Nahost-Krieg in der virtuellen Welt: Folgenreiche Schlacht der Narrative

Die orchestrierte Verbreitung gewaltvoller Bilder und Videos aus dem Nahost-Krieg im Netz schürt Hass. Der entlädt sich ganz real auf den Straßen.

Ein Mädchen mit seinen Habseligkeiten neben ausgebrannten Autos in Gaza

Videos und Bilder zerstören nicht, aber Raketen, wie hier, nahe dem Krankenhaus Al-Ahli Arab Foto: Ali Jadallah/Anadolu Agency/picture alliance

Die Wahrheit stirbt zuerst im Krieg. Ein simpler Satz, der am Dienstagabend erneut fürchterliche Gewissheit wurde. Eine Rakete schlägt am Baptistenkrankenhaus Al-Ahli Arab in Gaza ein – und die Hamas-Propaganda zeigt nahezu in Echtzeit ihre aggressiven Folgen. Nur kurze Zeit nachdem die Explosion bekannt wurde, verbreiteten Hamas-Anhänger Bilder über TikTok und andere soziale Medien. Israel massakriert die unschuldige Zivilbevölkerung, so lautet das Narrativ.

Und dann brennt es. Im Westjordanland, in Amman, in Beirut, in Berlin-Neukölln gehen Hamas-Unterstützer:innen auf die Straße, lassen ihrer Wut freien Lauf. In Berlin-Mitte wird ein Brandanschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus verübt. Keine Rolle spielt, wer eigentlich verantwortlich ist für die Explosion am Krankenhaus, ob es eine fehlgeleitete Hamas-Rakete war oder eine Bombe der israelischen Armee. Egal ist an diesem Abend auch, wie viele Opfer es eigentlich gibt. Der virtuelle Informationskrieg ist in vollem Gange – mit fatalen Folgen.

Am gleichen Abend will Bundeskanzler Olaf Scholz nach einem Solidaritätsbesuch in Tel Aviv nach Kairo aufbrechen. Die Maschine kann nicht starten: Raketenalarm. Der Kanzler wird an einen sicheren Ort geleitet, die Delegation inklusive Jour­na­lis­t:in­nen muss sich auf dem Rollfeld des Flughafens Ben Gurion auf den Boden legen. In unmittelbarer Nähe fliegen die Raketen gen Himmel. Auch dazu gibt es Bilder, die rasend schnell im Netz kursieren. Und sie zeigen: Israel ist verletzt und verletzbar. Daran kann auch kein Staatschef der Welt auf Besuchsmission etwas ändern.

Der Krieg zwischen Israel und der Terrorgruppe Hamas manifestiert sich – auch – in der virtuellen Welt. Wer ist schuld? Wer ist Opfer, wer Täter? Menschen sterben nicht durch Bilder, sondern durch Raketen. Aber die orchestrierte Verbreitung von brutalen Videos mit Toten und Verletzten schürt Hass, der sich dann auf den Straßen anderenorts in reale Gewalt verwandelt.

Hamas-Kanäle auf Telegram gesperrt

Das Bundeskriminalamt konnte nun erwirken, dass Hamas-Kanäle auf Telegram zumindest in Deutschland gesperrt werden. Dies ist ein Erfolg für die Behörden, sitzt der Besitzer des Online-Kanals doch in Dubai und schert sich entweder gar nicht oder nur sehr wenig um Forderungen aus dem Ausland. Doch die gefühlten Wahrheiten und Gerüchte, die küchenfertig den jeweiligen Zielgruppen serviert werden, sind nur schwer zu bändigen.

USA, Deutschland, EU: Die Diplomatie hinkt im Krieg der Informationen verzweifelt hinterher. Was bleibt, ist nur die Forderung nach sorgfältiger Aufklärung der Geschehnisse. Doch die kommt ziemlich sicher zu spät.

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Schreibt seit 2016 für die taz. Themen: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklungszusammenarbeit, früher auch Digitalisierung. Seit März 2024 im Ressort ausland der taz, zuständig für EU, Nato und UN. Davor Ressortleiterin Inland, sowie mehrere Jahre auch Themenchefin im Regie-Ressort.

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