Rechtsextreme nehmen Gegner ins Visier: Neonazis horten Feindeslisten

Immer wieder finden Ermittler Feindeslisten bei Rechtsextremen – und Sicherheitsbediensteten. Die Linke sieht eine „echte Gefahr“.

Martina Renner spricht im Bundestag

Zeigte sich über die Funde von Feindeslisten alarmiert: Martina Renner, Innenexpertin der Linke Foto: Felix Zahn/photothek/imago

BERLIN taz | Als im Dezember die Bundesanwaltschaft deutschlandweit terrorverdächtige Reichs­bür­ge­r:in­nen durchsuchen und festnehmen ließ, stießen die Er­mitt­le­r:in­nen auch auf drei Feindeslisten. 50 Namen politischer Geg­ne­r:in­nen waren dort insgesamt aufgeführt. Eine Aufzählung des Bundesjustizministeriums macht nun klar: Solche Listen sind in rechtsextremen Kreisen inzwischen keine Seltenheit – und sie finden sich immer wieder auch bei früheren oder aktiven Sicherheitskräften.

Laut einer Antwort des Ministeriums auf eine Linken-Anfrage sind dem Bundeskriminalamt aktuell 16 Feindeslisten in der rechtsextremen Szene sowie im Bereich „Sonstiges“ bekannt, wo Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen oder Reichs­bür­ge­r:in­nen einsortiert werden. Heikel: Etliche davon wurden bei Razzien von Terrorverdächtigen gefunden – so wie zuletzt bei den Reichs­bür­ge­r:in­nen um Heinrich Prinz Reuß und mehrere frühere und aktive Soldaten und Polizist:innen.

Auf einer der dortigen Listen waren 18 Spit­zen­po­li­ti­ke­r:in­nen wie Annalena Baerbock oder Saskia Esken aufgeführt. Die zweite Liste führte ebenso Po­li­ti­ke­r:in­nen und ihre Wahlkreisbüros sowie Anschriften von Ärzt:innen. Auf einer dritten Liste standen laut Ministerium die Daten von Personen aus dem näheren Umkreis eines Beschuldigten – die in „Gefährlichkeitsstufen“ eingeteilt waren.

Aber auch im Fall des früheren Soldaten Franco A., der wegen Anschlagsplänen verurteilt wurde, sowie bei den unter Rechtsterrorverdacht stehenden Gruppen Nordkreuz, Atomwaffendivision, Nordadler, Knockout51 und der Gruppe S. fanden Ermittler solche Feindeslisten. Im Fall von Franco A. waren es gleich 4 Listen mit 32 Namen, denen jeweilige Berufe, die vermeintliche Gesinnung, persönliche Verhältnisse und teils Anschriften zugeordnet waren – darunter der frühere Außenminister Heiko Maas oder die Ex-Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung Anetta Kahane.

Anschriften und Pkw-Kennzeichen notiert

Brisant wird die Sache, weil nicht nur hier die Feindeslisten in den Händen von Uniformierten lagen. Auch bei der Gruppe Nordkreuz, in der auch Reservisten und Polizisten aktiv waren, fanden sich gleich sieben Listen – auch hier teils mit Anschriften, Geburtsdaten oder Telefonnummern. Die größte, mit gut 24.000 Namen, geistert seit Jahren durchs Internet und beruht auf einem Hack des „Impact Mailorder“ im Jahr 2015, einem linken Punkversand.

Auch bei der „Gruppe S.“, die momentan in Stuttgart vor Gericht steht, unter ihnen auch ein Polizeiangestellter, fanden Ermittler die „Impact Mailorder“-Liste – dazu noch eine selbst zusammengetragene. Die Großliste fand sich auch bei der Atomwaffendivision, hier bei einem früheren Bundeswehrangehörigen, sowie bei Knockout51 und Nordadler. Knockout führte dazu noch zwei weitere Listen – eine mit Anschriften und Fahrzeugkennzeichen und eine weitere zu Beschuldigten aus einem Strafverfahren. Mutmaßlich handelt es sich bei dem Strafverfahren um das gegen die Leipzigerin Lina E., der vorgeworfen wird, mit anderen Autonomen den Knockout-Anführer Leon R. überfallen zu haben.

Bei Nordadler führte ein Beschuldigter wiederum noch eine Liste mit Bilddateien von rund 4.000 Personen des öffentlichen Lebens. Daneben fand sich eine Textdatei mit 72 Personen und eine mit 31 deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments.

Die Linken-Innenexpertin Martina Renner, die die Anfrage stellte, zeigte sich über die vielen Funde alarmiert. „Wenn in so vielen rechtsterroristischen Komplexen solche Listen entdeckt werden, ist das eine echte Gefahr. Dass dabei auch noch Polizisten und Soldaten an zentralen Stellen waren, weist auf ein Demokratiedefizit in diesen Apparaten hin.“

Das Justizministerium dagegen betont, dass bei den Listen immer eine Prüfung im Einzelfall nötig sei. Eine konkrete Gefährdung der dort Genannten sei nicht automatisch gegeben.

Feindeslisten wurden 2021 als strafbar eingestuft

Renner kritisiert auch, dass die Funde zeigten, wie wirkungslos die 2021 eingeführte Strafbarkeit solcher Feindeslisten sei: „Dieser öffentlichkeitswirksam eingeführte Paragraf macht erwartungsgemäß genau das nicht, was er angeblich soll, nämlich rechte Feindeslisten bekämpfen“, so Renner. „Dass die größte Bedrohung der Demokratie der Rechtsextremismus ist, scheint ein den Behörden abgerungenes Lippenbekenntnis zu sein, dem die Praxis bislang nicht folgt.“

Auch Opferverbände hatten bei der Einführung des Paragrafen beklagt, dass beim Schutz von Betroffenen weiter „gravierende Lücken“ blieben. Das Gesetz ziele allein auf die Bestrafung der Täter. Die Behörden seien weiter nicht verpflichtet, Betroffene zu informieren, wenn sie auf solchen Listen auftauchten. Sinnvoll wäre für diese auch eine automatische Auskunftssperre im Melderegister. Bisher aber bleiben die Betroffenen „schutzlos zurück“, so die Verbände.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.