Luisa Neubauer über die Klimabewegung: „Wir sind in einem Kulturkampf“

Klimaaktivistin Luisa Neubauer über die UN-Klimakonferenz, Greta Thunberg und die Frage, warum Klimapolitik in Deutschland so zäh ist.

Luisa Neubauer auf einer Schaukel.

Luisa Neubauer bei Fotoshooting mit der taz auf einem Spielplatz in Berlin Foto: Doro Zinn

wochentaz: Frau Neubauer, was genau erwarten Sie von der COP, der UN-Klimakonferenz, die nächste Woche beginnt?

Luisa Neubauer: Die COP wird nicht der Ort werden, an dem wir einen Weltfrieden organisieren. Die COP hat es schwer genug, und in der jetzigen Situation würde ich es als freundliches Wunder bezeichen, wenn wir da einigermaßen gesammelt wieder rauskommen als Klimabewegung und als ökologische Zivilgesellschaft. Und wenn wir es schaffen, das Ende der fossilen Ära etwas näher bringen und uns weltweit im besten Falle klarer in die Augen gucken können, als wir es gerade tun.

Sie sagten im Spiegel, wenn die internationalen Klimabewegungen bei der COP das palästinensische Leid ins Zentrum der Debatten stellten, dann würden die Deutschen das jüdische Leid und den Terror der Hamas dazufügen. Ist diese klimaaktivistische Lage nicht deprimierend?

geboren 1996, ist Klimaschutzaktivistin bei Fridays for Future.

Nein. Ich bin ja nicht Aktivistin, weil ich von Selbstmitleid viel halte. Es wird viel um die Situation in Gaza gehen und es ist hochproblematisch, dass international der Eindruck erweckt wird, Deutschland würde sich nicht angemessen dafür interessieren, wie in Gaza Zivilisten geschützt werden können. Wenn das vor Ort ein Thema ist, ist es auch ein sinnvoller Beitrag, den wir zur Vervollständigung des Bildes leisten können, den Terror der Hamas zu erwähnen.

Wie bewerten Sie das Jahr 2023, was Menschenschutz angeht, früher Klimaschutz genannt?

Es ist ein Jahr der Ehrlichmachung. Dieses Jahr hat nichts versteckt an Krise und hat Wohlfühllösungen als Wohlfühllösungen offengelegt. Dieses Jahr hat gezeigt, dass die Zeit der Einzelkrisen vorbei ist, sie kommen in Dreifachpaketen, in Form von kriegerischen Konflikten, Energieknappheiten, Rechtsrucken. Wir haben gesehen, dass das Sprechen über Klima die Fragen beinhaltet, wie man die Demokratie schützt vor Populismus. Wir haben gesehen, dass diejenigen, die jetzt nicht losziehen und Ansagen machen, Ansagen gemacht bekommen von den Krisen und Katastrophen. Ich glaube, es ist ein Jahr, in dem wir unfreiwillig enger zusammengerückt sind.

Nicht auseinandergerückt?

Nein, das hat mit der Pandemie angefangen, auf einmal waren wir alle ein Infektionsherd, eine biologische Gemeinschaft. Jetzt sind wir auf eine andere Weise Teil einer Gemeinschaft, die sich mit der Invasion Russlands in der Ukraine und nun der Lage im Nahen Osten Fragen von Krieg und Frieden stellen muss und aufeinander angewiesen ist, um eine Chance haben, da durchzukommen. In immer mehr Bundesländern sieht man, wie auf einmal das gesamte demokratische Spektrum zusammenrücken muss, um eine Chance zu haben, gegen Rechtsextreme zu bestehen. Man kann die Zeit als Weltenbruch verstehen. Wenn man jedoch genau hinguckt, folgt überall eine Gemeinschaftsbildung, mal leiser, mal lauter. Meistens eine zwangsläufige Gemeinschaftsbildung.

Ein Jahr, in dem auch die klimabedingten Katastrophen weiter zugenommen haben, hätte auch für die Bundesregierung eine Chance sein können, Klimapolitik zu forcieren, zu begründen und mehrheitsfähig zu machen. Stattdessen wurde Klimapolitik von fast allen Seiten als Katastrophe geframt und abgeräumt. Wie ist das passiert und was folgt daraus für Sie?

Portrait von Luisa Neubauer.

„Greta ist auch eine Projektionsfläche für eine Medienwelt“, sagt Luisa Neubauer Foto: Doro Zinn

Wenn wir mal für eine Sekunde annehmen, dass es nie ums Klima und Moleküle ging, sondern immer auch um Demokratie, Macht, Gefühle und Kultur, dann sind wir sofort an dem Punkt, dass man als Kanzler oder sagen wir Vizekanzler die besten Argumente für das beste Gesetz der Welt haben kann, aber gegen Wände läuft, wenn man keine Geschichte dafür hat, wie uns das als Land an einen besseren Ort bringt. Wir haben auch gesehen, was passiert, wenn Klima als Nischenprojekt eines einzelnen Ministeriums verstanden wird oder gar als Privatprojekt von Robert Habeck. Da steckt ein Teufelskreis der Ampel drin.

Welcher ist das?

Wenn du den dramatischen Zustand unseres ökologischen Systems politisch anerkennen willst, brauchst du große und unglaublich gute Lösungen. Wenn du aber keinen Konsens in der Regierung hast und nur halbgare Lösungen, von denen du weißt, dass sie dem Zeitdruck, unter dem wir im Klimakollaps stehen, eigentlich nicht gerecht werden, dann kannst du die Drastik der Lage nicht vermitteln. Wenn du die Krise verzwergst, musst du auch die Lösungen verzwergen, sonst geht das nicht auf.

Und dann sind auch die halbgaren Lösungen zu viel?

Ja, weil du die Krise so verzwergt hast. Dann nimmt dir niemand ab, dass er selbst in seinem privaten Keller oder an seiner Ernährung etwas machen muss.

Spiegelt die Zerrissenheit der Regierung nicht die Zerrissenheit der Gesellschaft?

Nein. Was in der Ampel passiert, lässt sich nicht mit dem Zustand der Gesellschaft rechtfertigen. Es gibt in Deutschland bis heute eine große Mehrheit, die sagt, natürlich müssen wir uns und unsere Kinder schützen und unserer internationalen Verantwortung gerecht werden. Und es gibt eben auch große Anteile, die eine legitime Angst haben, dass das für sie soziale Nachteile bringt. Das sind geradlinige Arbeitsaufträge.

Was sind die Konsequenzen aus dieser Analyse für Ihre eigene Politik?

Wir machen das jetzt als Fridays fünf Jahre und haben dafür gesorgt, dass fast jede Institution und jede demokratische Partei etwas zum Klima zu sagen hat und keine Debatte mehr ohne Verweis auskommt auf die existentielle ökologische Krise. Die Ziele sind gesetzt. Wir haben alle Bedingungen erfüllt, um theoretisch unseren Klimazielen gerecht zu werden. Wir haben technisch bewiesen, dass es geht. Wir haben die Geschäftsmodelle. Theoretisch hätte man auch die Finanzmittel, das wird mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes jetzt schwieriger, aber auch das geht.

Aber?

Der große Haken ist die gesellschaftliche Machbarkeit. Was braucht es, um substanziell Rückhalt zu organisieren für eine Transformation? Wie wird gerechte Klimapolitik zu einem neuen Versprechen für sozial-ökologische Sicherheit? Darum geht es. Jetzt ist der Augenblick, wo die Fridays von einer Klima- zu einer Klimagesellschaftsbewegung werden müssen.

Mal uncharmant gefragt: Die Erfolgsgeschichte von Fridays for Future (FFF) ist unbestritten, aber ist denn da heute überhaupt noch jemand hinter Ihnen?

Klimaaktivistin Luisa Neubauer

„Die Mediengesellschaft hat leichte Atttachment Issues mit Greta.“

Ich weiß nicht, ob das auf so ein Politiker-Ego-Mythos zurückgeht, dass Menschen annehmen könnten, ich könnte das, was ich tue, mal eben aus eigener Kraft heraus tun. Damit meine ich nicht das Organisieren, das ist eh klar, dass das nicht allein geht. Ich meine das Sprechen, das Übersetzen, das Beschimpft- und Bedrohtwerden. Ich könnte hier nicht sitzen, wenn ich nicht Teil einer Gemeinschaft wäre, die mit mir zusammen diese Sachen macht. Das wäre nicht aushaltbar, zumindest für mich nicht, ohne zynisch zu werden oder emotional zu vereinsamen.

2023 ist das Jahr, in dem von interessierten Seiten erst die Klimapolitik in der Folge des Gebäude-Energie-Gesetzes desavouiert wurde und auch noch mit der des Antisemitismus geziehenen Fridays for Future-Gründerin Greta Thunberg die Klimamoral.

Das ist Ihre Wahrnehmung.

Was ist Ihre?

Was gescheitert ist, ist Klimapolitik als Nischen- und Business-as-usual-Politik. Die Idee ist aufgeflogen, dass man einen Sondertopf zusammenschustert, mit dem man ein bisschen grüne Wirtschaftsförderung macht. Die Idee ist aufgeflogen, man könne eine Gesellschaft transformieren, ohne dass die etwas davon weiß. Das ist dramatisch, weil uns die Zeit fehlt, aber wir haben immerhin in aller Klarheit gesehen, wie es nicht funktioniert.

Sehen Sie den Verlust der Klimamoral, für die Thunberg stand?

Da würde ich unterscheiden zwischen einer Mediengesellschaft, die in meinen Augen leichte Attachment Issues mit Greta hat und einer Zivilgesellschaft, die selbstbewusst für ihre eigene Moral einsteht.

Was meint ‚Attachment Issues‘ mit Thunberg?

Ich möchte überhaupt nicht rechtfertigen, dass jüdisches Leid von Greta nicht erwähnt wurde. Aber Greta ist auch eine Projektionsfläche für eine Medienwelt, die in ihr lange gesucht hat, was kein Mensch sein kann. Und nun ist diese Medienwelt entgeistert, dass Greta das, was sie nie sein wollte, auch nicht ist. Diese Dynamik verstehe ich nicht als mein Problem.

Um es in der „Mit dem Klima kann man nicht verhandeln“-Logik zu sagen: Die Erderhitzung ist nicht durch eine richtige Sprechposition beeinflussbar, sondern nur durch globale Nullemissionen. Was halten Sie davon?

In Deutschland verstehe ich den Wunsch, sich auf Emissionen zu konzentrieren und sich die ganzen Widrigkeiten der Welt nicht auch noch auf die Schultern zu legen. Das hat auch eine politisch-pragmatische Berechtigung. In weiten Teilen des Globalen Südens und auch sonst in der Welt verhalten sich Krisen anders. Da können nur die frei über Klima sprechen, die vorher für Demokratie und Meinungsfreiheit gekämpft haben. Das ist alles eins und da sind Emissionen ohne Haltung undenkbar. Die große Frage für den privilegierten Teil der Welt lautet: Wie stehen wir denen bei, die unseren Beistand brauchen, und vergessen gleichzeitig nicht, dass auf der richtigen Seite zu stehen nicht reicht, wenn wir gewinnen wollen?

Wie hat sich aus der Rückschau die Letzte Generation auf die Arbeit von FFF ausgewirkt?

Die Letzte Generation steht vielleicht sogar etwas sinnbildlich für die Gesamtsituation. Die dachten, die Fridays haben den gesellschaftlichen Rückhalt organisiert und nun können wir in ganz kurzer Zeit viele Menschen überzeugen, weitere Schritte zu gehen, indem wir uns auf die Straße kleben. Das ist nicht aufgegangen.

Warum nicht?

Der Augenblick, in dem man sich darauf ausruhen will, dass es „die Leute“ ja „schon wissen“, ist genau der Augenblick, in dem sich der Populismus der fossilen Zyniker mit an den Tisch setzt. Auch bei der Klimapolitik dachte man, die Überzeugungsarbeit sei geleistet und nun könne man loslegen. Wenn man eine Sekunde aufhört, zu sprechen und zu erklären, ist das Momentum weg. Man darf aber auch nicht vergessen: Es kam Corona, es kam Krieg in Europa und dann auch noch, womit ich nicht gerechnet habe, ein Kanzler …

… Olaf Scholz, SPD …

… der sich als Klimakanzler zur Wahl stellt und mit Amtsantritt das Klima ganz hinten in seine Schublade legt und den kleinen Koalitionspartner im Regen stehen lässt.

Hat die Letzte Generation auch FFF die Luft abgedreht, weil die positive und gemeinsame Geschichte in eine negative und polarisierende kippte?

Nein, die positive Geschichte ist ja da, die haben wir geschrieben. Die Geschichte handelt von einer Bewegung, die Generationen und Kontinente für die schlimmste aller Krisen begeistert, die das beste in Menschen hervorholen kann.

Sehr blumig.

Das ist die Geschichte, die wir brauchen, um uns nicht einreden zu lassen, dass es unmöglich ist, nur weil andere anderes probiert haben. Das Jahr 2019, das Jahr von explosiven Massenprotesten, einer Klima-Europawahl, einem Green Deal für Europa, dem ersten Klimagesetz, einem greifbaren Kohleausstieg, Divestment überall, alles in kürzester Zeit, das war eine historische Ausnahme, das war nicht, wie Bewegungen normalerweise kämpfen müssen. Genau das tun wir.

Was heißt denn das konkret?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Man darf sich nicht für eine Sekunde einbilden, dass wir schlicht in einem technokratischen Transformationsprozess sind. Wir sind in einem Kulturkampf am Ende der fossilen Ära. Die fossilen Zyniker, ob in der Politik, in der Gesellschaft oder in der Wirtschaft, die Klimaziele boykottieren, die Angst vor Wärmepumpen statt vor Klimakrisen verbreiten, die mit jedem Schnitzel einen Freiheitskampf führen, haben in diesem Jahr deutlich gemacht, dass wir eben nicht in einem kleinen Umbau sind, von fossilem Stahl zu grünem Stahl und drumherum ein bisschen Fahrradstraße. Die haben sehr deutlich gemacht, dass sie ihr Widerstandsprojekt darin sehen, jede einzelne fossile Maschine zu beschützen, als ginge es um alles. Ist das rational: Nein. Ist das verantwortungslos: Ja. Wir müssen anerkennen, dass wir nicht in einem WG-Ökoprojekt sind, sondern in einen Rocky-Modus reinmüssen.

Was ist das?

Wir müssen gewinnen wollen. Es braucht die beste Strategie, die besten Leute, die beste Politik, es braucht alle Kraft, Widerstandsenergie und auch dreckige Finger.

Weil Sie vom Rocky-Kampfmodus sprechen: In einem Zeit-Interview haben Sie dafür plädiert, „sanft“ zu sein. Wie passt das zusammen?

Die Welt ist gerade nur sehr bedingt unserer Freund, die Krisen der Welt sind nicht nachsichtig mit uns. Deswegen müssen wir die Nachsicht in uns selbst mobilisieren. Das heißt, in uns eine Wärme zu erhalten, die uns die Kraft gibt, uns der Welt nicht zynisch zuzuwenden. Wenn wir in dieser Lage nicht Empathie für uns selbst organisieren können, dann stelle ich mir schwierig vor, Empathie für Menschen an anderen Orten zu mobilisieren.

Nachsicht mit sich selbst könnte auch nach Niederlage klingen.

Nein. Nachsicht heißt nicht, sich eine Entschuldigung dafür zu suchen, nichts zu tun, sondern zu akzeptieren, dass wir nicht alles tun können, aber etwas tun müssen. Es heißt, sich nicht entmutigen zu lassen von Fehlern, sondern das als Grundlage zu nehmen, es besser zu machen. Die Idee eines inneren Friedens braucht eine Renaissance, sonst weiß ich nicht, wie wir künftig frei sein wollen, uns in der Welt zu bewegen.

Wie lange wollen Sie eigentlich noch als Funktions- und amtlose Aktivistin weitermachen, Frau Neubauer?

So lange es gebraucht wird.

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