Lampedusa und Italiens Migrationspolitik: Eine Strategie, die Leid schafft

Giorgia Melonis Ziel, die Grenzen „sicher“ zu machen, ist gescheitert. Migration lässt sich nicht einfach so kontrollieren.

Eine Mutter, die ihr Kind auf den Rücken gebunden hat, neben ihr eine Frau, die sich mit einem Handtuch auf dem Kopf vor der Hitze schützt

Migranten warten darauf, am 15. September 2023 von Lampedusa aufs Festland gebracht zu werden Foto: Cecilia Fabiano/ap

Während die einen in der Lage auf Lampedusa völlig zu Recht einen humanitären Notstand erkennen, schlachten rechte Medien und Parteien in ganz Europa diese nach Kräften aus. Sie schrei­ben von einer „Invasion“, die knapp 7.000 in dieser Woche auf der Insel Angekommenen nennen sie eine „Armee“. Die polnische PiS setzt im laufenden Wahlkampf voll auf die dramatischen Lampedusa-Bilder. Es ist eine Rhetorik wie im Krieg, deren Ziel nur sein kann, mehr Gewalt zu legitimieren. Die Lage an den Außengrenzen sei „außer Kontrolle“; daran, die Grenzen nun „endlich sicher“ zu machen, führe kein Weg mehr vorbei, heißt es. Es wäre interessant zu erfahren, wie sie sich das vorstellen.

Die Ankunftszahlen in Italien sind in diesem Jahr so hoch wie seit sechs Jahren nicht. Lampedusa, eine der Inseln Italiens, die Nordafrika am nächsten liegen, war in der Vergangenheit eines der wichtigsten Ziele der Boote Papierloser. Die Insel war schon mehrfach überfüllt, das Aufnahmelager zwischenzeitlich geschlossen. Heute sieht es dort wieder so aus wie vor Jahren. Und das unter der wohl rechtesten Regierung Italiens seit Mussolini – dem Bündnis von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

Meloni wollte die Migration über das Meer beenden und hatte dafür im Wahlkampf eine Seeblockade durch die Marine angekündigt. Es wäre die letzte Konsequenz eines seit Jahren zunehmend militarisierten Grenzregimes. Und zweifellos wäre es illegal.

Zum Glück schreckte Meloni davor bisher zurück. Stattdessen gibt es den mehr oder weniger selben Mix zur Migrationsabwehr wie bei den Vorgängerregierungen: Verhandlungen mit Nordafrika um Türsteherdienste, Unterstützung für die libysche Küstenwache, Repression gegen See­not­ret­ter:innen, möglichst schlechte Aufnahmebedingungen für Ankommende in der Hoffnung, diese mögen in andere EU-Staaten weiterziehen – und die berechtigte Klage über zu wenig Umverteilung innerhalb der EU. Dass die deutsche Regierung in dieser Woche die zahlenmäßig kaum ins Gewicht fallende, symbolisch aber höchst bedeutsame Umverteilung aus Italien stoppte, ist da ein fatales Signal.

2.340 Tote bisher im Mittelmeer

Diese Strategie verursacht enormes Leid unter den Flüchtenden – unter anderem 2.340 Tote bisher in diesem Jahr im Mittelmeer. Und die Ankunftszahlen stiegen trotzdem. Wer die Grenzen nun angesichts der Bilder aus Lampedusa „endlich sicher“ machen will – also weiter gehen will als Meloni –, wird letztlich nur eins erreichen: noch mehr Gewalt gegen Schutzsuchende.

Denn Migration lässt sich nicht so kon­trollieren, wie immer behauptet wird. Dass Meloni ihr Wahlversprechen nicht einlösen kann, beweist das einmal mehr.

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Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social

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