Israel-Gaza-Krieg: Wie es weitergehen könnte

Wie wird in Israel über den Krieg in Gaza diskutiert? Was sind die Ziele der Bodenoffensive? Und was will Iran? Fragen und Antworten zum Nahost-Krieg.

Yoaw Gallant spricht mit Mikrofon zu einer Gruppe Soldaten

„Ihr werdet Gaza bald von innen sehen“: Israels Verteidigungsminister Yoaw Gallant spricht mit ­israelischen Soldaten Foto: Ronen Zvulun/reuters

Welche Folgen haben die Bilder des getroffenen Krankenhauses in Gaza?

Die Explosion auf einem Krankenhausgelände in Gaza-Stadt war der mutmaßlich blutigste Vorfall im Gazastreifen seit Beginn des israelischen Bombardements am 7. Oktober. Wer die Verantwortung dafür trägt, ist weiterhin nicht geklärt. Palä­sti­nen­sische Zi­vi­lis­t*in­nen hatten auf dem Gelände des Al-Ahli-Krankenhauses Schutz vor Bomben gesucht.

Doch das Narrativ ist gesetzt. Für viele Menschen in Gaza steht außer Zweifel, dass es die israelische Armee war, die das Krankenhaus bombardierte. Dass diese dies abstreitet, aber auch dass unabhängige Analysten Hinweise auf eine fehlgeleitete Rakete der Terrororganisation Islamischer Dschihad sehen, scheint keine Rolle zu spielen. In Gaza gaben sich Kontakte der taz überzeugt, dass Israel die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen aus dem Küstenstreifen vertreiben wolle. Viele zogen Vergleiche zur Flucht und Vertreibung im Zuge der Staatsgründung Israels 1948. In der aktuellen Situation ist das vermeintlich israelische Blutbad im Al-Ahli-Krankenaus für viele ein weiterer Beleg für diese Deutung.

Wie wird in Israel über den Gazakrieg diskutiert?

Seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober hat sich die israelische Gesellschaft auf Krieg eingestellt. Die Öffentlichkeit unterstützt den Krieg weitgehend und steht auch hinter dem Ziel der „Zerstörung der Hamas“, das die mit der Opposition geschlossene Kriegsregierung unter Benjamin Netanjahu ausgegeben hat. 360.000 Re­ser­vis­t*in­nen hat die Armee mobilisiert. Viele, die nicht selbst zur Waffe greifen, beteiligen sich als Rettungskräfte, Freiwillige oder mit Spendensammlungen.

Stimmen, die ein Ende der Angriffe auf den Gazastreifen fordern, sind rar. Doch es gibt sie, selbst unter den Angehörigen der Opfer. Neta Heiman etwa, deren Mutter von der Hamas verschleppt wurde, forderte öffentlich, Gaza nicht zu zerstören. Auch Yaakov Argamani, dessen Tochter in Gaza festgehalten wird, sagte der Zeitung Ha’aretz: „Auch in Gaza haben Väter jetzt Angst um ihre Kinder.“

Je länger der Krieg dauert, je mehr Israelis im Falle einer möglichen Bodenoffensive sterben, desto stärker könnte die Unterstützung schwinden. Eine Debatte nimmt schon jetzt an Fahrt auf: Was soll mit Gaza und seinen mehr als 2 Millionen Ein­woh­ner*­in­nen nach dem Krieg passieren?

Was könnten die Ziele einer Bodenoffensive sein?

Israel hat zwei Ziele benannt: die Hamas zerstören und die rund 200 Geiseln aus Gaza befreien. Dass beide möglicherweise in Widerspruch zueinander stehen, also eine Bodenoffensive die Geiseln in Gefahr bringen würde, könnte eine Erklärung dafür sein, dass bislang keine Bodentruppen einmarschiert sind. Aber Israels Regierung bleibt dabei: „Ihr seht den Gazastreifen noch aus der Ferne, aber bald werdet ihr ihn von innen sehen“, sagte Verteidigungsminister Joaw Galant vor Soldat*innen.

Die USA scheinen Israel von einer Bodenoffensive abhalten zu wollen. US-Präsident Joe Biden warnte Israel, nicht die Fehler zu wiederholen, die sein Land im Antiterrorkampf gemacht habe – eine erstaunlich selbstkritische Anspielung auf die Kriege in Afghanistan und Irak. Be­ob­ach­te­r*in­nen warnen, dass eine Bodenoffensive kostspielig werden würde, auch für Israel. Der Gazastreifen ist dicht besiedelt und die Hamas könnte auf Guerillataktiken setzen.

Netanjahu stand seit Monaten wegen des geplanten Justizumbaus in der Kritik. Nützt ihm die jetzige Eskalation?

In diesem Krieg halten die Israelis zusammen. Die Reserveoffiziere, die ihren Dienst angesichts des geplanten Staatsumbaus verweigert hatten, sind zurück. Doch das Scheitern von Geheimdienst, Armee und Regierung war so groß, dass das Vertrauen in Netanjahu und seine Regierung implodiert ist. Netanjahus Partei Likud würde einer Umfrage zufolge derzeit nur 19 Sitze gewinnen statt der 32, die sie derzeit im Parlament hat. 59 Prozent der Befragten gaben an, der Kriegsführung der Regierung nicht zu trauen.

Netanjahus Beliebtheit hängt von der Entwicklung des Kriegs ab. Sollte es ihm gelingen, die Hamas abzulösen und zudem möglichst viele der israelischen Geiseln zu befreien, könnten seine Beliebtheitswerte steigen. Wahrscheinlich ist das nicht. Dass Netanjahu wegen fehlender Unterstützung zurücktritt, daran glaubt allerdings auch niemand.

Droht auch eine Eskalation im Westjordanland? Hat Mahmud Abbas, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, dort noch die Kontrolle?

Seit der Explosion im Al-Ahli-Krankenhaus kommt es im Westjordanland zu Protesten. Zehntausende Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zogen etwa in Ramallah, Bethlehem, Hebron und Dschenin auf die Straßen. Die Proteste richteten sich gegen die Bombardements, aber auch gegen Abbas. Er wird seit Langem für seine Zusammenarbeit mit Israel in Sicherheitsfragen kritisiert. Abbas hat in der Bevölkerung kaum noch Unterstützung, doch seine Sicherheitskräfte riegeln gemeinsam mit Israels Militär zahlreiche Straßen ab, sodass die meisten Menschen ihren Wohnort nicht verlassen können. Die Demonstrationen versuchen sie zu unterbinden.

Welche Rolle spielt die Hisbollah?

Die schiitische, mit Iran eng verbundene Miliz sitzt im Libanon und agiert dort als „Staat im Staat“. Sie unterhält sowohl einen Parteiflügel, der auch Teile der Regierung stellt, als auch eine Miliz. Laut dem Militäranalysten Joseph Shelzi ist die Organisation für Israel die deutlich größere Bedrohung. „Die Hisbollah ist besser finanziert, besser ausgebildet, besser ausgestattet. Sie kann sich – im ­Gegensatz zur Hamas in Gaza – relativ frei bewegen.“ Die Hisbollah muss aber im Kontext der Innenpolitik des Libanons agieren. Diese ist stark konfessionell beeinflusst. Vor allem schiitische oder mit der Hisbollah verbündete Gruppen haben ihre Unterstützung für den „Widerstand der Palästinenser“ ausgedrückt. Doch die christlichen Parteien Lebanese Forces (LF) und Kata’eb sowie sunnitische Vertreter sind zurückhaltender: „Was in Gaza passiert, sollte in Gaza bleiben“, sagte etwa ein Sprecher der LF. Selbst Irans Außenminister Hossein Amir-Abdollahian gab sich bei seinem Besuch vergangene Woche in Libanon gemäßigt: Es sei wichtig, die „Ruhe im Land“ zu bewahren. Er sagte aber auch: Die USA müssten Israel „unter Kontrolle bekommen“, wenn ein Krieg in der Region vermieden werden wolle. Noch hält sich die Gruppe zurück – relativ gesehen. Immer wieder feuern sie Raketen auf Nordisrael, das dann wiederum einige ­Dörfer im Südlibanon bombardiert.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Wie könnte ein Flächenbrand entstehen? Droht ein Krieg zwischen Iran und den USA?

Das Schlüsselelement einer über die Hamas und Israel hinausgehenden Eskalation sind die iranischen Stellvertretermilizen, die Israel von Norden, Süden und Osten umgeben. Im Westjordanland und in Gaza sind jeweils sowohl die Hamas als auch der ebenfalls eng mit Iran verbundene Palästinensische Islamische Dschihad aktiv. An der Nordgrenze im Libanon sitzt die Hisbollah, auch in Syrien ist die Miliz vertreten. Im Irak sind ebenfalls mit Iran eng verbundene Milizen aktiv. Selbst die proiranischen Huthi-Rebellen im Jemen sollen über Raketen verfügen, die bis auf israelisches Gebiet reichen sollen. Der Iran nennt seine in der Region verteilten Milizen die „Achse des Widerstands“.

Ein gemeinsamer Angriff dieser Achse ist denkbar. Die Frage ist: Entscheiden die Milizen alleine oder müsste ein Befehl aus Iran erfolgen? Das Bündnis zwischen der Hisbollah und der Islamischen Republik Iran basiert auf religiöser Autorität. Die Hisbollah und andere Milizen müssen sich den Entscheidungen eines Klüngels schiitischer Juristen unterordnen, denen Irans oberster Führer Ali Chamenei vorsitzt. Zumindest in der Theorie ist es also so, dass Iran die oberste Entscheidungsmacht hat. Iran ist geschwächt durch westliche Sanktionen, eine strauchelnde Wirtschaft und innenpolitische Konflikte. Ob sich die Islamische Republik einen solchen Flächenbrand rein finanziell leisten kann, ist fraglich.

Wie könnte eine Lösung aussehen? Was sind Szenarien für die Zukunft?

Was nach dem Gazakrieg und einer möglichen israelischen Bodenoffensive folgt, ist völlig offen. Würde Israel im Falle eines Einmarschs aus dem Gazastreifen wieder abziehen? Oder würde es das Küstengebiet besetzt halten, um Terror zu unterbinden? Würden sogar Blauhelmsoldaten Israel dabei unterstützen? In jedem Fall dürfte die Hamas deutlich geschwächt aus dem Krieg hervorgehen, das Leid in Gaza und der Hass der Menschen auf Israel werden aber noch größer werden.

Der Friedensprozess müsste wiederbelebt werden, allerdings sind die Ausgangsbedingungen so schlecht wie selten zuvor. In den letzten Jahren ist auf regionaler Ebene Dynamik in den Konflikt gekommen. Im Rahmen des Abraham-Prozesses haben arabische Staaten ihre Beziehungen zu Israel normalisiert. Zuletzt stand sogar zur Debatte, ob Saudi-Arabien und Israel einen Freundschaftsvertrag unterzeichnen.

Das ist ein Hoffnungsschimmer, auch wenn der von den USA unterstützte Prozess einen Konstruktionsfehler hat: In der Annahme, dass der Israel-Palästina-Konflikt weiter militärisch gemanagt werden könne, betrieben Israel und die arabischen Staaten ihre Annäherung an den Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen vorbei. Das Ziel einer sehr unwahrscheinlichen Zweistaatenlösung wurde lediglich als Lippenbekenntnis hochgehalten. Dennoch: Die Annäherung eröffnet Spielräume. Es führt kein Weg daran vorbei, diese zu nutzen und die Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen irgendwie mit ins Boot zu holen.

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