Astrophysiker über Weltraumforschung: „Der nächste große Durchbruch“

In der Lausitz entsteht ein neues Großforschungszentrum. Direktor Günther Hasinger erklärt, was Sachsen mit Schwarzen Löchern zu tun hat.

Sternenhimmel über Deutschland, man sieht die Milchstraße

Für moderne Weltraumforschung muss es nicht nur klar, sondern auch still sein Foto: Robert Ruidl/Zoonar/picture alliance

In der Lausitz entsteht das Deutsche Zentrum für Astrophysik. Dafür hat der Weltraumforscher Günther Hasinger seine Verantwortung als Direktor für Wissenschaft bei der Europäischen Weltraumorganisation, kurz ESA, abgegeben. In ein paar Jahren könnte in der Lausitz auch ein Riesenteleskop gebaut werden – das Einstein-Teleskop. Hasingers Hoffnung ist, damit das Rätsel um die Entstehung des Universums zu lösen.

wochentaz: Herr Hasinger, Sie hätten eigentlich auch in Rente gehen können. Nun haben Sie sich entschieden, von Madrid nach Görlitz zu ziehen, um das Deutsche Zentrum für Astrophysik als Gründungsdirektor aufzubauen. Warum?

Günther Hasinger: Ich bin grundsätzlich ein rastloser Mensch und immer getrieben, etwas Neues zu machen. Als wir unseren Vorschlag bei dem Wettbewerb für Strukturwandel eingereicht haben, hat niemand damit gerechnet, dass wir uns gegen die vielen tollen Ideen durchsetzen würden. Aber dann hat es tatsächlich geklappt.

Es gibt unter meinen KollegInnen so viele Ideen für Forschungsarbeiten, für die die Lausitz als Standort perfekt wäre. Am Ende habe ich mich entschieden, meinen Lebensmittelpunkt nach Görlitz zu verlegen. Die Chance, ein komplett neues Projekt mit einer so großen Reichweite zu starten, bietet sich nur einmal im Leben.

Was ist an dem Forschungsprojekt in der Lausitz so wichtig?

Der 69-Jährige ist Gründungsdirektor des Zentrums für Astrophysik. Zuvor war er Wissenschaftsdirektor der ESA und leitete das Astronomie-Institut in Hawaii.

Es könnte den nächsten Durchbruch in der Weltraumforschung ermöglichen. Seit 30 Jahren suchen wir nach den Teilchen, aus denen Dunkle Materie gemacht ist. Die machen schätzungsweise 95 Prozent des Weltalls aus. Dunkel wird die Materie genannt, weil sie nicht sichtbar ist. Sie bildet die Substanz, die Galaxien und Galaxienhaufen zusammenhält und dafür sorgt, dass die Sterne nicht einfach ins All hinausgeschleudert werden.

Bisher ist das aber nur Theorie, bis heute haben wir nicht herausfinden können, woraus diese Substanz besteht. Mit dem Teleskop, das hoffentlich bald in der Lausitz gebaut wird, könnten wir Dunkle Materie endlich aufspüren.

Wie kann man sich Dunkle Materie genau vorstellen?

Darüber hat auch der britische Astrophysiker Stephen Hawking schon gegrübelt. Er hat sich unter Dunkler Materie winzige Objekte vorgestellt, die sich mit der Zeit auflösen. Meine bevorzugte Theorie ist dagegen, dass Dunkle Materie eigentlich riesige Schwarze Löcher sind. Das sind Objekte im Weltall, die alles verschlucken, was ihnen zu nahe kommt.

Einige von ihnen sind wohl unmittelbar nach dem Urknall entstanden, in einer extrem heißen und sich rasant ausbreitenden Ursuppe. Diese Schwarzen Löcher müssten mittlerweile entsprechend sehr große Massen haben. Die könnte man nachweisen, wenn wir ihre Gravitationswellen aufspüren.

Und was sind jetzt diese Gravita tionswellen?

Gravitationswellen sind ein Wackeln der Raumzeit. Sie entstehen, wenn eine Masse bewegt wird. Messbar werden sie aber nur bei riesigen Massen. Schwarze Löcher zum Beispiel, die können so viel wiegen wie mehrere Millionen Sonnen. Schwarze Löcher schlucken auch Licht, deshalb kann man sie nicht sehen. Lediglich die immer schneller um das Loch kreisenden Gasteilchen können wir wie einen Ring um das Loch erkennen.

Halt, stopp. Das klingt nach ganz schön viel abstrakter Physik. Wofür brachen wir dieses Wissen eigentlich?

Die Astrophysik verbindet Hightech und Kreativität. Ohne dass viele sich dessen bewusst sind, hat sie das Leben der Menschen in den letzten Jahren sehr geprägt. Ohne unsere Wissenschaft gäbe es keine Gleitsichtbrillen, keine Augenlaser, keine Cerankochfelder und kein drahtloses Internet.

Okay, das sind alles Dinge auf der Erde, aber was hat sich in unserem Wissen über das Universum getan?

Ganz viel! Wir wissen nun, dass die Milchstraße gar keine so flache Scheibe ist, wie wir einmal dachten. Sie sieht mehr wie eine dicke US-amerikanische Pizza aus. Auch wissen wir inzwischen, dass unsere Sonne gerade mit uns durch den Überrest einer Supernova fliegt und die meisten Sterne, die wir gerade sehen, aus dieser Sternenexplosion entstanden sind. Um zu solchen Erkenntnissen zu kommen, braucht es Großprojekte wie das DZA. Die Erforschung der Gravitationswellen könnte der nächste große Durchbruch sein.

Also sind Gravitationswellen schon mehr als bloße Theorie?

Genau, 2015 konnten wir Gravitationswellen messen, nachdem zwei Schwarze Löcher umeinander herumtanzten und sich schließlich unter großem Getöse vereinigten. Die dadurch entstandenen Gravitationswellen stauchten und streckten die Raumzeit derart, dass man das auch auf der Erde messen konnte.

Die Form der Welle verrät uns zudem nicht nur, dass da etwas ist, sondern auch, woher es kommt und wie lange die Welle schon unterwegs ist. Anhand von Gravitationswellen könnte man also auch feststellen, ob ein Schwarzes Loch kurz nach dem Urknall entstanden ist oder später.

Damit das besser erforschbar wird, wollen Sie ein Riesenteleskop in die Lausitz bauen: das Einstein-Teleskop. Was hat es damit auf sich?

Bislang waren Gravitationswellen-Detektoren in langen Vakuumröhren untergebracht, die auf der Erdoberfläche stehen. Es gibt welche in Hannover, in Pisa, in Japan und in den USA. Die nächste Generation dieser Teleskope ist so hochempfindlich, dass man sie unter die Erde bringen muss, wo Störungen möglichst klein sind. Dafür wäre die Lausitz der perfekte Ort.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Und wie funktioniert das Teleskop genau?

Das Einstein-Teleskop ist ein Dreieck mit einer Kantenlänge von 10 Kilometern. In seinen Seiten werden mit Spiegeln mehrere tausendmal Laserstrahlen hin- und hergeschickt. Bei Erschütterungen ändern sie ihren Kurs minimal. Die Messunterschiede sind zehntausendmal kleiner als Protonen in einem Atomkern. Solche Unterschiede deuten dann auf Gravitationswellen hin.

Und so ein Teleskop wird am beziehungsweise unter dem Deutschen Zentrum für Astrophysik gebaut?

Das steht noch nicht fest, entschieden wird das frühstens in drei Jahren. Es bewerben sich auch andere Orte um den Bau: an der niederländischen Grenze bei Maastricht und auf Sardinien zum Beispiel. Die Chancen dafür, dass es in der Lausitz gebaut wird, stehen aber gut. Die sitzt nämlich auf einem ungebrochenen Granitstock von 20 Kilometern Länge.

Dort unten gibt es kaum akustische Störungen. Unsere Testbohrungen in 250 Meter Tiefe haben gezeigt, dass das Einstein-Teleskop hier optimal arbeiten könnte. Die Erde schreit förmlich danach, für Weltraumforschung genutzt zu werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.