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Doku über Ost-West-Zeitungsprojekt Das kurze Leben der Ost-taz

Nach dem Mauerfall gab es für wenige Monate eine Ost-taz, die erste ost-west-deutsche Zeitungskooperation. Michael Biedowicz über den wiedervereinten Pressebetrieb und seinen gerade erschienenen Dokumentarfilm.

100 Tage Ost-taz wurden noch gefeiert, wenig später war es schon vorbei Foto: ITWORKS

Interview JAN FEDDERSEN

taz Info, 20.04.23 | Alles anders machen: Nach der Friedlichen Revolution, dem Fall der Deutschland teilenden Mauer schien für kurze Zeit alles möglich. Nur wenige erinnern sich heute an die Ost-taz, das Projekt junger, enthusiastischer Amateur*innen, die unter „Aufbauhilfe" der Westberliner taz-Redaktion das umzusetzen versuchten, was zuvor in diesem Land unmöglich war: eine ost-westdeutsche Zeitung.

Michael Biedowicz, Gründungsmitglied der Ost-taz, lässt in seinem aktuellen Dokumentarfilm die Protagonist*innen von 1990 zu Wort kommen. Die wochentaz sprach mit ihm über sein Projekt und die Dreharbeiten.

wochentaz: Michael, was hat dich bewogen, einen Film über die Ost-taz zu machen?

Filmvorführung „Alles anders machen – Das kurze Leben der Ost-taz“

Wann: Di., 25.04.2023, 19 Uhr

Einlass: ab 18 Uhr

Wo: taz Kantine

Friedrichstr. 21

10969 Berlin

Michael Biedowicz: Ich habe mich immer gewundert, dass dieses Ost-West-Zeitungsdrama inzwischen so unbekannt ist. Jahrelanges, nein jahrzehntelanges Schweigen auf beiden Seiten. Die Westkollegen waren nie stolz auf ihren DDR-Ableger, obwohl sie die erste Ost-West- Medienkooperation so schnell auf die Beine gestellt haben.

Zielstrebig haben „ein paar Leute aus der taz“, wie der damalige taz-Kollege Arno Widmann sagte, auf die Situation nach dem Mauerfall reagiert.

Chapeau! Uns Ost-Kollegen hat das jähe Ende dieses Zeitungexperiments aber geschockt. Ich weiß gar nicht mehr, wer uns die Nachricht beigebracht hat. Ich erinnere mich aber, dass Kalle Ruch sich sehr dafür starkgemacht hat, dass viele Ostkollegen in die Westredaktion übernommen werden sollten. Was dann auch so passierte. Zeitlich ging das Ende der Ost-taz mit der Währungsunion einher.

Und wirtschaftlich?

Hatte sich das Geschäftsmodell erledigt, das ja darin bestand, dass nicht die einzelnen verkauften Zeitungen abgerechnet wurden, sondern die komplette gedruckte Auflage der DDR-taz. Mit der Währungsunion war auch der letzte Rest von sozialistischer Planwirtschaft vorbei und damit war das Ende besiegelt.

Es gab doch auch Streit um Stasi-Unterlagen, oder?

Ja, diese Streitereien um den Umgang mit diesem Stasi-Erbe war in der Heftigkeit der Auseinandersetzung schon etwas traumatisierend.

Worum ging es überhaupt?

Die Westkollegen hatten das Bedürfnis, uns die schonungslose Stasi-Aufklärung abzuverlangen. Das ist aus der Perspektive des investigativen Journalismus verständlich. Wir waren aber da noch nicht angekommen und sind als solche nie angetreten. Bei uns Ostlern war noch so ein Fürsorgegedanke da, was können wir dem DDR-Bürger zumuten – so ein paternalistisches Gefühl, wie es André Meier im Film benennt.

Eine Art Konfliktscheu?

Bestimmt auch. Ich war damals der Introvertierteste aller Introvertierten und habe meine Heimat, also die DDR, gesehen. Und die kann man nicht einfach mal so schnell ablegen. Was uns ausgezeichnet hat, war der Mut, Neuland zu betreten – das hat uns zu Gewinnern gemacht. Dieses Gefühl konnte uns auch das Ende der Ost-taz nicht nehmen.

Warum dieser Film zur Ost-taz?

Diese Geschichte musste erzählt werden, fand ich, und darf nicht vergessen werden. Alles, was in der kurzen Zeit der Existenz der Ost-taz passiert ist, das passierte wie in einem Brennglas der deutschen Geschichte der Wiedervereinigung.

War es schwer, die damaligen Pro­tagonistinnen* zum Reden zu bringen?

Überhaupt nicht. Nur in einem Fall musste ich ein Vorgespräch führen. Alle anderen Interviews entstanden spontan und sind daher so authentisch. Ich glaube, ich hatte den richtigen Zeitpunkt für die Gespräche erwischt. Lang genug ist die Wendezeit her, dass erzählt werden konnte, ohne museal zu klingen.

Was hat dich an den Erzählungen deiner Kollegen überrascht?

Ich habe die Vorgeschichte der Ost-taz-Gründung zum ersten Mal gehört und konnte es kaum glauben, dass die SED da involviert war und ihre Zustimmung zur Verlagsgründung des DDR-Verlags gegeben hat. Drei taz-Kollegen machen sich auf den Weg ins ZK der SED und verhandeln mit den Genossen über eine taz-Dependance in der DDR. Warum sind sie nicht zu den Bürgerrechtlern vom Neuen Forum gegangen, die müssten ihnen doch politisch näher gewesen sein?

Woran ist die Ost-taz gescheitert? Was wollte sie – einen sp ezifischen DDR-Oppositionsblick – dem „Westen“ zeigen?

Für ein eigenständiges Zeitungsdasein waren wir ökonomisch einfach zu schwach. Alle Neugründungen auf dem Zeitungsmarkt im Osten haben ja nie lange durchgehalten. Das Ende unseres Experiments hätte uns auch so oder so ereilt. Wie auch die ganze DDR-Bürgerbewegung ja schon 1990 kaum mehr eine Rolle gespielt hat. Wenn wir dem „Westen“ etwas zeigen wollten, dann eher das Gefühl, wer wir sind. Wir waren nach Osten ausgerichtet. Da lag unsere Kompetenz. Aber das hat den Westkollegen einfach nicht gereicht.

„Alles anders machen – Das kurze Leben der Ost-taz“. Regie: Michael Biedowicz. D 2022/2023, 45 Min.