Plädoyer im Prozess gegen Lina E.: Anklage gegen die Anklage

Im Prozess gegen die Linke Lina E. wegen Angriffen auf Neonazis plädiert die Verteidigung – und übt scharfe Kritik an Bundesanwaltschaft und Richtern.

Soli-Aktion für Lina E.

Solidarität mit Lina E. aus Berlin Foto: Stefan Boness/Ipon

DRESDEN taz | Ulrich von Klinggräff spart nicht an deftiger Kritik. Der Prozess habe eine „politische Justiz“ offenbart, die seine Mandantin Lina E. von Beginn an vorverurteilt habe, klagt der Verteidiger im Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch. Von „feindstrafrechtlichen Bezügen“ spricht er, von einem „unbedingten Verfolgungseifer“ und „Geschichtsblindheit“ der Bundesanwaltschaft. Die Angesprochenen, und auch Lina E., verfolgen das weitgehend ungerührt. Die Abreibung kommt nicht unerwartet.

Über die ganze Verhandlung hatte die Verteidigung harte Kritik an der Anklage geübt – und sie wiederholt sie nun am Mittwoch bei ihren Plädoyers im größten Prozess gegen militante Linksradikale seit Jahren. Die Bildung einer kriminellen Vereinigung und sechs schwere Angriffe auf Rechtsextreme von Oktober 2018 bis Februar 2020 in Leipzig, Eisenach und Wurzen wirft die Bundesanwaltschaft Lina E. und drei Mitangeklagten – Jannis R., Lennart A., Philipp M. – vor. Die 28-jährige Leipzigerin sei dabei Anführerin gewesen.

Seit anderthalb Jahren wird darüber in Dresden verhandelt, noch ein knappes Jahr länger sitzt Lina E. in U-Haft. Und die Bundesanwaltschaft betonte in ihrem Plädoyer, dass sie alle Anklagepunkte zumindest gegen die 28-Jährige für bestätigt erachtet. Sie forderten für sie acht Jahre Haft und für die Mitangeklagten bis zu drei Jahre und 9 Monate Haft.

Verteidiger von Klinggräff hält das für völlig überzogen. Er verweist auf den NSU-Prozess, wo der Mitangeklagte Ralf Wohlleben zehn Jahre Haft erhielt, für die Lieferung der Tatwaffe, mit der neun Menschen ermordet wurden. Und der Anwalt kritisiert nochmal die „absurden“ Sicherheitsvorkehrungen im Saal, den „polizeilichen Popanz“, die auch mediale „Verleumdung“ von Lina E. und ihre lange U-Haft. Der Prozess sei viel zu hoch gehängt und hätte genauso gut vor einem Landgericht verhandelt werden können, findet von Klinggräff.

Naziterror auf der Straße?

Dann wird der Verteidiger grundsätzlich. Die Bundesanwaltschaft sei offensichtlich eine Anhängerin der Hufeisentheorie, die links und rechts gleichsetze, was nach den Attentaten des NSU, Halle oder Hanau von „atemberaubender Ignoranz“ zeuge. Sie negiere völlig „die tägliche faschistische Gewalt in Deutschland“, die seit der Wende zu mehr als 200 Todesopfern führte, und das „enorme Versagen“ des Staates im Kampf dagegen, kritisiert von Klinggräff.

Gerade in Eisenach, wo zwei der Angriffe stattfanden, habe kein friedlicher Meinungskampf geherrscht, sondern „Naziterror auf der Straße“. Ein antifaschistisches Tatmotiv könnte damit ja auch strafmildernd gesehen werden, so der Anwalt. Die Bundesanwaltschaft aber sehe es strafverschärfend.

Und auch das Gericht kritisiert der Verteidiger. Auch dieses habe sich stets vor die Ermittler und vor die Bundesanwaltschaft gestellt. Und keine kritische Beweiswürdigung erkennen lassen. Kritik im Prozess sei immer nur an der Verteidigung geübt worden – selbst noch, als der Bundesanwaltschaft mit zwei Alibis nachgewiesen werden konnte, dass sie bei zwei Mitangeklagten zwei falsche Tatvorwürfe erhoben hatte.

Dann geht von Klinggräff auf die konkreten Taten ein und kritisiert eine „unfassbare Einseitigkeit der Beweiswürdigung“ und eine Beweislastumkehr. „Im Zweifel gegen die Angeklagten“, habe im Prozess gegolten. Obwohl alle Anklagepunkt auf Indizien oder „Mutmaßungen“ beruhten, verwende die Bundesanwaltschaft diese allesamt gegen die Angeklagten oder betreibe „Rosinenpickerei“. Immer wenn eine Frau am Tatort gewesen sein soll, soll es Lina E. gewesen sein. Immer wenn ihr bis heute untergetauchter Partner Johann G. dabei gewesen sei, sei es auch die 28-Jährige gewesen. Von einer „Bonnie&Clyde-Logik“ spricht von Klinggräff, die mit keinen Beweisen unterlegt sei.

Verteidigung fordert Freispruch

Auch die Aussagen einiger der angegriffenen Neonazis, die Lina E. belasteten, seien „schamlos gelogen“ gewesen, erinnert von Klinggräff. Ein früherer Szenekumpel von Lina E., der zum erweiterten Feld der Beschuldigten gehört und im Prozess plötzlich als Kronzeuge aussagte, habe nur Mutmaßungen geliefert. Noch dazu habe er unter Druck gestanden, „etwas liefern zu müssen“, um einen Strafrabatt zu bekommen. Mitverteidiger Erkan Zünbül verwirft die Indizien der Bundesanwaltschaft gleich in Gänze: „Ihre Anklage sind keine Asse. Und das Gericht darf sich auf solche Spiele nicht einlassen.“

Die Verteidigung von Lina E. fordert Freisprüche für fünf der sechs angeklagten Angriffe. Einzig die zweite Attacke in Eisenach, nach der Lina E. mit dem Mitangeklagten Lennart A. in einem Fluchtauto gefasst wurde, sieht Zünbül als Körperverletzung, aber nur als versuchte, weil der Angriff abgebrochen wurde, nachdem der Neonazi Leon R. ein Messer zog. Bei dem folgenden Angriff auf R.s Begleiter sei Lina E. dann nicht mehr beteiligt gewesen. Die Verteidiger beantragen dann auch noch die Haftentlassung von Lina E. Eine Fluchtgefahr, wie von der Bundesanwaltschaft behauptet, sei „absurd“.

Die Plädoyers sollen am Donnerstag fortgesetzt werden, ein Urteil wird für Mitte Mai erwartet.

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