Nominierte 2005: Sebastian Reißig, Sven Forkert: Positive Kräfte mobilisieren

Aktion "Zivilcourage" engagiert sich für mehr Toleranz.

Sebastian Reißig (l.) und Sven Forkert setzen Zeichen gegen rechts. Bild: Andrea Baumgartl

Es ist nicht ihre Sache, Nazi-Demos lautstark zu attackieren oder Türen von Nazi-Läden zuzumauern wie die Antifa. Nicht der sprichwörtliche grobe Klotz auf einen groben Keil. Die „Aktion Zivilcourage“ gibt sich ungefähr so, wie ihr Name vermuten lässt. Obschon aus teils schmerzhaften physischen Erfahrungen mit rechtsextremer Gewalt entstanden, versucht sie weniger spektakulären Widerstand als positive zivilgesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren. „Wir wollen die Breite der Bevölkerung gewinnen“, sagt Sebastian Reißig, einer der Gründer der Aktion.

Der Konsens reicht dabei ziemlich weit. Alles, was eine „nichtrechte Gegenkultur“ fördert, ist willkommen, ungeachtet der Parteibücher und des Geburtsjahrganges. So verstehen sich die Zivilcouragierten auch nicht mehr als eine reine Jugendbewegung, und das nicht nur deshalb, weil ihre Protagonisten inzwischen schon Mitte zwanzig sind. 1998 hatten einige Jugendliche in der Elbestadt Pirna zur Selbsthilfe gegriffen. „Wir lieben die Sächsische Schweiz, wir sind eigentlich ebenso Heimattypen“, beschreibt Sven Forkert seine Bodenständigkeit.

Also nicht kapitulieren vor brauner Gewalt und drohender Okkupation der Jugendszene, sondern sich am Ort organisieren. „Anfangs haben wir das Taschengeld für die Einladungen zu unserem Runden Tisch zusammengelegt.“ Erst 2001 griff ihnen die Bundesregierung mit dem Civitas-Programm finanziell unter die Arme. Etwa 60.000 Euro kommen bis heute aus diesem Programm, weitere 40.000 aber schon aus weiteren Spenden, ein sehr erfreuliches Signal. Das reicht für zwei feste Stellen für Sven und Sebastian.

Zunächst aber ging es darum, überhaupt auf das lange ignorierte Phänomen des Rechtsextremismus in der Region aufmerksam zu machen. Schnell wurde man mit solchen Unkenrufen wiederum in die linksextreme Ecke gesteckt, obwohl die „Skinheads Sächsische Schweiz“ wüteten und der heutige parlamentarische Geschäftsführer der NPD-Landtagsfraktion, Uwe Leichsenring, im benachbarten Königstein schon um die 16 Prozent Kommunalwahlstimmen erhielt. Die gut besuchte Demonstration „Zeichen gegen rechts“ im November 2000 markierte hier einen Bewusstseinswandel.

Botschaft von Gewaltfreiheit

Opferhilfe, ein 24-Stunden-Nottelefon, Beratung und Aufklärung sind die eine Seite der Arbeit. Info-Veranstaltungen, Projektschulstunden, Trainingsseminare für Lehrer oder Fahrten zu Gedenkstätten für die Opfer der NS-Zeit werden organisiert. Ein dreitägiges Pflichtseminar für alle Mitarbeiter der Stadtverwaltung Pirna zu Rassismus und Rechtsex-tremismus Anfang Juli zeigt, dass die Aktionsgruppe inzwischen auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Eigentliches Ziel aber ist es, sich nicht nur über Gegnerschaft, sondern positiv und lebensbejahend zu definieren.

„Es gibt so viel Schönes“, seufzt Sebastian schon beinahe romantisch. Große Partys beispielsweise im Klubhaus „Hanno“ tragen das Etikett demokratischer Gesinnung nicht agitatorisch zur Schau. Sie sprechen wie selbstverständlich jene geschätzten 95 Prozent der Jugendlichen an, die schwankend und beeinflussbar sind und um die sich gleichermaßen die braune Propaganda bemüht. Und sie transportieren unterschwellig die Botschaften von Toleranz und Gewaltfreiheit. Ende Juni kamen 2.500 Besucher zum Open-Air „Respect is the message“ nach Graupa, zwischen Pirna und Dresden gelegen.

„Wir sind inzwischen der größte Jugenkulturveranstalter der Region“, berichtet Sebastian mit sichtlichem Stolz.Manchmal müssen allerdings geschlossene Veranstaltungsräume nach wie vor als Schutzräume wirken. Die „Nacht der Kulturen“ vor dem 8. Mai beispielsweise wurde von etwa 60 düsteren Kameraden aufgemischt. Der NPD-Erfolg bei den Landtagswahlen im vorigen Herbst hat die Aktion Zivilcourage nicht überrascht. Tage vorher hatte sie in einem Wahlaufruf davor gewarnt. Seither aber stehen nicht nur die Journalisten Schlange. Auch die Kommunalparlamente sind aufgewacht, und CDU-Bürgermeister Markus Ulbig ist längst zu einem zuverlässigen Verbündeten geworden.

„Wir müssen auch CDU-Leute ansprechen in einem Kreis, der traditionell Union wählte“, sagt Sebastian. Ein Gespräch mit der sächsischen Sozialministerin Helma Orosz zur Sozialarbeit im ländlichen Raum steht bevor. Mittlerweile residiert die „Aktion Zivilcourage“ in Räumen eines historischen Bürgerhauses der Pirnaer Altstadt. Die Gäste, die hier ein freiwilliges soziales Jahr absolvieren, empfinden die Atmosphäre als sehr familiär und locker. Die Aktion ist ja auch kein „krasser Verein“, sondern ein eher loser Zusammenschluss von einem Dutzend „Kernaktivisten“ und rund 60 Helfern. Tendenz erfreulicherweise wachsend.

Michael Bartsch