Illustration von drei Frauen, die auf einer Parkbank sitzen: eine hat einen Kinderwagen vor sich, in dem ein Hund sitzt, die in der Mitte sitzt, trägt ein gelbes Kleid, eine hat ein Baby im Arm. Vor ihr ist ein weiterer Kinderwagen

Illustration: Yvonne Kuschel

Mutter werden oder nicht?:Bis das letzte Ei gesprungen ist

Es wurde viel über Frauen gesprochen, die ihre Mutterschaft bereuen. Unsere Autorin wollte die meiste Zeit kein Kind. Jetzt ist sie 38 und fragt sich, ob das ein Fehler war.

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2.9.2023, 19:08  Uhr

Einer der wenigen Momente in meinem Leben, in denen ich wirklich ein Kind wollte, war 2012 während eines Sommerurlaubs auf Korsika. Ich war 27 und schwer verliebt in meinen damaligen Freund, mit dessen uraltem VW-Kombi wir die Campingplätze an der Westküste der Insel abklapperten. Es war unser erster gemeinsamer größerer Urlaub und mein erster Campingurlaub überhaupt. Noch nie hatte ich mich der Natur so ausgeliefert gefühlt, so frei und so lebendig, und noch nie hatte ich einen derart starken Wunsch verspürt, schwanger zu werden.

Tatsächlich schliefen wir dann auch ohne Kondom miteinander, ein einziges Mal. Danach diskutierten wir viel darüber und stritten ein Mal so heftig, dass mein Freund für ein paar Stunden mit dem Auto davonfuhr. Ihm war ein Kind nach einem Dreivierteljahr Beziehung viel zu früh. Ich konnte das vom Kopf her zwar nachvollziehen, empfand es auf emotionaler Ebene aber als Zurückweisung.

Seit jenem Sommer, der meinem Leben eine völlig andere Wendung hätte geben können, sind elf Jahre vergangen. Elf Jahre, in denen ich die meiste Zeit über erleichtert darüber war, damals nicht schwanger geworden zu sein. Denn so konnte ich in aller Ruhe mein Studium beenden und einen Job finden, der mir Spaß macht. Und es gab so genügend Raum, um erst mal mich selbst kennenzulernen und mit meinen Ängsten und Unzulänglichkeiten zurechtzukommen. Und klar, das lange Ausgehen und Ausschlafen bis weit über 30 war auch nicht schlecht.

Doch in letzter Zeit ertappe ich mich immer häufiger dabei, dass ich wehmütig an diesen einen Moment auf Korsika zurückdenke und mir vorstelle, wie mein Leben wohl aussähe, wenn ich damals Mutter geworden wäre. War es wirklich richtig, das Kinderkriegen so lange vor mir herzuschieben? Während ich damit beschäftigt war, meinen Platz im Leben zu finden, wurden meine Eizellen von Zyklus zu Zyklus weniger. Jetzt, mit 38, sind kaum noch welche da. Ich gebe es nur ungern zu, aber: So langsam steigt Panik in mir auf.

Allein bin ich damit nicht, wie mir meine Therapeutin bestätigt. Im Gegen­teil. Vor allem unter Akademikerinnen gebe es viele, die sich mit der Kinderfrage lange schwertun und mit Ende dreißig plötzlich doch das Gefühl kriegen, sie könnten etwas verpassen. Nicht jede wird sich ihren späten Kinderwunsch noch erfüllen können.

Die Forschung hat einen Begriff für Frauen, die so lange gezögert haben, bis die Biologie für sie entschieden hat. Sie nennt sie „postponers“, also „Aufschieberinnen“. Anders als die „Frühentscheiderinnen“, denen schon sehr schnell klar sei, dass sie kein eigenes Kind wollen, oder die „Spätentscheiderinnen“, die sich ab 30 aufwärts gegen ein eigenes Kind entscheiden, würden die „Aufschieberinnen“ die Entscheidung wieder und wieder vertagen – und irgendwann hat sie sich dann erledigt.

Bin ich eine von ihnen?

Schon als kleines Mädchen kann ich mit anderen Kindern nicht besonders viel anfangen. Ich finde es furchtbar, mit meinen jüngeren Geschwistern „in der Schlange zu gehen“ – meine Worte – und blühe jedes Mal auf, wenn ich alleine bei meiner Großmutter bin und wir im Wohnzimmer Tee aus feinen Porzellantassen trinken. Die Zwillinge, die nicht mal zwei Jahre nach mir zur Welt kommen, sind für mich nur dicke, mit Möhrenbrei verschmierte Glatzköpfe, von denen ich aber andauernd einen auf dem Schoß habe. Laut meiner Mutter, damit sich meine Eifersucht in Grenzen hält. Ich glaube, es liegt auch daran, dass sie mit drei Kleinkindern, auf das bald ein viertes folgt, und einem Mann, der von morgens bis abends bei der Arbeit ist, jede Hilfe in Anspruch nimmt, die sie kriegen kann.

Vielleicht finde ich deshalb bis heute die meisten Kinder nicht besonders süß oder sympathisch, sondern laut, anstrengend, überfordernd und unberechenbar. Sie riechen komisch und fassen mit ihren kleinen, schmuddeligen Fingern alles an, was man nicht vor ihnen in Sicherheit bringt. Darüber hinaus weiß ich nur selten, worüber ich mit ihnen sprechen könnte, und beim Spielen fehlt mir oft die Fantasie. Auch die Kinder meiner Freundinnen haben mit meinem Leben nicht viel zu tun, außer, dass sie uns bei unseren Unterhaltungen ständig ins Wort fallen.

Kinder, die bekommen immer nur andere. Ich nicht. Ich hüte mich vor ihnen, ja, verhüte, seitdem ich 16 bin. Und wenn mal etwas schiefgeht, nehme ich die „Pille danach“. Anders als andere Frauen habe ich lange keine Bilder davon im Kopf, wie ich mit kugelrundem Bauch durch die Straßen laufe oder ein Baby in den Schlaf wiege.

Ich habe auch über Jahre die Pille genommen. Im Frühjahr 2012, ein paar Monate vor dem Urlaub auf Korsika, setze ich sie ab. Nicht ich komme auf die Idee, sondern mein Freund, weil er es nicht gut findet, dass ich Hormone schlucke. Ich weiß noch, wie er damals sagt: „Dann geht es später auch leichter, wenn wir ein Kind bekommen wollen.“ Mit der Betonung auf später.

In der Zwischenzeit streiten wir leidenschaftlich darüber, wie wir uns ein Leben mit Kindern vorstellen. Er will unbedingt zurück aufs Land, was bei mir die Horrorvorstellung hervorruft, dass ich irgendwo in der Pampa ­hocke, während er mit seinem künstlerischen Beruf durch die Gegend tourt. Dabei gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte: Im Großen und Ganzen ist er derjenige, der besser im Kümmern ist. Er sorgt dafür, dass wir Licht und Internet und eine warme Wohnung haben, und er ist es, der regelmäßig unsere einzigen Schützlinge, die Pflanzen, gießt.

Ein weiteres Streitthema ist die Namenswahl. In unserem durchaus emanzipierten Freundeskreis ist es üblich, dass das Kind den Nachnamen des Vaters bekommt, wenn das Paar nicht verheiratet ist. Eine Freundin erklärt mir, dass sie damit die Vater-Kind-Bindung stärken wolle. Sie erzählt aber auch, dass sie deshalb mit ihrer Tochter nicht durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen gelassen wurde. Das bestärkt mich in meiner Ansicht, dass unser zukünftiges Kind, das sich zu diesem Zeitpunkt so anfühlt wie jedes x-beliebige Debattenthema, heißen soll wie ich. Immerhin bin ich es ja auch, die ihren Körper mit einer Schwangerschaft ruiniert. Zumindest vorüber­gehend.

Und während wir verbal unsere Kräfte messen und an unseren jeweiligen Karrieren schrauben, vergeht die Zeit. Bis mein Freund im fünften Jahr unserer Beziehung plötzlich ein Kind will. Erst zart und leise, dann immer lauter und wütender, je länger ich es vor mir herschiebe. Ich sage, dass ich erst noch mein Studium beenden möchte und meinen Roman fertig schreiben, weil ich sonst vielleicht nie mehr dazu kommen werde, und falls doch, charakterlich sicher eine andere wäre.

Er, der sechs Jahre älter ist, sagt, dass er kein alter Vater werden will und wir es jetzt einfach mal probieren sollten, weil es dafür eh keinen richtigen Zeitpunkt gibt.

Illustration einer Frau in gelbem Kleid. Sie steht vor einem Spiegel, ihr Spiegelbild zeigt eine Schwangere, in der Realität hat sie einen flachen Bauch

Ich rege mich darüber auf, seinetwegen sechs Jahre weniger Zeit zu haben, um persönlich und beruflich voranzukommen.

Er macht mir den Vorwurf, dass ich ihn hinhalte. Und das stimmt ja auch. Allerdings nicht, um ihn zu ärgern, sondern weil ich nicht weiß, was ich will.

Wenn ich daran denke, ein Kind zu bekommen, schnürt sich mein Hals zu. Für mich erscheint ein Kind, ohne beruflich angekommen zu sein, gleichbedeutend mit der völligen Auslöschung meines bisherigen Lebens, so wie ich es liebe. Und das, was ich um mich herum beobachte, trägt nicht gerade dazu bei, dass ich eine positivere Einstellung dazu bekomme. Denn egal, wen ich frage, alle erzählen von schrecklichen Geburten, höllischen Nächten und Brustentzündungen und dass man es sich besser zwei Mal überlegen sollte, ob man sich so etwas antut.

Es ist die Zeit von „Regretting Motherhood“, und so wohltuend dieser Tabubruch, den die Studie der israelischen Soziologin Orna Donath ausgelöst hat, für viele auch ist, so einschüchternd ist er für mich, der ja schon ein einziger, kleiner Negativaspekt gereicht hätte, um das Projekt „Kinderkriegen“ in die gleiche Kategorie einzuordnen wie „Freeclimbing“ oder „harte Drogen nehmen“ – irgendwie verlockend, aber vollkommen wahnsinnig. Gleichzeitig bewundere ich die Frauen dafür, dass sie das Muttersein entmystifizieren. Endlich spricht mal jemand aus, was für ein pain in the ass Reproduktionsarbeit ist, mit allem was daraus folgt: mangelnde Anerkennung elterlicher Tätigkeiten, fehlende Kitaplätze, Karriereknick und Betreuungs-Gap.

Während eines Zeitungspraktikums, bei dem ich vor allem Themen zu MeToo und Feminismus vorschlage, sagt eine ältere Redakteurin zu mir, dass mein journalistisches Engagement für junge Frauen ja schön und gut sei, die Probleme aber erst richtig anfingen, wenn sie Kinder kriegen. Ich verstehe ihre Anmerkung als versteckte Warnung, zumal sie meines Wissens keine hat. So wie viele Frauen seit der Einführung der Anti-Baby-Pille, vor allem, wenn sie gut ausgebildet und in Führungspositionen sind.

Ich versuche, es mit dem Kopf zu lösen, und wäge stundenlang das Für und Wider von eigenen Kindern ab.

Auf der Kontra-Seite:

– schlaffe Brüste, Schwangerschaftsstreifen, Thrombosegefahr

– für lange Zeit kein Alkohol und keine Zigaretten

– die Geburt, fuck, ja, die Geburt

– danach für lange Zeit kein Sex mehr, weil es wehtut

– oder nie wieder Sex?!

– statt Bücher, Filme, Clubs: Wickeln, Stillen, Schlafmangel

– keine Aufträge mehr

– vielleicht nie eine Festanstellung, obwohl ich so viel dafür getan habe

– die totale Abhängigkeit von einem Mann

– DIE TOTALE ABHÄNGIGKEIT VON EINEM MANN

Ich will nicht vom Vater meines Kindes betrogen und durch eine Jüngere ausgetauscht werden, wie ich es im Bekanntenkreis meiner Eltern oft erlebt habe. Ich will keine alleinerziehende Mutter sein, die abhängig von Sozialleistungen und den Alimenten des Kindsvaters ist. Ich will mir meine Freundschaften nicht danach aussuchen, mit wessen Kind mein Kind gerne spielt. Ich will nicht, dass meine pubertierende Tochter mich peinlich findet.

Lieber will ich mein inneres Kind noch ein bisschen hegen und pflegen. Es ist sehr anspruchsvoll und wäre gerne Einzelkind geblieben. Mich um diesen Persönlichkeitsanteil zu kümmern fällt mir schwer genug – wie soll ich da zusätzlich noch die Verantwortung für ein anderes Lebewesen übernehmen? Zumal ich kein besonders positives Bild von der Mutterrolle habe.

Wenn ich an eine typische Mutter denke, fällt mir zuallererst die heilige Mutter Maria ein, obwohl ich nicht katholisch bin. Aufopferungsvoll, sich selbst verleugnend. Mehr für andere da als für sich selbst. Diese Art Mutter sehe ich regelmäßig in der Nachbarschaft und werde jedes Mal wütend, dass wir Frauen so etwas mit uns machen lassen.

Vielleicht ist es die Angst, etwas zu verpassen, was zum Frau­sein dazugehört

Ich habe Angst.

Ich habe Angst, eine schlechte Mutter zu sein. So schlecht, dass mein Kind vom Jugendamt abgeholt wird, wie im Computerspiel „The Sims“. Das ist mir beim Zocken früher oft passiert.

Ich habe Angst, eine zu gute Mutter zu sein. So gut, dass ich in allen anderen Lebensbereichen versage, da ich mich immer nur auf eine Sache konzentrieren kann.

Ich habe Angst, eine durchschnittliche Mutter zu sein. Und aus Kapazitätsgründen eine ebenso durchschnittliche Autorin, eine durchschnittliche Freundin, ein durchschnittlicher Mensch.

Und die Pros?

Wenn ich das so genau wüsste.

Vielleicht ist es die Angst, etwas zu verpassen, was zum Menschsein, zum Frausein dazugehört. Oder wie es eine Freundin ausdrückt: „Wozu bin ich mit einem Körper auf die Welt gekommen, der so etwas Krasses kann, wenn ich es nicht nutze?“

Vielleicht macht es glücklich, etwas weiterzugeben.

Nicht allein zu sein.

Zu lieben und geliebt zu werden, bedingungslos.

Und ja, wenn meine Mutter sich anders entschieden hätte, wäre auch ich nicht auf der Welt. Dabei bin ich so gerne hier.

2017 bleiben meine Tage aus. Mein Freund und ich sind kurz davor, nach London aufzubrechen, wo wir drei Monate verbringen wollen. Als der Frauenarzt „Herzlichen Glückwunsch“ sagt, fange ich an zu weinen. Ich rufe meinen Freund an, der genauso geschockt ist wie ich. „Ist es von einem anderen?“, fragt er. „Wir haben doch immer ein Kondom benutzt.“ Ich bin verletzt und lege auf.

Später kommt meine Schwester zu Besuch und wir rauchen eine. „Eine Zigarette mehr wird das Kind auch nicht umbringen“, beruhigt sie mich. Und während wir da so auf dem Balkon stehen, steigt ein kleines Glücksgefühl in mir auf. Ich werde Mutter – und vielleicht wird jetzt doch alles gut. Doch sobald ich wieder allein bin, durchdringt ein gewaltiger Widerwille jede Faser meines Körpers.

Ich will nicht, dass ein Mann seinen Samen in mich pflanzt.

Ich will nicht, dass da etwas in mir heranwächst und meinen Körper besetzt.

Ich will keine Hülle sein, sondern der Kern.

Ich mache einen Termin bei einer Beratungsstelle für Schwangerschaftsabbrüche. Die Sozialarbeiterin hat Verständnis. Sie hält ein Kind ohne festen Job und in einer Beziehung, die zu diesem Zeitpunkt nicht besonders gut läuft, ebenfalls für keine gute Idee. Am Tag darauf ruft der Frauenarzt an. Bei der Untersuchung sei ein Fehler passiert, ich bin doch nicht schwanger.

Als ich mit nichts als einem Kaffee im Bauch ins Flugzeug steige, bin ich erleichtert, und auch später noch, als ich durch Hackney laufe, am Kanal entlang bis nach London Fields. Doch zurück in Berlin holt mich das Thema wieder ein. Will ich wirklich keine Kinder? Oder will ich sie nur jetzt nicht?

Eine Freundin leiht mir das Buch „Motherhood“ von Sheila Heti, in dem sich die Ich-Erzählerin letztendlich ­gegen ein Kind entscheidet. Sie sagt: „Du musst keine Kinder bekommen, um glücklich zu sein.“ Ich blättere lustlos darin herum, höre Podcasts, in denen Frauen in meinem Alter darüber nachdenken, ob sie schwanger werden wollen oder nicht, und bin danach jedes Mal so schlau wie zuvor. Was helfen mir all die klugen Gedanken von anderen, wenn mein Herz gerade Nein sagt?

Mit 34, ich reibe mich gerade zwischen einem Master und mehreren Freelance-Jobs auf, rät mir dieselbe Freundin, mich mit dem Thema „Social Freezing“ auseinanderzusetzen, also der Möglichkeit, mir Eizellen entnehmen und einfrieren zu lassen. Als meine Frauenärztin mir eine Grafik vorlegt, auf der die Fruchtbarkeitskurve ab Mitte dreißig rapide bergab geht, bin ich bestürzt. Ich wusste natürlich, dass wir Frauen nicht ewig schwanger werden können, aber nicht, dass die Chance auf ein eigenes Kind ab diesem Alter so stark abnimmt. Die Ärztin erzählt etwas von künstlicher Stimulation der Eierstöcke und davon, dass die Entnahme und Lagerung der Eizellen mehrere tausend Euro kostet. Ich höre schon nicht mehr richtig zu. Ich mag altmodisch wirken, aber für mich hört sich das alles nach „Brave New World“ von Aldous Huxley an. Außerdem ist es zu teuer für etwas, das ich nicht unbedingt will.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Zwei Jahre später kommt die Pandemie, und mein Freund und ich hocken uns auf der Pelle. Statt noch mehr zu streiten, ignorieren wir einander jetzt meistens und entscheiden uns schließlich für eine Paartherapie. Die Therapeutin vermutet, dass meine Bedenken bezüglich des Kinderkriegens auch deshalb so stark sind, weil ich als Älteste von drei Geschwistern zu kurz gekommen bin. Sie versucht, mich damit zu beruhigen, dass man ein Kind ja auch in den Alltag integrieren kann. Eltern, bei denen sich alles nur noch um das Kind dreht, seien das eine Extrem, sagt sie, bei anderen laufe es einfach mit. Ein Kind bedeute nicht das Ende der eigenen Identität.

Mag sein, denke ich, aber sie dringt nicht richtig zu mir durch. Auch, weil mein Freund und ich nach nicht mal drei Sitzungen merken, dass unsere Beziehung nicht mehr zu retten ist.

Mit 37 bin ich 2021 also wieder Single und wohne in einer WG in Berlin-Moabit. Ich fühle mich so jung und frei wie seit Jahren nicht mehr.

Bei meinem Lieblingsvietnamesen lausche ich eines Abends dem Gespräch zweier Frauen in meinem Alter, von denen die eine gerade von ihrem Freund verlassen wurde. Sie sitzt am Nachbartisch, und doch habe ich das Gefühl, dass wir Lichtjahre voneinander entfernt sind. Sie will unter allen Umständen ein Kind und ihren Wunsch mithilfe einer Samenspende in die Tat umsetzen. „Sobald ich schwanger bin, kündige ich meinen Job und ziehe wieder bei meinen Eltern ein“, sagt sie, und mir fallen vor Schreck fast die Stäbchen aus der Hand.

Dann lerne ich einen neuen Mann kennen. Er sagt von Anfang an, dass er keine Kinder will. Doch was mich eigentlich beruhigen müsste, löst das genaue Gegenteil in mir aus. Ich frage mich: Waren die Fronten zwischen meinem Ex-Freund und mir zum Schluss so verhärtet, dass ich gar nicht anders konnte, als kein Kind zu wollen? Heißt das, ich will eigentlich doch?

Ein paar Wochen später bekomme ich einen Anruf von meiner Gynäkologin. „Es tut mir leid, aber ich habe schlechte Nachrichten“, höre ich sie sagen. „Laut Ihrer Hormonwerte könnten Sie in den vorzeitigen Wechseljahren sein.“

Bitte, was?

Ich kralle mich an der Fensterbank fest. Ja, mein letzter Zyklus hat mehr als 60 Tage gedauert, aber ich bin doch erst 37. Ich dachte immer, die Wechseljahre gehen frühestens mit Mitte vierzig los.

Die Ärztin klärt mich auf: Mein Anti-Müller-Hormon, das die Anzahl der noch vorhandenen Eizellen anzeigt, sei viel zu niedrig, und – viel entscheidender – mein follikelstimulierendes Hormon FSH sei viel zu hoch. Später lese ich, dass eine von 100 Frauen vor dem 40. Lebensjahr ihre letzte Periode hat, wobei manche Spe­zia­lis­t:in­nen von einer viermal so hohen Zahl ausgehen. So weit ist es bei mir allerdings noch nicht. Wenn meine Ärztin recht hat, befinde ich mich in der Zeit davor, der Zeit des Wechsels, die auch Perimenopause genannt wird.

In meinem Kopf dreht sich alles. Was bedeutet das für meine Gesundheit? Werde ich schneller alt? Und kann ich überhaupt noch schwanger werden?

Am Abend fahre ich zu meinem neuen Freund. „Findest du mich noch attraktiv?“, frage ich, während wir auf dem Boden sitzen, Bier trinken und Thai-Curry aus kleinen Pappschalen essen. „Klar!“, sagt er und nimmt mich in den Arm. Ich fühle mich trotzdem hässlich, irgendwie grau. Insgeheim unterstelle ich ihm, erleichtert zu sein, dass es mit dem Kinderkriegen bei mir höchstwahrscheinlich nicht klappt.

Ich putze mir die Nase und denke daran, was ohne Kind alles besser geht: ein Buch schreiben, die Welt bereisen, Lesen, Nachdenken. In mir breitet sich ein Gefühl der Ruhe aus. Ich glaube, das kommt daher, dass meine Melancholie endlich einen Ort gefunden hat. Oder es liegt am Bier.

In den Wochen darauf sauge ich alle Informationen über die vorzei­tigen Wechseljahre auf, die ich finden kann. Ich lese von einem erhöhten Risiko, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Osteoporose und Demenz zu bekommen. Mit einem Schlag fühle ich mich alt und habe all die misogynen Begriffe im Kopf, mit denen ältere Frauen beschimpft werden: ausgemergelte Ziege, alte Schachtel, Hexe. Ich schäme mich dafür, weil ich ältere Frauen eigentlich super finde. Meine Großmutter, die ein richtiger Ladyboss war, meine Mutter, die immer mehr zu einem wird, die Sängerinnen Françoise Cactus und Peaches, das feministische Performance-Kollektiv She She Pop, die Schriftstellerin Siri Hustvedt. Wenn ich an mich in 20 Jahren denke, will ich genauso cool sein wie sie. Aber eben erst in 20 Jahren!

Illustration einer Frau die an einem Küchentisch sitzt, sie schaut ihr Frühstücksei an und sagt "Ich muss immer an meine Eier denken". Das ist in einer Sprechblase zu lesen

Illustration: Yvonne Kuschel

Und dann bin ich auch noch kinderlos, womöglich für immer. Mehr Stigma geht kaum als Frau. Im alten Christentum predigten Männer, dass Fortpflanzung die einzige Existenzberechtigung der Frau sei. Und im Mittelalter wurden adelige Frauen zuweilen verstoßen, wenn sie keine Kinder kriegen konnten. Diese drastischen Zeiten sind zwar vorbei, aber auch heute noch ist Kinderkriegen die Norm, Ausnahmen werden kritisch beäugt. Wie das einzige kinderlose Paar im Freundeskreis meiner Eltern, das von allen bemitleidet wurde, weil ihnen angeblich etwas Entscheidendes zu ihrem Glück fehlte. Dass ihnen ihr riesiges Haus mit Pool und die zahlreichen Fernreisen reichten, konnte sich niemand so richtig vorstellen.

Dabei hat der britische Verhaltensforscher Paul Dolan erst kürzlich herausgefunden, dass unverheiratete kinderlose Frauen meist glücklicher sind und länger leben als Frauen, die sich für eine Familie entschieden haben. Männer hingegen profitieren von einer Heirat, weil sie so endlich „zur Ruhe“ kommen – womit der Forscher auch gleich beantwortet hat, warum es andersherum nicht so ist. Und auch Instagram-Accounts wie „We are childfree“ oder der New-York-Times-Bestseller „Selfish Shallow and Self-Absorbed – Sixteen Writers on the Decision Not to Have Kids“ zeigen, dass man ein wunderbares, ja vielleicht sogar erfüllteres Leben ohne Kinder haben kann.

Jedenfalls theoretisch.

„Dann hast du halt ein paar Hormone weniger, na und?“, sagt meine Schwester, als ich ihr bei einem Spaziergang von der Vermutung der Ärztin erzähle. „Bei Männern spricht man doch auch nicht von Wechseljahren, wenn ihre Spermienqualität nachlässt.“ Stimmt eigentlich, denke ich. Wie absurd, dass die alternde Frau pathologisiert wird, während der alternde Mann so tut, als sei er in den besten Jahren, obwohl bei ihm bereits ab 40 Erektionsprobleme auftreten können und die Lust auf Sex weniger wird. Gleichzeitig lassen sich die Wechseljahre, ob vorzeitig oder nicht, auch nicht einfach so abtun. Ihre Symptome sind schließlich sehr real.

Ich würde am liebsten meinen Ex-Freund anrufen und ihm sagen, dass sich unsere Streite über das Kinderthema zuletzt gar nicht mehr gelohnt haben, weil ich vermutlich sowieso nur sehr schwer schwanger geworden wäre. Stattdessen mache ich mir Vorwürfe. Hätte ich mich schon viel früher mit meinem Körper auseinandersetzen müssen?

Meine Besuche beim Frauenarzt konnte ich lange an einer Hand abzählen, und wenn es vor der Periode mal zwickte, nahm ich eine Tablette. Auch, als die Beschwerden immer stärker wurden, verbuchte ich sie unter PMS, dem Prämenstruellen Syndrom: lästig, aber kein Grund zur Sorge. Die spannenden Brüste, die Stimmungsschwankungen, die unregelmäßige Periode, die Hitzewallungen, die Schlafstörungen – ich nahm sie einfach hin. Dass mir mein Körper damit möglicherweise etwas sagen wollte, hörte ich nicht.

Als ich meiner Mutter erzähle, dass ich eventuell frühzeitig in den Wechseljahren bin, sagt sie, dass das bei einigen Frauen in unserer Familie so ähnlich war. Absurd, dass ich das erst jetzt erfahre. Aber darüber zu sprechen ist eben immer noch ein Tabu.

Ich ärgere mich, dass ich mich durch mein jahrelanges Zögern in eine Situation hineinmanövriert habe, in der ein eigenes Kind von Tag zu Tag unwahrscheinlicher wird. Wobei: Bin ich wirklich alleine schuld daran? Was ist mit der Verantwortung unserer Gesellschaft, die immer noch nicht familienfreundlich genug ist, um uns Frauen davon zu überzeugen, dass es eine gute Idee ist, Mutter zu werden?

Oder hatte ich doch recht damit, mich all die Jahre an kinderlosen Frauen zu orientieren? An Virginia Woolf, die davon überzeugt war, dass eine Frau zuallererst ihren eigenen Raum und ihr eigenes Geld braucht, um sich frei entfalten zu können. Oder Simone de Beau­voir, die der Meinung war, dass sich eine Frau vor der Mutterschaft hüten solle, sie sogar für Sklaverei hielt. Vielleicht bin ich von den vielen Mommy-Bloggerinnen und Designerkinder­wagen in meiner Nachbarschaft schon so gehirngewaschen, dass ich mit einem Mal etwas will, wogegen ich mich aus guten Gründen gewehrt habe.

Um mich abzulenken, gehe ich auf ein Punkkonzert. Schon nach zehn Minuten bin ich klatschnass von der Bierdusche. Ich tanze, hüpfe und werfe mich gegen fremde Körper und fühle mich für einen Abend so befreit wie schon lange nicht mehr. Ich bin keine Reproduktionsmaschine mit Brüsten und Eierstöcken, ich bin ein Mensch. Doch ich schaffe es nicht, dieses Freiheitsgefühl in den Alltag hinüberzuretten. Wohin ich auch blicke, überall geht es ums Kinderkriegen.

Es ist, als würden meine Schwestern und ich plötzlich auf verschiedenen Planeten leben

Bei der Arbeit fällt mir plötzlich auf, dass ein paar meiner Kol­le­g:in­nen öfter schon um 16.30 Uhr Schluss machen, um ihre Kinder von der Kita oder Schule abzuholen, und auch wenn ich glaube, dass ihr Feierabend anstrengender wird als meiner, bin ich neidisch, dass sie früher gehen können. Und um spontan mit jemandem ins Theater zu gehen, muss ich ewig durch meine Kontaktliste scrollen.

Auch bei unseren Familienfeiern krabbeln, brabbeln und krähen wieder vier Kleinkinder im Haus meiner Eltern. Ein Déjà-vu für meine Mutter – und eine Herausforderung für mich. Denn es ist zwar irgendwie toll, mit meinem Bruder und meinen Schwägern Bier aus Silberbechern zu trinken, während meine Schwestern und meine Schwägerin im oberen Stock im Dunkeln sitzen und stillen, aber im Gegensatz zu mir haben die Männer beides: die Kinder und das Bier.

Dann – die vorherige Beziehung dauerte nicht mal ein Jahr – tritt ein neuer Mann in mein Leben. Er hat bereits ein Kind, und in unseren ersten Nachrichten bin ich genervt, dass ich mich danach richten muss, wann er seinen Sohn zu Besuch hat und wann nicht. Aber dann lerne ich den Jungen kennen und habe ihn auf Anhieb gern. Zum ersten Treffen bringe ich Dinosaurier-Tattoos und Kuchen mit, er freut sich. Nachdem der Kuchen alle ist, hat er einen Schreianfall. Und auch sonst schwankt unser Verhältnis stark, mal will er, dass ich weggehe, dann nimmt er wie selbstverständlich meine Hand. Wenn er mich ablehnt, reißt jedes Mal ein kleines Stück von meinem Herzen ab.

Ich habe weiter Zyklusbeschwerden. Jemand empfiehlt mir eine Frauenärztin, die auf Hormone spezialisiert ist. Sie arbeitet – natürlich – in einem Kinderwunschzentrum. Im Wartezimmer sitzen sehr blasse und faltige Paare. Ich gucke noch mal hin und erschrecke mich. Die sind ja genauso alt wie ich.

Meine neue Gynäkologin ist eine resolute Frau ohne Kinder. Sie guckt sich meine Hormonwerte an und sagt: „Ach, wissen Sie, manchmal ist man ohne Kinder besser dran.“ Ich solle „es ein bisschen sportlich sehen“. Denn vielleicht bessern sich meine Werte ja auch wieder. Und wenn sie sich verschlechtern, könne man das Östrogendefizit mit bio­identischen Hormonen ausgleichen, um mögliche Krankheitsrisiken zu reduzieren. Das wird Frauen, die zu früh in die Wechseljahre kommen, grundsätzlich empfohlen.

„Kann ich denn überhaupt noch schwanger werden?“, frage ich.

Die Ärztin nickt. Schwanger werden könne ich so lange, bis das letzte Ei gesprungen sei, wenn auch mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit.

Ich erinnere mich, wie ich Weihnachten für all die Kinder Geschenke gekauft habe, die nicht meine sind.

Ich denke daran, wie zärtlich mein Freund seinem Sohn die Zähne putzt. Und daran, wie meine Schwester immer sagt, dass die Liebe zu ihrer Tochter größer sei als jede Liebe, die sie bisher für jemanden empfunden hat.

Ich habe keine Kinder.

Ich habe nicht mal einen Hund.

Aber hey, ich bin flexibel und man kann mich dort einsetzen, wo ich gebraucht werde.

Habe ich durch meine panische Angst vor der westdeutschen Einfamilienhausfalle meinen Kinderwunsch verdrängt? Oder durch meine Karriere?

Wobei, welche Karriere?

„Dein Baby ist dein Roman“, sagt mein neuer Freund.

„Dazu müsste ich ihn aber endlich schreiben“, sage ich.

Ostern verbringen wir zusammen bei meiner Familie. Vier Tage lang dreht sich alles um die Kinder. Wir färben Eier, wir suchen Eier, wir essen Eier, wir fahren mit einem Kind in die Notaufnahme, weil es zu viele Eier gegessen hat. Wie viele Eier ich wohl noch habe?

Als ich meiner Mutter erzähle, dass eines ihrer Enkelkinder vor Wut das Mobile über dem Wickeltisch kaputt getreten hat, fühlt sich meine Schwester in ihrem Erziehungsstil angegriffen und fährt mich an, dass ich mich nicht einmischen soll. Mir platzt der Kragen. Wozu bin ich tagelang Statistin in meinem eigenen Elternhaus gewesen und habe meinen Namen gegen­ „Tante Anna hier“, „Tante Anna da“ eingetauscht, wenn ich zum Dank für meine Mühen am Ende angeschrien werde?

Ich sage: „Immer diese Scheiß-Mütter.“

Später vertragen wir uns wieder, doch ich fühle mich allein. Ich bin nicht mehr in der Mitte, ich bin am Rand. Als würden meine Schwestern und ich plötzlich auf zwei verschiedenen Planeten leben, wo sich die eine Spezies über die andere aufregt oder neidisch hinüberlinst, was drüben so alles möglich ist.

Meine Hormonwerte schwanken. Mal sind sie so gut, dass mir meine neue Frauenärztin eine winzige Chance ausrechnet, dass es auf natürlichem Weg noch klappen kann, dann wieder so schlecht, dass sie sagt: „An Ihrer Stelle würde ich mich von einem eigenen Kind verabschieden.“ Ob ich wirklich in den vorzeitigen Wechseljahren bin, ist bis heute nicht ganz klar.

Ich treffe eine Entscheidung. Ich will es wenigstens probiert haben.

Mein neuer Freund zögert. Ich verstehe ihn, immerhin kennen wir uns noch nicht lange und er hat schon ein Kind. Aber ich werde nicht zulassen, dass sich mein Wunsch noch einmal in Luft auflöst. Ein Wunsch, der sich bei mir anscheinend immer nur dann einstellt, wenn mein Kopf kurz mal ­Sendepause hat. Oder mit anderen Worten: wenn ich frisch verliebt bin.­ ­Einerseits erschreckend, dass ich offenbar ein Steinzeitmensch bin, der zwar aufrecht gehen kann, aber ansonsten nichts gelernt hat. Andererseits kann ich mir diese kleine hormonelle Unvernunft jetzt, mit einer eigenen Wohnung und einem festen Gehalt, auch erlauben.

Und wenn es nicht klappt, ist es auch okay. Dann konzentriere ich mich aufs Schreiben und reise um die Welt. In der Nebensaison, wenn gerade keine Schulferien sind.

Ätsch.

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