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Diskurse der Genoversammlung 2021 Weiter bereit für Streit

Auf der Genoversammlung 2021 wurde über die Dramatik der Klimakrise und die Notwendigkeit von Protest diskutiert. Einige Beobachtungen.

Stefan Krug von Greenpeace, Luise Neumann-Cosel von Campact und taz-Chefredakteurin Barbara Junge bei der Diskussion über die Bundestagswahl 2021 auf der Genoversammlung 2021 (v.l.) Piero Chiussi

Von ULRICH GUTMAIR

Berlin, 20.09.21 | Die taz ist nicht nur die einzige überregionale Tageszeitung, die einer Genossenschaft gehört – sie ist auch sonst „anders als alle anderen.“ Damit sie so unberechenbar, wenig steuerbar und erfolgreich sein könne, wie sie ist, müsse sich ein Geschäftsführer als Dienstleister der Redaktion verstehen. Der das sagt, muss es wissen. Andreas Bull war über zwei Jahrzehnte zweiter Geschäftsführer der taz neben Kalle Ruch.

Auf der alljährlichen taz Genossenschaftsversammlung am Samstag, 18.09.21, verabschiedete sich Andi, wie ihn alle in der taz nennen, nachdem er gerührt die Laudatio seiner Kollegin Aline Lüllmann entgegengenommen hatte. Und fuhr mit einem neuen roten taz-Rad davon: Klimaneutrales Abschiedsgeschenk für den Motorradfahrer.

Kein weiterer „Besserwissertalk“

Der öffentliche Teil der Genoversammlung hatte am Nachmittag mit einer Talkrunde begonnen. Die Chefredakteurinnen Ulrike Winkelmann und Barbara Junge hatten Stefan Krug von Greenpeace und Luise Neumann-Cosel von Campact eingeladen. Nicht um einen weiteren „Besserwissertalk“ über die bessere Kanzlerkandidatin, wie Winkelmann eingangs sagte, zu inszenieren, sondern um die entscheidende Frage dieser Bundestagswahl zu diskutieren: welche Klimapolitik nach der Wahl von den beiden derzeit möglich scheinenden Koalitionen zu erwarten ist.

Luise Neumann-Cosel traut einer Jamaika-Koalition wenig zu. Wichtig für den Klimaschutz sei eine starke grüne Beteiligung an der nächsten Regierung. Ihr Kollege Stefan Krug beantwortete die Frage in Bezug auf eine mögliche Ampelkoalition ähnlich: Es gehe darum, überhaupt einen grundlegenden Wechsel in der Klimapolitik hinzukriegen. Krug beobachtet eine typisch deutsche Angst vor Veränderung. Von der FDP erwartet er nicht die nötigen Impulse.

Generell, da sind sich Krug und Neumann-Cosel einig, brauche es nach der Wahl weiter starken Druck von außen. Auch die Grünen in Regierungsverantwortung in den Ländern hätten gezeigt, dass sie nicht immer willens sind, die notwendigen radikalen Veränderungen anzugehen. Nach der Wahl müssten sehr schnell Entscheidungen für einen Kurswechsel getroffen werden.

Die Gesellschaft mitnehmen

Wie die taz geben weder Campact noch Greenpeace Wahlempfehlungen ab, aber „die Menschen können eins und eins zusammenzählen“, sagte Krug. Die drängende Frage sei, wer den Klimaschutz bezahle, wie die Kosten verteilt würden, meint Neumann-Cosel.

Ihr Kollege Krug stimmte zu: „Die ökologische Agenda muss mit der sozialen verbunden werden.“ Es gehe nicht allein um einen technologischen Wandel, sondern um nicht weniger als um die Transformation unseres Wirtschaftsmodells. Dabei müsse die Gesellschaft mitgenommen werden, etwa durch die Einrichtung von Bürgerräten.

Man könne zwar für Verbesserungen in der Tierhaltung kämpfen – aber hat Fleischkonsum überhaupt eine Zukunft? Tierische Produkte erzeugten doppelt so viele Emissionen klimaschädlicher Gase wie pflanzliche, 50 Prozent der weltweiten Emissionen entstünden durch Lebensmittelproduktion. „Fleischkonsum war gestern“, schließt Krug. Neben der Klimakrise stünden wir vor der Herausforderung eines „gigantischen Artensterbens“.

Wut und Empörung sind wichtig

Die Dramatik der Situation gehe in den Diskussionen manchmal verloren, hält Neumann-Cosel fest. Unstrittig sei, welche Maßnahmen es braucht, um das Ruder herumzureißen. Die Pläne, was zu tun ist, lägen längst auf dem Tisch. Die Vertreter der NGOs sind sich einig, dass die Zeit des Diskutierens und der Kommissionen vorbei ist. Der Ausstieg aus der Kohle schon 2030 sei ein Muss für den Koalitionsvertrag.

In der Diskussion zeigt sich das Paradox, mit dem Organisationen wie Greenpeace und Campact umgehen müssen. Einerseits sei die Debatte stark von Bedrohungsszenarien geprägt, weniger durch „Geschichten des Gelingens“ eine Erzählung eines besseren Lebens nach der Transformation, meint Krug. Andererseits seien Wut und Empörung „wichtige Treiber für soziale und ökologische Innovation durch Protest“, entgegnet Neumann-Cosel. Für sie ist die wichtige Zeit jetzt, „bis Sonntag“. Sie wies auf den Klimastreik-Freitag am 24.09.2021 hin.

Vieles neu bei der taz

Der Nachmittag ging weiter mit Präsentationen. Eine Kampagne für die junge Generation Z wurde vorgestellt. Ihr Slogan ist so knapp wie programmatisch: „taz. Bereit für Streit.“ Das Konzept der erweiterten taz am Wochenende wurde präsentiert, auch erste Designs für den neuen Web-Auftritt der taz.

Schließlich berichtete das Team des Sommercamps, wie im August die junge Generation im taz Neubau zu Gast war, um ihre Forderungen an Politik und Gesellschaft zu formulieren.

Später hieß es, jetzt wird getanzt. Dem Berichterstatter wurde aufgetragen, den Rechner umgehend herunterzufahren und sich auf den Dancefloor in die taz Kantine zu begeben. Viel Überredung war nicht nötig. Das schönste Lied des Abends war „When the rain begins to fall“ von Jermaine Jackson. Petrichor lag in der Luft, und einmal mehr war klar: Wer nicht feiern kann, kann auch nicht streiten.