Nominierte 2005: Peter Röder: Aus Notwehr in den Widerstand

Peter Röder will mit aller Kraft verhindern, dass Chemiekranke als Simulanten abgestempelt werden.

Vom Autodidakten zum Experten: Peter Röder setzt sich für Chemiekranke ein Bild: Andrea Baumgartl

Ein Mann wie ein Baum, zwei Meter groß und breit. Die Fülle, sagt Peter Röder, kommt von den Medikamenten, die er nehmen muss. Der Schreiner ist ein todkranker Mann. Seine Leidenszeit begann schon im ersten Lehrjahr: allergische Schocks, Darm- und Magenbluten, Lähmungserscheinungen. Er beschreibt, wie er täglich mit Holzschutz und Lösungsmitteln arbeiten musste, die durchtränkten Latten schleppte, seine Kleider, seine Haut vor Chemikalienbrühe trieften. Schutz-vorrichtungen? Kaum oder unbrauchbar.

Dass er vergiftet wurde, dämmerte ihm in seiner Zeit als Bundeswehrsanitäter, als er für Übungen zur Chemiewaffen-Abwehr ausgebildet wurde. Immer wieder versuchte er, zu arbeiten, dann brach er zusammen, er konnte seine Unterhaltspflicht nicht mehr erfüllen und wurde als angeblich arbeitsunwillig mit vier Monaten Gefängnis bestraft: „Das war ein Schlüsselerlebnis. Ich wusste ja, dass ich unschuldig war!“ Seit 14 Jahren kämpft der ehemals sportliche Mann vergeblich gegen die Berufsgenossenschaften und ihre Gutachter vor Gericht für seine Anerkennung als Frührentner.

Zuerst wandte er sich an Selbsthilfegruppen, aber: „Nur gemeinsam jammern, das war nicht mein Ding.“ Er sammelte auf eigene Faust Informationen, anfangs laienhaft, dann immer professioneller. Er legte sich mit den ausschließlich von den Berufsgenossenschaften gestellten Gerichtsgutachtern an, die er als „Gutachtenfälscher“ entlarvte. Peter Röder kennt die übereinstimmenden Krankheitsbilder vieler Betroffener und kann sämtliche Symptome, eine Summierung von Einzelerkrankungen, im Schlaf auflisten. 

Erste Erfolge

2002 gründete er die Initiative kritischer Umweltgeschädigter (IkU), die Opfer berät, unterstützt und öffentlichen Druck organisiert. Seine Beharrlichkeit zeitigte in den letzten Jahren erste Erfolge. Röders Kompetenz wird anerkannt, der Autodidakt als Experte ernst genommen, ein erstes Etappenziel ist erreicht. Das Bundesgesundheitsministerium änderte das amtliche „Merkblatt zur Berufskrankheit 1317“. Auch hochrangige Wissenschaftler erkannten an, dass es fehlerhaft war und möglicherweise schätzungsweise 200.000 Chemiekranke um ihre Rente brachte, dass sie als Simulanten, als psychisch krank abgestempelt oder falsch behandelt wurden.

Der Fehler war gravierend. Die studierten Diagnostiker hatten behauptet, dass es für Chemievergiftungen typisch sei, dass sich der Zustand der Patienten bessere, wenn sie nicht mehr mit den belastenden Stoffen arbeiten. Röder bewies das Gegenteil. Er systematisierte seine Erkenntnisse und erstellte einen interdisziplinären Berufskrankheiten-Report für Betroffene, Ärzte und Krankenkassen, kämpft für eine Änderung im Sozialgesetzbuch, die den Chemiekranken freie Gutachterwahl ermöglicht, und fordert Strafen für Fehlgutachten.

Peter Röder lebt in einem kleinen Haus in Thüngen bei Würzburg, das Faxgerät steht im Sommer im Garten und läuft und läuft und läuft, Ratsuchende rufen ihn an, wollen Hilfe und Informationen. Er lebt von Hartz IV und ist hochverschuldet, die Telefon-, Internet- und Portokosten summieren sich. Spenden gibt es leider nur sehr wenige: „Die Betroffenen haben kein Geld.“ Dennoch wird er weitermachen, trotz Widerständen und oft großer Schmerzen.

Er will seine Daten veröffentlichen und erreichen, dass Ärzte und mittelständische Betriebe besser beraten und neue Chemikalien „objektiver begutachtet werden“. Eigentlich, sagt er zum Abschied, habe er doch „auch sehr viel Glück gehabt“. Ohne Erkrankung gäbe es keinen Widerstand, keine Aufgabe, die ihn ausfüllt und anderen hilft. Manchen Betroffenen gehe es noch schlechter als ihm. Und dann relativiert er: „Ich bin eigentlich kein guter Mensch. Ich handle aus Notwehr.“

Heide Platen