Kommentar Lkw-Anschlag in Israel: Jerusalem ist nicht Berlin

Terror ist Terror ist Terror – doch wenn Israels Premier Benjamin Netanjahu Jerusalem mit Berlin vergleicht, entzieht er sich seiner Verantwortung.

Menschen in Uniform, im Hintergrund Jerusalem

Sicherheitskräfte am Tatort am Sonntag. Netanjahu macht den IS für den Anschlag verantwortlich Foto: reuters

Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Lastwagenanschlägen in Jerusalem und Berlin ist augenscheinlich. Beide Male lenken Terroristen ihre Fahrzeuge in eine Menge ahnungsloser Ausflügler, um kaltblütig möglichst viele Menschen zu ermorden.

Mit Vorsicht ist dennoch der Hinweis von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zu genießen, der Attentäter in Jerusalem sei, genau wie der in Berlin, Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat gewesen.

Für den Palästinenser Fadi Al Kunbar mag der Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche Inspiration gewesen sein. Sein Motiv war indes ein anderes als das von Anis Amri.

Den einen trieb einzig der Hass auf alle, die nicht an seinen Allah glauben, und die sich nicht an die Regeln des Islam halten, so wie er ihn interpretiert. Anis Amri war Gast in Deutschland.

Während der eine wahllos Zivilisten mordete, um sich dann auf die Flucht zu begeben, zielte der andere auf Soldaten und nahm in Kauf, selbst sterben zu müssen.

Ein Umfeld, in dem Terror ehrenhaft ist

Wäre Al Kunbar mit seinem Lastwagen nur ein paar Minuten früher an der Promenade vorbeigefahren, an der die Offiziersanwärter einen Zwischenstopp machten, dann hätten seine Kinder noch einen Vater, und die vier jungen Soldaten würden heute nicht unter die Erde kommen.

Während Amri seinen Anschlag plante, handelte Al Kunbar offenbar spontan und unter dem Einfluss eines gesellschaftspolitischen Umfeldes, für das Terror in Teilen nicht nur legitim, sondern ehrenhaft ist – weil es gilt, die Besatzung und damit einhergehende Ungerechtigkeit zu bekämpfen.

Terror ist Terror ist Terror, und die Mütter und Väter der vier toten Soldaten interessiert die Motivation des Mörders wenig. Für die Politik birgt die Tatsache, dass es Gründe gibt für die Verzweiflung, die Palästinenser zu Selbstmordanschlägen motiviert, eine Chance.

Anstatt dem Terror konstruktiv zu begegnen, entzieht sich Netanjahu seiner Verantwortung, wenn er ein Bild von Jerusalemern und Berlinern malt, die im gleichen Boot sitzen.

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1961 in Berlin geboren und seit 2021 Co-Leiterin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.

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