Bündnis f. Menschlichkeit Dingolshausen: Macht es, denn es geht

Das Bündnis für Menschlichkeit kämpft für einen guten, humanen Umgang mit tschetschenischen Flüchtlingen – in Bayern.

Christel Heberle, Martina Eichner, Doris Geissler und Sigrid Fessel-Walter: vier der Frauen eines starken "Bündnisses" in Bayern. Bild: Anja Weber

In einem Dorf wird viel geredet, so will es das Klischee, und so ist es auch im bayrischen Dingolshausen nicht anders. Genau das haben sich die Frauen des Bündnisses für Menschlichkeit Dingolshausen zunutze gemacht.

Vor knapp einem Jahr zogen vier tschetschenische Familien in das grüne Haus an der Hauptstraße des 1.300-Seelen-Dorfes. Links und rechts der Straße, die über sanfte Hügel mit Korn und Weingärten führt, stehen Einfamilienhäuser in idyllisch blühenden Gärten. Kommen Fremde ins Dorf, wird das bemerkt und entsprechend kommentiert, jeder kennt hier eben jeden.

Das grüne Haus hatte die Gemeinde vermittelt, weil die Asylunterkünfte des Landkreises überfüllt sind. Viele Bürgermeister im Umkreis wurden gefragt, die meisten hatten kein Haus oder rechtzeitig eine Ausrede parat, jener von Dingolshausen reagierte sofort.

Christel Heberle, 61, ist "Bündnis"-Frau der ersten Stunde. Sie erinnert sich gut an den Anfang, als im Dorf über "die" geredet wurde, ohne dass jemand sich mit "denen" unterhalten hätte. "Auch ich fühlte damals ein Unbehagen. Man fügt sehr schnell Schlagzeilen und Vorurteile zusammen", sagt die gelernte Hauswirtschaftsmeisterin heute.

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Als sie damals zufällig mit Sigrid Fessel-Walter, 57, auf die Asylanten zu sprechen kommt, schlägt diese kurzerhand vor: "Komm, wir gehen vorbei und machen uns bekannt." Mit Brot, Salz und Blumen klopfen sie an die Haustüre der Fremden. Seither haben die Fremden Namen und Geschichten.

"Durch diese Begegnung hatten wir wirklich etwas zu berichten und konnten die Stimmung im Dorf gezielt positiv beeinflussen", erklärt Sigrid, die sich nach jenem Besuch postwendend bei Amnesty International, Pro Asyl und anderen Organisationen informiert und daraus ein Dossier zu Tschetschenien erstellt.

Einladung an das Dorf

Es folgt eine beispielhafte Kettenreaktion, bei der Menschen zusammenfinden, die merken, dass sie die deutsche Flüchtlingspolitik doch etwas angeht. Zusammen mit dem Bürgermeister formuliert Sigrid eine Einladung an die Dorfgemeinde, um über die Situation der Flüchtlinge zu informieren. Etwa 30 Bewohner kommen mit vielen kritischen Fragen ins Rathaus, auch die Flüchtlingsfamilien sind anwesend, eine Dolmetscherin übersetzt. Sigrid verteilt einen Handzettel, um die Diskussion zu versachlichen: Seither weiß dieses bayrische Dorf bestens über Dublin II Bescheid. Die Dingolshäuser antworten auf den Einzug der Flüchtlinge mit einem Bündnis für Menschlichkeit. Dahinter stehen acht aktive Frauen, die von vielen jedoch passiv unterstützt werden.

Fünf von ihnen sitzen jetzt an diesem heißen Sommertag fast ein Jahr später an dem runden Gartentisch von Sigrid und erzählen, wie sie - 43 die jüngste, 85 die älteste, Rechtsanwälte, Gutachter und die Kirchgemeinde kontaktieren, ein Spendenkonto, eine Hebamme und Deutschunterricht organisierten. Wie sie die Berichte von Krankheit und Folter durch Ärzte und Gutachter überprüfen ließen, um nicht blauäugig zu glauben, sondern Fakten zu wissen. Zwei tschetschenische Familien reisten weiter, die anderen beiden blieben.

Gemäß Dublin-II-Abkommen sind die Tschetschenen illegal in Deutschland, sie müssten zurück nach Polen, wo sie die EU zuerst betreten haben. Einzige Chance, die Abschiebung der insgesamt vier Erwachsenen und sechs Kinder zu verhindern, meinte der konsultierte Anwalt, sei Kirchenasyl. Er sagte auch: "Das ist nahezu unmöglich." Die Frauen antworteten: "Was müssen wir tun, damit es möglich wird?"

Sie stellten nochmals Unterlagen zusammen, telefonierten mit der Kirche und stießen erst einmal auf Granit. Menschlichkeit allein, das lernten sie auch, genügt als Argument nicht. Sie blieben hartnäckig und schafften es schließlich. "Das Kirchenasyl war für uns alle eine Zerreißprobe", sagt Doris Geissler, 54, die als Lehrerin arbeitet und zusammen mit den anderen Bündnisfrauen die Familien während des sechsmonatigen Kirchenasyls moralisch und finanziell unterstützte und mit Lebensmitteln versorgte.

Unterdessen wohnen die Familien wieder im Haus an der Hauptstraße und warten auf das weitere Procedere, denn erreicht ist das Ziel, eine Aufenthaltsbewilligung für die Familien, noch lange nicht. Nach wie vor helfen die Frauen, wo sie können. Alle unterrichten sie die Erwachsenen regelmäßig in Deutsch, Doris hilft Kindern bei den Hausaufgaben. Martina begleitet die Familien bei Einkäufen, Lissi, Barbara, Inge und Irene kümmern sich um Arztbesuche und organisieren, was gerade fehlt. Christel öffnet den Kindern oft nachmittags ihre Tür, damit sie der Enge zu Hause entfliehen können. Sigrid, hauptberuflich Führungskräfte coachend, berät andere Gemeinden, die den Dingolshäusern gefolgt sind.

Die konkrete Flüchtlingspolitik der Dingolshäuser mag romantisch klingen. Tatsächlich erzählen die Bündnisfrauen von einem langen letzten Jahr, wo jede von ihnen viel Durchhaltewillen brauchte. Selbstverständlich ist für sie die Hilfe zwar, doch dabei sind sie überaus selbstkritisch. Zuerst sei es ums Sattwerden gegangen. Jetzt, ein Jahr später, geht es längst ums Eingemachte. Um das den bayrischen Frauen doch sehr fremde patriarchale Familienverständnis etwa, um Ernährungs- und Erziehungsfragen. Dinge, die die Bündnisfrauen für sich nie akzeptieren würden, aber zum Schluss gekommen sind, dass sie sich da nicht einmischen können und wollen. "Gewisse Dinge", sagt Sigrid mit forschem Blick in die Runde, "müssen verhandelt werden, etwa, dass die Frauen ebenfalls Deutschunterricht erhalten. Bei anderen Dingen halten wir uns zurück."

"Integration ist ein wechselseitiger Prozess", erklärt Doris in ihrer ruhigen Art, "sie versuchen uns zu verstehen, wir sie. Und je weiter wir kommen, umso feiner werden die Unterschiede."

Unmenschliche Härten

Längst geht es den Bündnisfrauen um mehr als um Aufenthaltsbewilligungen. Bündnisse wie das ihre sollen sich auch an anderen Orten durchsetzen, denn der Grundtenor ihrer Erfahrungen ist: "Macht es, es geht!" Sie haben in diesem letzten Jahr die Erfahrung gemacht, dass Angst aus Unsicherheit entsteht, wenn zu viel Fremde kommen.

"Ein Prozent Asylsuchende aber", fasst Sigrid die Erfahrungen des Bündnisses zusammen, "verkraftet jede Gemeinschaft." Sie erzählen in Schulen, wie man sich als Bürger engagieren kann in Fällen, in denen eine allgemein geltende gesetzliche Regelung für einen individuell Betroffenen eine unmenschliche Härte bedeutet. Die wenigsten Lehrer würden etwa Dublin II kennen, sagt Sigrid, um anzufügen: "Kannten wir ja vorher auch nicht." Martina Eichner, 43, die Ruhigste in der Runde, bringt ihr gemeinsames Engagement auf den Punkt: "Wir wollen eine andere Sichtweise zeigen, dann läufts ja vielleicht in Zukunft besser."

Gina Bucher