Gefangener in Belarus in Haft gestorben: „Unter ungeklärten Umständen“

Der belarussische Künstler und Aktivist Ales Puschkin starb in Haft. Er ist bereits der dritte politische Gefangene, der seit 2020 hinter Gittern ums Leben kam.

Ales Puschkin wird von Uniformierten abgeführt.

Der Regimekritiker Ales Puschkin bei seiner Festnahme 1999 Foto: ap

In der Nacht auf den 11. Juli 2023 starb auf der Intensivstation eines Krankenhauses in Grodno „unter ungeklärten Umständen“ der belarussische politische Gefangene Ales Puschkin. Darüber informierte seine Frau auf Facebook. Nach Informationen von Radio Free Europe/Radio Liberty wurde Ales am 10. Juli bewusstlos in ein Krankenhaus in Grodno eingeliefert. Während der folgenden Operation erlitt der bekannte belarussische Aktionskünstler einen Herzstillstand. Er wurde 57 Jahre alt.

Puschkin ist bereits der dritte politische Gefangene, der seit 2020 hinter Gittern starb. Denunziert hatte ihn vor seiner Verhaftung Olga Bondarewa, eine „freiwillige Helferin“ des Regimes. Auf einer Ausstellung in Grodno hatte sie das von Puschkin gemalte Porträt des anti-sowjetischen Untergrundkämpfer Jewgeni Schichar entdeckt. Der Preis für Bondarewas Meldung war für Puschkin eine fünfjährige Haftstrafe wegen „Rehabilitierung des Nazismus“:

Ich will, dass die ganze Welt den Namen dieser „fantastischen“ Frau erfährt. Dass sie einen regierungsfreundlichen und prorussischen Telegram-Kanal betreibt und dass sie früher einmal wegen Zigarettenschmuggels in Polen angeklagt worden war, lässt sie als Beispiel der neuen „Zivilgesellschaft“ erscheinen, die die Machthaber jetzt anstelle der echten, von ihnen in den letzten zweieinhalb Jahren fast gänzlich zerstörten, erschaffen haben. Aber dass die Hände von Olga Bondarewa jetzt nicht nur hübsch manikürte Fingernägel haben, sondern dass Blut an ihnen klebt, das Blut eines echten Menschen, Ales Puschkins Blut – das sollten wir nicht vergessen. Niemand von uns…

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Ales Puschkin ist eine ikonographische Figur für die belarussische Nationalbewegung. Schon jetzt hat er einen Platz in den zukünftigen Geschichtsbüchern sicher. Und seine Mörder seien verflucht. Vielleicht erscheint einigen der Vergleich unangebracht, aber der Mord an Ales ist, als würde man ein Tier aus der Roten Liste der gefährdeten Arten umbringen. Oder einen Engel.

Ales war ein sehr starker Mensch, aber gleichzeitig war er naiv, gutherzig und unschuldig wie ein Kind. Er hat den schrecklichen Krieg in Afghanistan mitgemacht, wo er für das Verfassen von Tagebucheinträgen auf Belarussisch verhaftet wurde. Ein Mann mit festen Standpunkten.

Seine Performance „Dung für den Präsidenten“ aus dem Jahr 1999 wurde zu seiner bekanntesten: Der Künstler belud eine alte Schubkarre mit Dung, darauf ein Lukaschenko-Bild und eine Plakette „Für fünf Jahre Arbeit“, Handschellen und die 1996 geänderte Verfassung, die die Befugnisse des Präsidenten zu diktatorischen ausweitete. Er rollte die Schubkarre bis zum Haupteingang der Minsker Präsidialverwaltung, kippte den Dung auf die Straße und durchstieß das Lukaschenko-Porträt mit einer Mistgabel.

Seit seiner Studienzeit beschäftigte sich Ales Puschkin mit der Restaurierung historischer Gebäude und bemalte Kirchen. Sein berühmtestes Werk war die Ausmalung der neuen Kirche des Heiligen Nikolaus des Wundertäters in seinem Heimatdorf Bobr in den Jahren 1996/97.

Auf dem Fresko „Das Jüngste Gericht“ stellte Ales Puschkin Lukaschenko umgeben von OMON-Offizieren inmitten von Sündern dar. (Die Kirche wurde 2011, vermutlich absichtlich, in Brand gesteckt).

Jetzt wurde Ales ermordet. Gefoltert. Ich bin überzeugt davon, dass das auf direkten Befehl geschah. Lukaschenko muss ihn für die Zeit, in der er mit diesem widerständigen Mann noch nicht umzugehen wusste, abgrundtief gehasst haben. Aber genauso überzeugt bin ich davon, dass es irgendwann ganz sicher ein Denkmal für Puschkin geben wird. Für unseren Puschkin. (der „andere“ Puschkin ist der russischen Nationaldichter Alexander Puschkin, 1799-1837; Anm. der Übersetzerin) Dem Namensvetter des russischen. Schließlich ist Ales die belarussische Form des russischen Namens „Alexander“.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag edition.fotoTAPETA im September 2022 herausgebracht.

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ist 45 Jahre alt und lebt und arbeitet in Minsk. Das Lebensmotto: Ich mag es zu beobachten, zuzuhören, zu fühlen, zu berühren und zu riechen. Über Themen schreiben, die provozieren. Wegen der aktuellen Situation erscheinen Belarus' Beiträge unter Pseudonym.

Eine Illustration. Ein riesiger Stift, der in ein aufgeschlagenes Buch schreibt.

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