, verbietet es, das Thema zu ironisieren. Die Zahl der wegen Ano­rexie („Magersucht“) und Bulimie („Ess- und Brechsucht“) stationär behandelten Menschen steigt seit Jahren vor allem bei jungen Frauen stark an, in Deutschland waren es 2022 über 11.000 registrierte Fälle, die Dunkelziffer ist extrem hoch.

Unförmige Uniformen

Dennoch könnte man Jessica Hausners Film „Club Zero“ einen gewissen Unterhaltungswert abgewinnen. Denn er zeigt sich zunächst als ambitionierte Satire: Miss Novak (Mia Wasikowska) ist die neue Lehrerin in einem Elite-Internat. Und ihr Kurs mit dem Titel „Bewusstes Essen“ kommt bei den Teens, die in hellgelb-pastelligen, unförmigen Schuluniformen gemessenen Schritts über die sauberen Flure wandeln, von quietschgelben Plastiktabletts essen und sich für den Unterricht in Retrosesselkreisen anordnen, hervorragend an.

Es ginge darum, erklärt die Lehrerin, und verschanzt ihr wahres Ziel hinter schwammig-akademischen Begriffen, „die Ernährungsfertigkeiten durch bewusstes Essen zu verbessern“. Die Ab­sol­ven­t:in­nen des Kurses hören das gern: Ihre Motivationen, „bewusster“ zu essen, sind teils altruistischer Natur – man will Müll vermeiden, den Konsum reduzieren, die nachhaltige Lebensmittelherstellung stärken.

Natürlich wollen einige auch nur den Fettanteil im Körper reduzieren, um „fitter“ zu sein“. Einer gibt zu, schlichtweg die Punkte für den Kurs zu brauchen. Nach und nach verstrickt die Lehrerin, die zunächst harmlos und mit Fastentee als Dreingabe „nur das Beste für die Kinder“ zu wollen scheint, ihre Schutzbefohlenen in immer absurdere Nahrungsverweigerungszyklen.

Infame Verschwörungstheorien

Wieso nicht weniger essen? Wieso nicht nur noch eine Sache essen? Wieso überhaupt noch essen!? Ob das denn möglich sei, wird sie gefragt. „Wir sollten aufhören, das zu analysieren, sondern es einfach akzeptieren“, schiebt sie den pubertierenden Zöglingen eines der infamsten Sekten- und Verschwörungstheoriemuster unter.

Einem Teenager, dessen Eltern das Nichtessen nicht akzeptieren wollen, erklärt sie vertraulich, dass es „Leuten Angst macht, wenn man ihre Wahrheit in Frage stellt“: Das Eins-a-Ausweichmanöver, das auch bei Nachfragen nach „alternativen Wahrheiten“ gängig ist.

Und natürlich spielen die Eltern ebenfalls eine wichtige Rolle in Hausners perfidem Drama. Die Regisseurin, die das Drehbuch gemeinsam mit Géraldine Bajard schrieb, malt sie als klassistische, größtenteils ignorante, artifizielle Abziehbilder, die in schicken, von Designschmankerln vollgestopften brutalistischen Einfamilienhäusern leben und eh weder Zeit für noch Lust auf ihre Kinder haben.

Selbstsüchtige Schulleiterin

Nur die Mutter von Ben (Samuel D. Anderson) kann als einziges „Verbrechen“ vorweisen, dass sie alleinerziehend ist, was von den anderen Eltern und der eleganten, aber oberflächlich und selbstsüchtig agierenden Schulleiterin Miss Dorsett (Sidse Babett Knudsen) natürlich registriert wird.

Zusammen mit der strikten Kameraarbeit von Martin Gschlacht und der perkussiven Musik von Markus Binder (Attwenger), die die Szenen genauso streng zerteilt wie die hungernden Teens ihr Single-Kartoffelwedge in der Mensa, erscheint „Club Zero“ auf den ersten Blick wie ein artifizielles, zuweilen schwarzhumoriges Märchen über Manipulation und moderne Diskurse.

Doch Hausner und Bajard wissen um den tiefsitzenden und todbringenden Schrecken der Krankheit „Essstörung“. Eventuell geht es bei der Figur der Lehrerin insofern nicht um einen Svengali, der seine Netze spinnt und die ihm Anvertrauten nach Strich und Faden manipuliert: Miss Novak, die Wasikowska mit unschuldigem Gesichtsausdruck und intensiver Körperbeherrschung gibt, verkörpert die Essstörung selbst.

Ähnliche Herangehensweise

Ähnlich wie im ebenfalls 2023 entstandenen dänischen Film „Kopenhagen gibt es nicht“ von Martin Skovbjerg. Bei ihm zieht die Essstörung die Protagonistin in Form eines attraktiven Liebhabers in ihren Bann (und bleibt nach dem Tod der jungen Frau übrig und vermisst sie schmerzlich).

Und passend zu den Eigenbezeichnungen der im Netz aktiven, hochgefährlichen Plattformen „Pro-Ana“ (für „Anorexie“) und „Pro-Mia“ (für Bulimie), die mit „Ana“ und „Mia“ Mädchennamen, quasi Freundinnennamen nutzen, darf auch Hausners Protagonistin als personifizierte Verhaltensstörung gelesen werden.

Die Novak-Figur steht demnach stellvertretend für die Krankheit. Die Betroffenen suchen Schutz bei ihr, sie vertrauen ihr – und wenn man nicht aufpasst, gehen sie sogar mit ihr davon. Dass man gerade im Zusammenhang mit Anorexie vom „Verschwinden“ spricht, liegt in der schrecklichen Natur der Sache: Betroffene Körper verschwinden tatsächlich.

Aufdringliches Setdesign

Leicht sind all diese Zwischentöne in Hausners auch durch den beherrschten Rhythmus und die extra langsam aufgesagten Dialoge absichtlich unnatürlich wirkenden Film nicht wahrzunehmen. Zu sehr spielt sich das Setdesign zuweilen in den Vordergrund, zu viele Klischees finden sich in den Figurenzeichnungen, vor allem bei den ignoranten Eltern, die sich lieber auf der anderen Weltkugelhälfte als White Saviours aufspielen, anstatt ihrem (zunehmend essgestörten) Sohn beizustehen.

So gerät auch die einzige sichtbare Bulimie-Szene eher zur Karikatur: Weil das Mädchen Elsa (Ksenia Devriendt) ihren Eltern weismachen will, dass Essen allein eine Einstellungssache ist, erbricht es sich vor ihren Augen auf einen Teller und löffelt sich das Erbrochene danach rein. Der drastischen Darstellung, die – für die möglichen Ausmaße der Krankheit – noch lange nicht drastisch genug ist, wird durch den Ekel viel von ihrer Wirkmacht ­genommen.

„Club Zero“. Regie: Jessica Hausner. Mit Mia Wasikowska, Sidse Babett Knudsen u. a. Österreich/Großbritannien/Deutschland/Frankreich/Dänemark/Katar 2023, 110 Min.

Denn das Gefühl von Ekel, nicht erst durch die Dschungelcamp-Ekelprüfungen, oder Ruben Östlunds und Matthias Glasners inszenierte Film-Kotzarien längst in der Kultur angesiedelt, ist weniger negativ besetzt als etwa Angst oder Schmerz. Der Philosoph Aurel Kolnai beschrieb 1929 in seinem Aufsatz „Der Ekel“: „Ekel […] ist körpernäher als alle anderen Formen der Abwehr und Abkehr; Ekel ist deshalb auch etwas anderes als moralische Verachtung und geradezu ein Gegenbegriff zu Angst. […] Im Ekel ist keine Bedrohung spürbar, nur […] unerträgliche Belästigung.“

„Club Zero“ ist kein Betroffenheitsfilm, keine schnurgerade, auf Heilung ausgelegte Krankheitserzählung. Eher sitzt er zwischen den Stühlen „Tragödie“ und „Groteske“. Ein Wagnis – Essstörungen werden oft falsch diagnostiziert oder behandelt und haben auch nicht zwingend mit dem lieblosen Verhalten von egoistischen Eltern zu tun. Zur Diskussion beizutragen, schafft der Film dennoch.

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